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Mit zunehmendem Alter wird es doch immer wichtiger, Träume nicht nur zu träumen, sondern sie auch zu leben.
Au weia, das hört sich ja wie ein abgedroschener Kalenderspruch an. Aber mir geht es wirklich so: wann, wenn nicht jetzt? (das könnte jetzt schon wieder ein Kalenderspruch sein…).
Georgien mit seinen unbeschreiblich schönen Landschaften und seiner Vielfalt war immer schon in meinem Kopf und arbeitete sich in den letzten Jahren ziemlich nach oben auf meiner Liste der noch zu bereisenden Regionen. Ich war bereit, ich wollte Abenteuer! Wir hatten nur den Flug und einen Jeep gebucht und wollten uns ansonsten nicht festlegen.
Der Anreisetag fing schon richtig gut an: kurz vorm Flughafen merke ich, dass ich mein Handy zuhause vergessen hab. Viele haben mich hinterher gefragt, wie man es bitte heutzutage schaffen kann, sein Handy nicht mitzunehmen. Ja, das hab ich mich auch gefragt – und ich suche immer noch nach der Antwort.
Gut, ich war ja nicht alleine unterwegs. Mein Freund Manfred hatte seines NATÜRLICH dabei. Dennoch verlief der erste Tag in Georgien sehr chaotisch. Der Autovermieter hatte versucht, mich anzurufen und natürlich nicht erreicht. Stattdessen chattete er mit meiner Schwester, die ihm in ihrem besten Englisch das Unglaubliche erklärte. In unserem Jeep fand sich keine Straßenkarte und am Flughafen in Kutaisi entgegnete man uns lapidar: „use your phone“. Super. Google Maps funktionierte nicht und die App mit dem Kartenmaterial hatte nur ich auf dem Handy. Nochmal super. Aber ich wollte ja Abenteuer. Jetzt hatte ich es, ganz old school.
Mehr oder weniger auf gut Glück fuhren wir Richtung Norden, versuchten den aufkommenden Kulturschock zu verdauen und in die nächste etwas größere Stadt zu gelangen. Die nannte sich Zugdidi und hier konnten wir in einer Imbissbude essen und WIFI nutzen. Das brauchten wir nämlich zum einen, um nach Hause zu funken, dass es uns gut ging, und zum anderen, um ganz Georgien in Offline-Karten auf Manfreds Handy zu laden. Als der Inhaber uns am späten Abend noch zu einer guten Unterkunft verhalf, war der Tag doch noch gerettet.
Am nächsten Tag sah alles anders aus, denn wir waren ab jetzt gut gerüstet. Es ging weiter nach Norden, über eine holprige Straße, frei laufenden Kühen und Schweinen ausweichend, immer dem Großen Kaukasus entgegen. Die (einzige) Straße nach Mestia zog sich endlos, zeigte uns aber auch hier schon wunderschöne Landschaften. Mestia ist der Hauptort der Region Swanetien. Als wir ihn irgendwann erreichten, waren wir ein bisschen enttäuscht. Wo kamen auf einmal all die Touristen her? Und die vielen Autos? Und was ist das da für ein modernes, hässliches Gebäude? Sind wir hier im Chamonix Georgiens gelandet?
Abseits der Hauptstraße sahen wir aber mittelalterlich anmutende Wehrtürme und fanden dort auch ein kleines unscheinbares Guesthouse. Hier teilten wir uns Bad und Balkon mit anderen Gästen, unter anderem Eli, der aus den USA (Georgia!) kommt und seit Jahren um die Welt reist.
Ein Regentag folgte, an dem wir aber trotzdem zu einer Wanderung mit knapp 1000 Höhenmetern aufgebrochen sind. Steigungen ohne Serpentinen, die mich schon recht schnell platt gemacht haben. Mit Blick nach oben bestand noch Hoffnung, denn die kaukasischen Berge lugten hinter den Wolken doch noch ein bisschen hervor. Irgendwann regnete es sich aber so ein, dass die Sicht immer schlechter wurde. Als kurz vorm Kreuz von Mestia auch noch Nebel dazu kam, war es dann ganz vorbei mit den Aussichten und es wurde auch empfindlich kühl. Ein paar Höhenmeter über uns erspähten wir eine kleine Hütte, stiegen hinauf und konnten dort wirklich einen Kaffee ergattern. Die Hütte war winzig und bot gerade mal einer kleinen Familie ein bisschen Platz. Zwei junge Männer tranken eifrig Bier. Sie boten uns an, uns mit ihrem Fahrzeug mit ins Tal zu nehmen, was wir nach einigem Hin und Her annahmen. Nach den ersten Metern schon begann ich mich zu fragen, ob ich diese Entscheidung nicht noch bereuen würde. Und Manfreds Humor („nicht, dass unsere Reise hier schon ganz schnell endet...“) war da auch nicht förderlich. Halsbrecherisch fuhr der Mann mit uns im voll besetzten Auto, das oft genug schwamm wie im Schnee und immer wieder aufsetzte, die völlig ausgewaschenen, steilen Pisten hinab. Nahezu ohne Sicht, laute georgische Radiomusik aufgedreht und ständig mit seinem Kumpel quatschend, schaffte er es aber tatsächlich runter nach Mestia. Und wir trabten erleichtert zurück zu unserem Gästehaus.
Mestia ist wirklich ein seltsamer Ort. Wie nah hier Armseligkeit mit Tourismus, Verfall mit Moderne zusammengehen...
Also am nächsten Tag raus aus dem Touri-Ort und rein in urwüchsige Landschaft und Dörfer. Letzteres fanden wir in Khalde, welches wir über eine Straße (naja, nicht wirklich eine Straße) erreichten. Hier sollte unsere für heute ausgewählte Wanderung beginnen. Die Straße war wirklich die einzige Zufahrtstraße und ganz offensichtlich nur für Fahrzeuge mit Allradantrieb geeignet. Wir hatten unseren Jeep bereits schätzen gelernt und ihn liebevoll Titi getauft (wegen des Kennzeichens, das mit TT begann). Hier sollte er sich zum ersten Mal so richtig beweisen. Und unser Mut auch. Manfred schraubte Titi mit viel Geschick die steilen, ausgewaschenen Serpentinen hoch und blieb auch dann noch relativ entspannt, als der enge Schotterweg uns zwischen Fels mit herunterrutschenden Steinen auf der einen Seite und tiefem Abgrund auf der anderen Seite beglückte. Ich dagegen musste weg schauen und meine feuchten Hände trocknen. Dafür wurden wir aber bald mit schönem Sonnenschein und dem ständigen Blick auf einen schneebedeckten 5000er belohnt. Hier wanderten wir in ein Tal, das wir zunächst ganz für uns hatten – mal abgesehen von ein paar Kühen und Schweinen, die uns begegneten. Später wurde es aber belebter, als eine Menge Wanderer von einem Pass herunter kamen. Der Fluss unter uns war wild und ungebremst und führte viel Wasser. Wir hatten Glück und waren vor dem einsetzenden Prasselregen wieder zurück im Tal, wo wir ein nettes Gästehaus fanden.
Der nächste Tag war ein Tag um Pläne zu machen und Pläne umzuschmeißen, Entscheidungen hinauszuschieben, zu treffen und wieder zu revidieren. Das lag vor allem an dem unsicheren Wetter, das uns zweifeln ließ, ob die geplante Wanderung zum Schchara-Gletscher heute wirklich eine gute Idee war. Aber dafür mussten wir sowieso erst mal nach Ushguli weiterfahren, ein uriger, ganz ursprünglicher Ort mit Traumlage in den Bergen. Wir schauten uns den Ort in Ruhe an, während sich das Wetter etwas stabilisierte. Dann brachen wir nach einer wiederum holprigen Jeep-Fahrt über steinige und lehmige Pisten doch noch zur Wanderung auf. Der Weg führte teils durch Wald und über Stock und Stein aufwärts. Kurz vorm Erreichen des Gletschers fing der Regen wieder an. Der Gletscherabbruch auf etwas mehr als 2500 m war beeindruckend und trotz der Tatsache, dass alles verhangen war, bekamen wir eine kleine Ahnung von den Ausmaßen des höchsten Berges Georgiens. Die Landschaft ringsum zeigte sich karg und steinig. Es gesellten sich – wie so oft – auch hier an diesem einsamen Ort freilaufende Hunde zu uns, mit denen wir unsere Kekse teilten.
Zurück in Ushguli fanden wir ein einfaches Guesthouse mit Betten, die fast keine Matratze hatten. Dennoch schliefen wir gut und konnten am nächsten Morgen bei bestem Wetter die ganze Pracht des Schchara bestaunen. Was für ein Anblick! Das hätte auch Nepal mit seinen 8000ern sein können, so gigantisch hob sich das Bergmassiv mit seinen schneebedeckten Hängen ab. Auch die Weiterfahrt auf wieder mal ausgewaschenen Wegen mit Schlaglöchern war atemberaubend. Immer wieder hielten wir an, um das Panorama zu bestaunen. Wieder einmal froh mit unserem Titi, meisterten wir alle Schlammpisten und waren froh, als die Straße besser wurde, je mehr wir Richtung Lower Swanetien kamen. Hier war es unglaublich grün, ganze Berghänge sind dicht bewaldet soweit das Auge reicht.
Viel später sahen wir einen Abzweig zum Okatse Canyon und entschieden uns spontan, dorthin zu fahren. Der Fußweg bis zum Canyon führte größtenteils durch schattigen Wald, was uns sehr entgegen kam, denn hier war es unglaublich heiß. Am Canyon angekommen, führte ein an den Fels gebauter luftiger Trail durch die Schlucht. Die Aussichten waren schon enorm und unter unseren Füßen ging es rapide in die Tiefe. Nach ca. 6 km und 895 Stufen kamen wir wieder am Besucherzentrum des Canyons an.
In einem kleinen Dörfchen fanden wir eine Unterkunft bei einem 80-jährigen Georgier, der kein Wort Englisch konnte, mit dem wir aber dennoch ins Gespräch kamen. Mangels Gaststätten deckten wir uns im einzigen Supermarkt des Ortes mit ein paar Lebensmitteln und Bier ein und setzten uns dann in den Garten des Gästehauses. Unser „Opi“ versorgte uns an diesem lauen Sommerabend mit Köstlichkeiten aus seinem Garten: Tomaten, Maiskolben und Wein (den wir unbedingt leeren sollten). Leicht beschwipst fanden wir trotz der Hitze in den Schlaf.
Bevor wir am nächsten Morgen aufbrachen, machte Opi mit uns noch einen Rundgang durch seinen Garten: Mandarinen- und Limonenbäume, Mais, Tomaten, Auberginen und noch viel mehr wuchs dort und er war mächtig stolz darauf. Am Ende gab es noch schnell ein Selfie von uns dreien, und dann fuhren wir los in Richtung der Kasbeg-Region.
Diese Gebirgslandschaft liegt unmittelbar an der Grenze zu Russland und wir machten uns auf eine lange Fahrt gefasst.
Wir hatten wohl nicht bedacht, dass die alte Heerstraße offenbar DIE Verbindungsstraße zwischen Georgien und Russland ist und dem Autofahrer stundenlange LKW-Staus bietet. Die atemberaubend schöne Landschaft zog an uns vorbei, ohne dass wir groß Notiz davon nahmen, denn wir waren ständig im Stop-and-go zwischen LKW eingekeilt. In einem hässlichen Ort mit einem modernen Skigebiet war die Straße besonders steil und dann ging einfach nichts mehr. Wir standen im Hang und kamen überhaupt nicht mehr weiter. Das war der Punkt, wo wir uns wünschten, wir wären nie hier hergekommen. Stepanzminda, unser Ziel im Kasbeg-Gebiet, musste jetzt aber gewaltig viel bieten, um uns aus unserem Tief herauszuholen. Wir sahen uns schon am Straßenrand in unserem Titi übernachten. Als wir nach endloser Fahrt doch noch in Stepanzminda ankamen und dann auch noch ein tolles Gästehaus fanden, mit Blick auf das großartigste Postkartenmotiv Georgiens, fiel unsere Anspannung endlich von uns ab.
In unserem Wanderführer ist das Truso-Tal als eine der Top-Touren beschrieben. Und das war es auch! Angesichts der Schönheit der Landschaft sollten wir den ganzen Tag lang nicht mehr aus dem Staunen herauskommen. Es war eine einfache, aber lange Wanderung, die hinter jeder Biegung ein neues Highlight bot: geologisch interessante Felsformationen, Basaltwände mit kleinen Wasserfällen, weiß gefärbte terrassenförmige Ablagerungen und jede Menge Schwefelgeruch. Dazu eine Berglandschaft vom Feinsten. Es gab einen See, der mineralischen Ursprungs war und dem Heilkräfte nachgesagt werden. Okay, es war eher eine übergroße Pfütze, die erstaunlich tief und sprudelnd blau war. Dann öffnete sich das Tal ganz weit und lenkte den Blick auf ein verfallenes Ruinendorf mit Überresten einer kleinen Festung. Hier hielten wir uns lange auf und genossen es, einfach da zu sein.
Unser schönes Zimmer hat einen kleinen Balkon, von dem aus wir die Gergeti Trinity Church sehen können, mit ihrem „Wächter“, dem über 5000 m hohen Berg Kasbeg. Es ist ein mythischer Berg, denn an ihn soll Prometheus gekettet gewesen sein, nachdem er von Zeus in den Kaukasus verbannt und auf diese Weise bestraft wurde. Wir wollten dieser Geschichte zwar nicht ganz auf den Grund gehen, aber zumindest bis auf eine Passhöhe wandern, um dem Kasbeg möglichst nah zu kommen.
An der Gergeti Kirche begann der Wanderweg und wir flohen regelrecht vor den viel zu vielen Menschen und lauten Reisegruppen, die die Kirche besichtigten. Der Weg fing schon mit einem elend steilen Hang an, den es zu bewältigen gab. Anstrengend, aber lohnenswert, denn der Blick zurück auf die dramatisch auf der Kuppe gelegene Kirche war wirklich toll. Es waren einige schwer bepackte Bergsteiger unterwegs zum Kasbeg und nur wenige Wanderer wie wir. Die Wiesenhänge neben und unter uns waren voller blauem Enzian.
Der Steig wurde immer steiler und steiler. Ich haderte mit meiner konditionellen Verfassung, machte viele kleine Pausen, um wieder zu Atem zu kommen. Serpentinen gibt es hier nicht. Wir konnten die Wegführung gut einsehen, der nächste Hang, die nächste Rinne. Ich fühle mich lahm wie eine Schildkröte, aber ich möchte hinauf auf den Pass. An den Hängen zeigten sich jetzt ganze Matten von Rhododendren. Im Frühjahr würde hier ein Blütenmeer sein.
Als auch der allerletzte Steilhang bewältigt ist, haut es uns regelrecht um: da ist er, der Kasbeg, der hohe 5000er, direkt vor unserer Nase. Und siehe da, auch die Schildkröte kommt oben an. Die Aussicht vom Pass, der auf fast 3000 m liegt, ist einfach grandios. Ganze 2 Stunden lagen wir hier im Gras und konnten uns am Panorama nicht satt sehen.
Der Rückweg über eine Parallelroute führte uns eine Zeit lang an den Rand einer tollen Schlucht. Nach der gestrigen Top-Tour war das hier die Top-Top-Bergtour!
Den nächsten Tag gingen wir gemütlich an und brachen erst am Mittag zu einer relativ kurzen Wanderung auf. Ganz in der Nähe der russischen Grenze gab es zwei Wasserfälle zu bestaunen, die von Schluchten umgeben waren. Geier kreisten dort in den Lüften. Das Wetter war wiederum wunderschön und die Landschaft traumhaft.
Aber am nächsten Tag sollten wir uns von dieser Region verabschieden. Noch im Halbdunklen fuhren wir die Heerstraße Richtung Tiflis. So früh, dass es noch keinen Stau gab. Gute Entscheidung! Die letzten Tage verbrachten wir an der Küste des Schwarzen Meers, besuchten dort noch einen Nationalpark und ließen die Seele im (viel zu warmen) Wasser baumeln.
Schon wenige Tage, nachdem wir wieder zuhause waren, habe ich gemerkt, dass ich in Georgien noch nicht fertig bin. Dieses Land hat Natur im Überfluss! Ein Geheimtipp ist Georgien allerdings nicht mehr. Ich war erstaunt, wie viele Touristen sich an den Hotspots aufhielten. Und bestürzt, wie viel Müll sie dort hinterlassen. Dennoch, ich werde nochmal zurück kommen in dieses atemberaubend schöne Land mit seinen stolzen, gastfreundlichen Bewohnern.