Datum: 24. 07 2001
Autor: Wolfgang Gerlach
Vorgeschichte
Eva-Maria: Du warst doch mit Inge in der Brenta?
Ich: War ich.
Eva-Maria: Dann könntest Du doch bestimmt einen Tourenbericht schreiben!?
Ich spontan: Kann ich.
Eva-Maria: Schön, dann freue ich mich auf Deinen Bericht. Bis dann.
Leichter gesagt als getan: Unerwartete Gedächtnislücken, Stress und Unlust setzten mir zu. Eva-Maria wartet schon lange, aber sie ist hartnäckig, und versprochen ist versprochen.
Hier sind sie, meine (subjektiven) Erinnerungen an eine schöne, erlebnisreiche Tour:
Hauptgeschichte
1. Tag:
Morgens um 4.30 Uhr ging's los. Ich bin mit Inge und Johannes um 16.00 Uhr am Lift in Molveno verabredet. -Rückblende : Der Ort sagte mir nichts, in meinem alten Straßenatlas war er nicht zu finden, aber es gibt ja Internet: Nettersheim als Abfahrtsort, Molveno als Zielort eingegeben, Fahrstil normal angekreuzt, schon wurde eine genaue Route ausgearbeitet, bereit zum Ausdruck und zur gefälligen Benutzung. Ich bin beeindruckt: Fahrzeit 8 Stunden und 2 Minuten.- Es verspricht, ein warmer Tag zu werden, stimmt. Die Investition in die Klimaanlage hat sich gelohnt, die Fahrt lässt sich gut an, die geplante Fahrzeit lässt einige Pausen zu, - man ist ja nicht mehr der Jüngste-, und auch am Brennerpass habe ich die Kreditkarte das erste Mal richtig herum eingeführt. Was soll noch schief gehen?
Ca. 40 Kilometer vor Molveno geht's steil bergauf, die Kurven werden immer enger, ebenso die Straße. Angenehme, abwechslungsreiche Fahrerei. Ich werde von etlichen Motorradfahrern überholt und überhole selbst etliche Radfahrer, die in beeindruckendem Tempo größte Steigungen bewältigen.
Es wir spät, anscheinend bin ich kein "normaler", sondern eher ein langsamer Fahrer. Von Molveno noch nichts zu sehen, aber schon 15.00 Uhr. Eine nächste Kurve, eine letzte Steigung und dann ein beeindruckender Blick auf einen unbeschreiblich blauen und unwirklichen See. Noch wenige Minuten und Molveno ist erreicht. Der Lift liegt an der Hauptstraße, und sogar ein Parkplatz ist frei.
Wenig später sehe ich Inge und Johannes. Noch gemütlich einen Capuccino und Mineralwasser trinken, etwas Proviant in Molveno einkaufen, Rucksack packen und los geht's, zuerst noch mit dem Lift, dann ein kurzer Fußweg und das erste Ziel, das Rifugio Croz dell' Altissimo (1438 m) ist erreicht. Nach Bezug des Lagers haben wir uns das erste Bier verdient, denn schweißtreibend war auch diese kurze Wanderung allemal. Beschlossen wurde der Abend mit einem angemessenen Mahl und angeregter politischer Unterhaltung mit einem Herrn aus den neuen Bundesländern, der viel aus seiner "sozialistischen" Vergangenheit zu berichten wusste. Erste Berichte über ungünstige Wetterverhältnisse konnten uns noch nicht weiter beeindrucken.
2. Tag
Inge und Johannes gehören zu meiner großen Befriedigung nicht zu den "Frühstaufstehern". Nach kurzem, etwas frugalem Frühstück geht es um kurz nach 8 Uhr los. Der Einstieg ist schnell gefunden, und, niemanden wird es überraschen, es ging zunächst bergauf. Inge, die die Tour schon einmal bewältigt hatte und auf deren Führung ich mich vertrauensvoll verließ, verhieß uns steile Aufstiege durch unangenehme Geröllfelder, bis zur Bocca del Tuckett (2649 m). Zunächst sollte sie Recht behalten, später wurde aus dem Geröll Schnee, was den Anstieg nicht unbedingt erleichterte. Zumindest hatte ich Zeit genug, mir Gedanken über überflüssige Pfunde und das süße Leben im Flachland zu machen. Bei der nächsten Tour ist alles anders.
Belohnt wurde unsere Plackerei durch einen tollen Blick zurück von der "Bocca del Tuckett", eine kurze Rast und einen ersten Blick auf den Einstieg zur nächsten Etappe, dem Sentiero Benini, meinem ersten Klettersteig. Ungefähr 400 m unter uns sahen wir das "Rifugio Tuckett e Sella" (2272 m), unser Etappenziel. Durch Schnee, vorbei an Schlitten fahrenden fröhlichen Kindern und Jugendlichen schlitterten wir mehr als dass wir gingen zur Hütte und belegten unser Lager. Mir reichte es für den ersten Tag, und ich versuchte mich mit Hilfe eines Nachmittagsschlafes zu erholen. Inge und Johannes hatten die Anstrengung offensichtlich besser weggesteckt.
Leider war mein Schlaf nur von kurzer Dauer, eine Gruppe schon etwas älterer Herren hatte partout kein Verständnis für mein Ruhebedürfnis und belegte rücksichtslos die noch freien Lager. Ich trollte mich in den Aufenthaltsraum zu Inge und Johannes und ließ es mir bei einem ersten Weizenbier gut gehen, dass nur 8000 LIT (ca. 8,00 DM) kostete, für Alpenvereinsmitglieder wurde großzügigerweise 10% Nachlass gewährt.
Nun war es auch nicht mehr weit bis zum Abendessen. Angeboten wurden einfache, typisch italienische Gerichte wie Minestrone, Nudeln verschiedenster Variationen und einfache Fleischwaren. Inge und Johannes hatten es gut getroffen, ich musste leider die Erfahrung machen, dass halbgare italienische Bratwurst, wenn ich mich recht erinnere, "Salsiccia" genannt, und aufgewärmte Bratkartoffeln vom Vorabend zwar sättigen, aber nicht unbedingt glücklich machen.
Zu uns gesellte sich eine Gruppe noch recht bergunerfahrener Holländer/Innen, die unter Leitung eines Führers am nächsten Tag unsere Etappe in umgekehrter Richtung gehen wollte. Wir waren skeptisch, insbesondere, weil ein junges Mädchen der Gruppe die heutige Etappe offensichtlich nur mit größter Überwindung und unter intensivem Zureden überstanden hatte. Die Angst stand ihr noch ins Gesicht geschrieben. Wir sollten recht behalten.
In unserem Lager schlug uns ein enormer Gestank entgegen. Der Altherrenclub hatte leider seine Schuhe mit auf's Zimmer genommen. Wahrscheinlich schlechte Erfahrungen gemacht. Außerdem schnarchten die Herrschaften enorm, was mich allerdings nicht mehr vom Schlaf abhalten konnte. Angeblich leiste ich auf diesem Gebiet auch einiges.
3. Tag
Frühstück frugal, wie gehabt. Dann ging es mit leichtem Gepäck wieder hoch zur Bocca del Tuckett, wir wollten den Sentiero Benini gehen, meinen und Johannes' ersten Klettersteig, mit dem Rifugio Tuckett als Ziel. 400 m Anstieg durch Schnee, am Vortag ein Genuss, taten richtig weh. Meine Muskulatur war "sauer", trotz vermeintlich intensiver heimischer Vorbereitung. Inge und Johannes zogen leichtfüßig vor mir her, wie machten die das nur?
Endlich an der Bocca angekommen, teilte mir Johannes mit, dass auf der anderen Seite eine Gruppe unseren gestrigen Aufstieg abstiege. Die Herrschaften bewegten sich, sich vorsichtig mit dem Eispickel sichernd, herab. Einer aus der Gruppe hatte, laut Johannes, allerdings eher unfreiwillig, eine schnellere Variante gewählt. Er habe fatal an ein hilflos auf dem Rücken liegendes Insekt erinnert. Offensichtlich war ihm aber nichts passiert, so dass er jetzt ruhig auf seine Kameraden warten konnte. Die am Abend vorher erwähnte holländische Gruppe hat dieses Geschehen allerdings so beeindruckt, dass sie vernünftigerweise ihr Vorhaben aufgab.
Wir legen unser Geschirr an. Einige Meter die Leiter hoch, Karabiner einhängen, Karabiner aushängen, ganz schön lästig und zeitraubend. Dann geht es auf angenehmen Steig weiter, Sicherung ist nicht weiter nötig. Erste Schneefelder zeigen, dass es vor wenigen Wochen noch geschneit hat. Wir stapfen durch Schnee, ich muss mächtig kämpfen, um den Anschluss zu halten. Es folgen leichte Kletterpassagen, und dann stehen wir vor einer Schneerinne. Spuren zeigen, dass wir nicht die ersten sind, mit Sicherheit ist eine Querung nicht sonderlich schwierig und unter normalen Umständen kein Problem, doch es geht etliche Meter steil bergab und das Sicherungsseil, dessen ich jetzt das erste Mal ernsthaft bedurft hätte, ist unerreichbar unter dem Schnee verschwunden. Auf meinen Wunsch brechen wir ab und gehen zur Hütte zurück.
Es ist noch früh am Tag. Ich nutze die Zeit, um mich bei Apfelstrudel und Weizenbier etwas zu erholen, Inge und Johannes fühlen sich noch nicht ausgelastet und begeben sich, mich sicher in der Hütte deponiert wissend, auf eine nachmittägliche Tour.
Ein Gewitter zieht auf, es gießt in Strömen, Wandergruppen aus dem Tal erreichen total durchnässt die Hütte. Ungefähr eine Stunde später ist der Spuk vorbei. Inge und Johannes sind noch nicht zurück. Ich suche einen geeigneten "Handyempfangsplatz", telefoniere mit Zuhause und bin froh, anschließend auf Inge und Johannes zu treffen, die das Gewitter unbeschadet überstanden haben.
Unsere Planung wird modifiziert. Nächstes Ziel ist zwar nach wie die "Alimonta-Hütte", aber der Weg über den Klettersteig wird nach unseren heutigen Erfahrungen und den Erzählungen anderer Wanderer ausgeschlossen. Es liege noch zu viel Schnee und der Weg sei ohne Steigeisen und Seil nicht zu empfehlen. Unser Entschluss steht.
Essen und Trinken an diesem Abend waren, trotz der Erfahrungen des Vorabends, o.k, und nach angeregter Unterhaltung ziehen wir uns auf unser Lager zurück. Die Luft an diesem Abend war erheblich besser.
4. Tag
Frühstück und Aufbruch wie gehabt, diesmal mit normalem Gepäck bei gutem Wetter. Der Abstieg zum "Rifugio Brentèi" ist angenehm und harmlos. Sehnsuchstvoll schweifen unsere Blicke zum von unten zeitweilig einsehbaren "Sentiero Sosat", dessen Begehung wir uns ebenfalls verkniffen hatten. War unsere Entscheidung richtig? Ja!
Das "Rifugio Brentèi" (2182m) ist herrlich gelegen und anscheinend auch gut vom Tal zu erreichen. Es herrschte einiges an Trubel, der sich allerdings schon nach kurzem Anstieg auf dem Weg zum "Rifugio Alimonta" (2591m) verlief. Die Wanderung war angenehm und barg keine Schwierigkeiten. Wir erreichten sie schon zur Mittagszeit und fühlten uns noch nicht ausgelastet. Auch ich hatte mich recht gut erholt. Nachdem wir unser Lager bezogen und das Gepäck verstaut hatten, machten wir uns nach kurzem Imbiss wieder auf den Weg, mit dem Ziel, den Einstieg für den nächsten Tag zu erkunden.
Das letzte Stück des Anstiegs führte natürlich wieder durch Schnee und verhieß so recht nichts gutes, doch wir ließen uns nicht entmutigen. Bald hatten wir die Leiter erreicht, legten unser Klettersteiggeschirr an und machten uns auf den Weg. Es war mittlerweile etwas kälter geworden, leichter Nieselregen beglückte uns und der Griff an die Leiter kühlte die Hände aus, doch dann wurde es richtig schön: auf breitem, ausgesetzten Weg wanderten und kletterten wir weiter. Der Ausblick war phantastisch, ich fühlte mich immer sicherer und hängte mich längst nicht mehr konstant ins Drahtseil ein: das kann ganz schön lästig sein. Und dann kam das Befürchtete: In der Eisrinne lag noch hoch Schnee, vom Sicherungsseil keine Spur. Ein Blick nach unten sagte uns, dass ein Fehltritt an dieser Stelle fatale Folgen hätte. Wir waren uns einig, dass hier, bei aller Enttäuschung, Endstation war. Nicht gerade glücklich, aber überzeugt traten wir den Rückweg an. Wir hatten soeben entschieden, dass aus der angekündigten Tour mit dem Namen "Klettersteige in der Brenta" eine Hüttenwanderung in der Brenta geworden war. Was soll's.
Die Hütte füllte sich allmählich. Wir saßen mit einer Gruppe Herren, die sich schon seit etlichen Jahren immer wieder in der Brenta trafen, und die wir auch schon im "Rifugio Tuckett" gesehen hatten, gemeinsam am Abendtisch. Das Essen war gut, und mit Gesprächen über vergangene Touren, sportliche Ausdauerleistungen (Ich fühlte mich zeitweilig recht mickrig.)wurde bei mitunter beachtlich hohem Alkoholkonsum ein gemütlicher Abend beschlossen. P.S.: Das Weizenbier kostete -wie gehabt- 8000 LIT, allerdings ohne Preisnachlass.
Das Lager war klein und mit 5 Personen wirklich bis in den letzten Winkel ausgefüllt. Über zu viel Sauerstoff und Unterkühlung brauchten wir nicht zu klagen.
5. Tag
Zurück ging es zum "Rifugio Brentèi", dann über den "Sentiero dei Brentèi" über die "B. di Brenta" (2549 m) zunächst zum "Rifugio Pedrotti", einer neuen (oder renovierten) Hütte, die mit ihrem (noch) roten Kupferdach sehr schön anzuschauen ist. Der Ausblick von der Terrasse ist faszinierend und sollte unbedingt in Verbindung mit dem hauseigenen Apfelstrudel genossen werden. Pinienkerne machten ihn, den Strudel, besonders apart.
Vom "Rifugio Pedrotti" ging es weiter über den "Sentiero Palmieri" auf zunächst angenehmem Fels mit großartiger Aussicht über die "Forcolotta di Noghera" zum "Rifugio Val d' Ambièz" (Rifugio Silvio Agostini). Die wunderschöne Hütte entschädigt für den eintönigen Wanderabschnitt nach der "Forcolotta di Noghera" mit angenehmem Ambiente, gutem Essen, freundlichem Hüttenwirt und last not least einer heißen Dusche. Wir beendeten den Tag bei Wein und Weizenbier (8000 LIT) bei freundlich auf das Blechdach prasselndem Regen am Kaminfeuer.
6. Tag
Der Abstieg durch das "Val d' Ambièz" (ca. 1600 hm) nach "Lorenzo in Banale" war aussichtsreich, lang und kniebelastend. Das Wetter war zunächst angenehm sonnig, dann angenehm warm, zuletzt drückend warm. Das Mittagessen in Lorenzo mit reichlich Mineralwasser hatten wir uns redlich verdient, wobei ich allerdings das Gefühl hatte, dass die Bedienung unsere Nähe nicht unbedingt suchte, obwohl wir doch dem dringenden Bedürfnis, unsere Schuhe auszuziehen, nicht nachgaben.
Nach dem Essen und kurzer Rast im nahegelegenen Wald strebten wir unserem End- und Ausgangspunkt, dem Lift in Molveno entgegen. Unser Stolz verbot uns, das letzte Stück des Weges mit dem Taxi zurückzulegen, und es war recht getan, denn nie wieder wird mir ein Radler so gut tun wie das bei der Ankunft in Molveno. Ich denke, Inge und Johannes werden mir zustimmen.
Bald waren wir am Lift, und es hieß, Abschied zu nehmen. Inge und Johannes auf dem Weg nach Hause (oder doch noch einen Abstecher in das Schlerngebiet?) und ich zu weiteren, wie sich im Nachhinein herausstellte, ereignisreichen Tagen zum "Rosengarten".
Es ist geschafft, und es bleibt nur noch anzumerken:
Ich habe jede, auch "schwere" Minute genossen und bedanke mich bei Inge und Johannes für die schöne Tour.