Am Samstag, dem 21. Juli 1990 starteten wir, jeder von einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit, um gemeinsam die Tauerntour zu bestreiten.
Treffpunkt war die Johannishütte auf 2121m Höhe, die von einem Parkplatz nahe dem Ort Hinterbichl im Virgental. Osttirol, in etwa 2.5 Stunden zu erreichen ist. Durch Zufall traf sich bereits auf dem Parkplatz die Mehrzahl der Teilnehmer. Es waren Rudi Berners, Stefan Engel, Josef Schneider. Markus Schröder. Rudi Thoß, Monika Johanna Vogt. Bernd Voss und ich selbst. Wir stiegen gemeinsam zur Hütte auf, wobei wir öfters von den Taxibussen überholt wurden, die ebenfalls auf dem Weg zur Hütte waren. Die Vorfreude auf die bevorstehende Tour ließ uns den Hüttenaufstieg mit schnellem Schritt beginnen. Nach ein paar Pausen kamen wir Bei "unserer" ersten Hütte des Tauerntour frohen Mutes an. Dort stießen wir auf weitere Teamkollegen: Ingrid und Eckhard Klinkhammer. Und eine Stunde später vervollständigte sich unsere Gruppe durch das Eintreffen von Harald Esser, Bernd Hergarten und Birgit Ziegenhagen.
Mehr oder weniger zufrieden besprachen wir nach dem Essen das Programm des nächsten Tages. Ursprünglich war vorgesehen, zum Zweck der Höhenanpassung einige leichte Klettereien im I. und II. Schwierigkeitsgrad zu bewältigen und nachmittags wieder zur Hütte zurückzukehren. Da der Herrgott einen in den Bergen nicht jeden Tag mit so herrlichem Wetter empfängt, wollten wir keine Zeit vergeuden, und die erste Etappe Richtung Großvenediger, bis zum Defreggerhaus, angehen. Dabei würden wir zwecks Training und Akklimatisierung den Umweg über Zopetscharte und Wallhorntörl machen.
Die Nacht in der Johannishütte war zwar eng, jedoch zum Kennenlernen der Kollegen sehr begrüßenswert. Nach dem Frühstück ging es am Sonntag morgens um 6 Uhr los. Der Aufstieg begann gleich bei der Hütte. In Serpentinen ging es über einen Grashang, später über Geröll und einen gut ausgetretenen Pfad. Am Rande eines Kars führte der Weg bis zur Zopetscharte. Der größere Teil der Gruppe blieb nahezu geschlossen beieinander. Ingrid. Eckherd, Stefan und ich waren zurückgefallen. Ingrid wegen Atembeschwerden, wie sich später herausstellte. Stefan und ich eher wegen konditioneller Schwächen. Aber schließlich kamen wir alle auf der Zopetscharte (2958m) an. Ingrid und Eckherd beschlossen, die Tour abzubrechen und ins Tal abzusteigen, weil Ingrids Atembeschwerden immer schlimmer wurden. Auf die übrigen Teilnehmer wertete jetzt der erste Gegenanstieg. Warum nur wieder absteigen, wenn man doch schon wertvolle Höhe gewonnen hat?
Nach etwa 400m Abstieg folgte dann nach einer kurzen Pause der nächste Anstieg. Zuerst 400m durch Geröllhänge, dann über steile Schneefelder bis zum Wallhorntörl (3045m). Dieser letzte Aufschwung über die Schneefelder war wohl der schwierigste Teil der ganzen Tagesetappe. Am Wallhorntörl machten wir eine kurze Pause und legten unser Gurtzeug an, um für den weiteren Weg über den Gletscher gerüstet zu sein.
Wir mußten zunächst entlang einiger Drahtseile ungefähr 40m zum Gletscher abklettern, um uns dann auf dem Gletscher anzuseilen. Wir teilten uns in zwei Seilschaften, von denen Rudi die eine und Stefan die andere führte. Jeder von uns hatte für den Gletscher wohl seine eigenen Erwartungen und Befürchtungen. Bei den meisten war wohl die Spannung größer als irgendwelche Ängste. Rudi unterstützte diese Tendenz in dem er uns zunächst die offensichtlichen Gletscherspalten zeigte und uns allgemein beruhigte, was an sich nicht nötig gewesen wäre.
Als wir jedoch losgingen, zeigte uns der Gletscher eindrucksvoll, daß er über allerlei Falltüren verfügt. Als Rudi schon nach 50m auf dem Gletscher in eine Spalte stürzte, die auch er nicht erkennen konnte, weil eine Spur genau über den Verlauf der Spalte führte, war uns klar, warum er uns beruhigen wollte. Rudi konnte den vollkommen unerwarteten Sturz mit seinen Armen abfangen und sich selbst wieder aus der Spalte befreien. Zum Glück riß er mich nicht mit hinein, da ich an zweiter Stelle ging. Rudi machte uns klar, daß sich etwa die halbe Mannschaft auf dieser Spalte befand.
Wir gingen vorsichtig, durch seinen Sturz gewarnt, einige Schritte seitwärts weg von der Gletscherspalte. Der weitere Verlauf unserer Gletscherquerung wer weniger aufregend. Wir gingen mit Steigeisen und Grödeln über Blankeis und sprangen über die Eisspalten. Auf der Hütte in 2962m Höhe angekommen vollzogen wir das Ritual des allabendlichen Hüttenzaubers, welcher jedoch aufgrund der Weglänge von etwa 8 Stunden kärglich ausfiel. Das Defreggerhaus war so ausgestattet, wie es für Hütten in dieser Höhe normal ist: Plumpstoiletten und kaltes Wasser, woran wir uns mittlerweile gewöhnt hatten. Am nächsten Morgen gingen wir früh los. Um 6 Uhr stiegen wir von der Hütte aus über einen Grat in Richtung des Großvenedigers. Nach einer Stunde legten wir auf einem Schneefeld unsere Gurte an und bildeten wieder zwei Seilschaften. Über einen steilen, beinhart gefrorenen Firnhang ging es zügig bis zu einem Gletscherplateau hinauf. Dort mußten wir wegen blankem Eis die Steigeisen anlegen. Nachher erschwerte Bruchharsch das Weiterkommen. Immer wieder brechen wir durch die gefrorene Schneedecke.
Wir gingen zur Scharte zwischen Reinerhorn und Schwarze Wand und seilten uns über eine blanke Eiswand von etwa 55 und 40m Höhe ab. Bernd setzte zwei Eisschrauben in der Wand, damit Rudi, der als letzter abklettern mußte, nicht völlig ungesichert war.
Nach einer halben Stunde waren wir alle wieder zusammen und gingen zum Gipfelhang des Großvenedigers. Über Spalten und lockeren Schnee stießen wir auf den Originalweg, den wir bis zum Gipfel verfolgten. Der Weg wurde mit zunehmender Höhe immer steiler. An der Stelle wo ich dachte: „So. Jetzt bleibste hier stehen und rührst dich nichmehr vom Fleck", hatten wir auch das Gipfelplateau erreicht. Wir warteten auf die zweite Seilschaft um gemeinsam den Gipfel zu betreten. Bernd Voss jedoch konnte es nicht erwarten und ging schon vor. Kurz vor dem Gipfel gab es noch ein Bonbon in Form des schmalen Gipfelgrates. Dann Gipfelglück auf 3667m Höhe und obligatorisches Foto. Wir stiegen Richtung Venedigerscharte ab. Weiter über den Gletscher und einen Moränenrücken zur 1100m tiefer gelegenen Kürsingerhütte, deren Komfort uns zum Staunen brachte. Unser Entschluß stand fest: "Einen Tag Pause auf dieser Hütte."
Am nächsten Morgen ließen wir alles extrem ruhig angehen: Aufstehen nach Wahl und gemütlich Frühstücken. Und dann boten sich uns an diesem Tag zwei Möglichkeiten, denselben zu verbringen. Entweder Eisausbildung mit Rudi oder Botanik mit Birgit und Bernd. Zu sechst gingen wir zur Eisausbildung. Stefan mußte wegen Gelenkschmerzen am Knöchel leider ganz in der Hütte bleiben. Von Rudi lernten wir das Gehen auf Blankeis mit Steigeisen und Klettern im steilen Eis. Die Botaniker fotografierten mancherlei Grünzeug und badeten nachher in einem Tümpel in unmittelbarer Nähe des Gletschers. Nachmittags trafen wir uns in der Hütte und zauberten noch ein wenig. Der nächste Tag kann ohne Übertreibung als der anspruchsvollste unserer Tauerntour bezeichnet werden. Wir standen um 5 Uhr auf und machten uns für den Start fertig. Wir mußten zunächst von der Hütte aus ein gutes Stück absteigen. Über den Gletscherboden querten wir dann zu einer breiten Felsrippe, die dann erstiegen werden mußte. Der Aufstieg war teilweise mit Drahtseilsicherungen versehen. Recht zügig erreichten wir dann den Einstieg auf den großen Gletscher, über den wir zum Maurertörl gehen wollten.
Wir seilten uns an und schmückten uns reichlich mit Sonnencreme. Einer von uns sah aus wie ein Leuchtturm. Zunächst stiegen wir am linken Ufer des Gletschers entlang empor um denn am anderen Ufer über eine Rampe zum Maurertörl zu gelangen. Auf dem letzten Stück zum Maurertörl waren wir etwas langsamer und Rudi hielt zur Eile an, damit der Abstieg über den Gletscher nicht zu spät würde und wir durch aufgesulzten Schnee gehen mußten. Nach einer kurzen Pause auf dem Maurertörl stiegen wir also wieder einmal etwa 100 Höhenmeter ab und querten dann den Gletscher in Richtung Großer Geiger. Ein paar Spalten wurden umgangen. Über andere mußten wir springen. Es ging jedoch gut vorwärts. Nach etwa anderthalb Stunden stiegen wir steil zum Gipfel auf. Über grausig aussehende Schneebrücken überschritten wir zwei große Spalten. Nachher stiegen wir über Firn und ein Geröllfeld. Wir wechselten die Führung der Seilschaften, damit die Spurarbeit im bis zu 40° steilen Firn gleichmäßig zu verteilen.
Auf dem Gipfel gab es ein wahnsinniges Panorama. Nachdem wir uns auf dem Gipfel des Großen Geigers (3360m) gestärkt hatten, stiegen wir, diesmal wirklich in Eile wegen dem weichen Schnee, wieder ab. Um der Spaltengefahr zu entgehen, entschied Rudi, auf dem kürzesten Weg den aperen Teil des Gletschers zu erreichen. Das ist der Teil des Gletschers, auf dem man, weil kein Schnee die Spalten verdeckt, jedes Loch sehen kann. Probleme hatten die Teilnehmer mit Grödeln. Die Sprünge über die Spalten auf dem recht griffigen Eis des Gletschers führten bei manchen Kameraden zum Lösen der Grödel. Ich glaube, kein Teilnehmer nimmt es mir übel, wenn ich sage, daß der Weg runter über den Gletscher wohl die größte Stolperei bei dieser Tour war. Aber nichts desto Trotz kamen wir sicher und schnell unten an.
Der Gletscher endete in einem Geröllfeld dem sich ein grünes, sehr schönes Flußtal anschloß. Getrennt, jeder so wie er es für richtig hielt, gingen wir noch zwei Stunden bis zur Essener-Rostocker Hütte (2208m).
Bei der Hütte angekommen waren wir alle sozusagen hinüber. Dieser Tag auf den Beinen hatte für uns 13 Stunden gedauert. Die allgemeine Stimmung bei den Teilnehmern war jedoch, daß dieser Tag leichter gefallen war als die Gipfeltour zum Großvenediger.
Am vorletzten Tag dieses Ausflugs hatten wir alle wieder einmal Ruhe nötig und zu diesem Zweck splitterten wir uns wieder. Unsere Botaniker beschäftigten sich mit Blümchen, Monika und Josef bestiegen einen kleinen Hügel und besichtigten einen Gletschersee. Rudi und Rudi. Stefan, Markus und ich gingen zu einem etwa 10 Minuten entfernten Bach und machten Urlaub in den Bergen. Wir hatten das Nötigste und Karten dabei. Wer an dieser Stelle denken wird, es war eine Orientierungsstunde mit Rudi geplant, liegt daneben. Wir hatten ein simples Kartenspiel dabei, was uns im Laufe des Tages sogar noch etwas zu Essen beschaffen sollte. Wir spielten also in kleinkindlicher Manier so vor uns hin, bis es uns zu höherem drängte. Wir begannen Karten zu spielen.
Nach wenigen Spielen mit steinernem Einsatz wurden wir risikofreudiger und begannen darum zu spielen, wer zur Hütte geht und Fritten mit Ketchup für uns besorgt. Das Votum des Schicksals fiel auf Markus, der sich, dadurch sichtlich schlechter Laune, letztlich aber doch auf den Weg machte und tatsächlich nach 20 Minuten später im Rivercamp mit einem Tablett Fritten zur sichtlich großen Freude der "daheim Gebliebenen" eintraf.
Als die Fritten verköstigt waren drang es fast alle nach einem Weizenbier, welches dann von meiner Person zur Abrundung der Gerechtigkeit besorgt wurde. Aber leider hatte auch dieser wunderschöne Tag ein Ende. Wir gingen zurück zur Hütte und -aßen??- alle zusammen zu Abend.
Danach feierten wir noch ein wenig den Erfolg unserer Tour, da am nächsten Tag nicht mehr all zuviel folgte. Am letzten Tag dieser Tauern-Tour überschritten wir noch das Türmljoch, was bis 15 Uhr geschehen war. Wie gewohnt legten wir auch auf dieser Etappe unserer Faulheit folgend eine lange Pause incl. Sonnenbad ein. An der Johannishütte angekommen, ruhten wir uns abermals aus und machten noch ein Abschlußfoto.
Die letzte Nacht verlief wie gewohnt ruhig. Am nächsten Morgen trennten sich unsere Wege schon vor dem Frühstück.