Irgendwie hat uns das Frankreich-Fieber gepackt! Nach den schönen Erfahrungen in den Cevennen im letzten Jahr, zog es mich und meinen Freund Manfred nun noch ein wenig weiter in den Süden dieses vielseitigen Landes. Die Verdon Schlucht – da wollte ich doch schon immer mal hin!
Nachdem wir nach der Anreise in Nizza bereits in den warmen Wellen des Mittelmeers gebadet hatten, brachte uns ein Fernbus zum Startpunkt unserer Wanderreise: Castellane.
Scheint wohl einer der schönsten Orte der Welt zu sein. Enge Sträßchen, alte Häuser... alles recht schnuckelig, so wie unser Puppenstübchen-Zimmer im Chambre d'Hotes. Nach zwei vorangegangenen Unterkünften der krassen Gegensätze (ein ultramodernes Hotel in Frankfurt mit dem Charme eines Atombunkers, in dem wir während einer Hochzeit untergebracht waren, sowie ein heruntergekommenes Hostel in Nizza) sind wir nun endlich da angekommen, wo es uns gefällt.
Für den nächsten Tag, den Beginn unserer Rundwanderung in und um die Verdon-Schlucht, war Regen gemeldet, und zwar ganztägig. Leider hatte die Wettervorhersage Recht: es regnete morgens um 9 Uhr schon in Strömen. Der Einstieg in den richtigen Weg gestaltete sich zunächst schwierig, was daran lag, dass Karte und Wegbeschreibung nicht ganz übereinstimmten. Also wanderten wir ein bisschen hin und her, die Straße rauf, die Straße runter, bis dass es endlich geklappt hat. Auf dem GR 4 in Richtung Villar-Brandis gab es die ersten schönen Ausblicke hinunter auf den Verdon, sogar im Regen. Und dann führte uns ein Waldpfad hinauf nach Villar, wo wir die vereinzelten alten Häuser bewunderten und Brombeeren und Äpfel vom Wegesrand naschten.
Auch der Weiterweg nach Brandis, einem Ruinendorf mit nur noch einem Einwohner, war sehr einladend. Die Landschaft wurde immer bergiger und spektakulärer, es gab Aussichten auf erstaunlich grüne Berge und auch auf Felsformationen. Es war Gott sei Dank auch nicht so verhangen, dass man gar nichts sehen konnte. Wenn der Regen weniger wurde und sich zu einem leichten Landregen ausdünnte, konnte ich ihm zeitweise sogar etwas abgewinnen. Und wenn es nur der Gedanke war, wie dankbar der Boden, jeder Grashalm und jede Blume nach dem Wasser lechzt.
Um nach Brandis zu gelangen, mussten wir mehrmals eindringliche Warnschilder ignorieren, die uns darauf hinwiesen, dass es sich bei den Ruinen um Privatbesitz handelt. Gestört haben wir an diesem nassen Tag jedoch niemanden. Zurück auf dem richtigen Weg trafen wir dann wieder auf den GR 4, dem wir nun bis zu unserem Zielort Chasteuil folgen würden.
In dieses niedliche Dörfchen habe ich mich sofort verliebt. Es gibt dort vielleicht sechs Häuser und ein Gästehaus, nämlich unseres!
In unserem liebevoll eingerichteten Chambre versuchten wir irgendwie, unsere klatschnassen Sachen zu trocknen. Pascal, der Inhaber der Gite, verwöhnte uns wenig später mit einem vorzüglichen Essen und leckerem Wein. Er stammt ursprünglich aus der Normandie und freut sich, immer wieder mit Gästen in Kontakt zu kommen.
Schon früh wurde ich am nächsten Morgen wach. Schuld war die Sonne, die mit prächtigen Farben ins Zimmer leuchtete. Schnell zog ich mir eine Jacke über und ging hinaus, um ein paar Fotos von diesem herrlichen Sonnenaufgang zu machen. Was für ein Unterschied zu gestern! Jetzt konnten wir alles in Farbe sehen, was gestern im Grauschleier schon so schön aussah.
Der Weiterweg ging den GR 4 entlang, zunächst aufwärts durch Wald, mit tollen Aussichten auf die Berge und Felsen, danach auf eine Hochebene. Die Sonne lachte uns an und wir kamen bereits ins Schwitzen. Am höchsten Punkt stand eine verfallene Schäferhütte, wo wir kurz rasteten. Interessant ist, dass wir bisher noch auf keine anderen Wanderer gestoßen sind. Gut, das war gestern wegen des schlechten Wetters nicht verwunderlich. Aber auch heute wandern wir ungestört alleine.
Hinter der Schäferhütte lösten wir erfolgreich noch ein kleines Orientierungsproblem und dann ging es bergab nach Rougon, ein zauberhaft an einem Felsen klebendes Dörfchen. Dort ließen wir es uns in einer Creperie gut gehen und bestaunten eine Wahnsichts-Aussicht in die Verdon Schlucht. Hoch oben kreisten jede Menge Geier über uns. Worauf waren die wohl aus???
Der Weg weiter nach La Palud sur Verdon führte vorwiegend durch Wald über sehr schöne Pfade. Leider war es da aber auch mit Wildnis und Einsamkeit vorbei. Nicht, dass sehr viele Wanderer unseren Weg kreuzten, aber es war einfach mehr los als bisher. In La Palud angekommen, freuten wir uns auf unsere Unterkunft mit dem schönen Namen Le Perroquet Vert (der grüne Papagei). Das Zimmer ist nicht zu toppen: alles uralt, Steinboden, die Treppe eng und schmal, das Bad in eine Nische gebaut mit einem Türsturz für Kinder. Ich jedenfalls habe mich gleich daran gestoßen.
Der Ort La Palud ist auch nicht groß, aber er liegt an einer Durchgangsstraße und ist entsprechend belebt. Es gibt ein Chateau und eine schöne Kirche, die aber leider nicht offen war.
Am nächsten Tag stand die Königsetappe unserer Wanderung an: der Sentier Blanc Martel, der uns in die Tiefen der Verdon Schlucht bis zum Point Sublime führen sollte. In La Maline, am Startpunkt des Sentier Blanc Martel, schien die Hölle los zu sein. Alle Wanderer gingen wohl gerade zur gleichen Zeit los. Wir reihten uns ein. Es ging abwärts - natürlich -, erst mal nach unten in Richtung Wasser. Die Ausblicke waren schon jetzt berauschend, aber es sollte natürlich noch viel besser kommen. Nach dem ersten Abzweig verlief es sich tatsächlich ein wenig mit der Menschenmenge. Dort, an diesem Abzweig, wurde auch nochmal eindringlich darauf hingewiesen, dass es sich hierbei um eine sechsstündige, herausfordernde Wanderung mit ausgesetzten Stellen und „ohne Fluchtmöglichkeit“ handelt. Dankend nahmen wir die Herausforderung an.
Es ging erstaunlich viel durch Waldgebiet, immer schmalen Pfaden entlang, mal steinig, mal gut zu laufen. Der Weg – immer noch der GR 4 – führte an mehreren Stellen hinunter zum Verdon-Ufer, um dann wieder steil und teilweise auch mühsam bergauf die Felsflanken hoch zu gehen. Ja, die Felsen..... immer enger standen sie beieinander, und wieder kreisten Geier über ihnen.
Den Abstecher zu einem Aussichtspunkt namens Mescla nahmen wir auch noch mit und machten dort Picknick. Es handelte sich um eine Felsplattform über dem Wasser, die ich mir jedoch irgendwie spektakulärer vorgestellt hatte.
Anschließend ging es nur noch nach oben, am Ende über hohe Felsstufen, was ich als sehr anstrengend empfand. Dann gab es erneut einen tollen Aussichtspunkt, zu dem man jedoch mithilfe einer angebrachten Eisenstange hinaufklettern musste. Von da aus ging es dann sehr steil 252 Treppenstufen hinunter. Tja, schwindelfrei muss man hier schon sein, sonst wird man unglücklich. Und als wir dieses Abenteuer hinter uns hatten, mussten wir wieder nach oben. Ganz nach oben! Nur um dann alle Höhenmeter erneut abzusteigen. Unten wieder am Fluss angekommen, fanden wir eine schöne Stelle zum pausieren. Eine Pause hatte ich auch wirklich nötig. Das Wasser des Verdon ist eiskalt, aber trotzdem wagten wir uns ganz hinein, ich auch zweimal. Das Baden im Fluss hatte mich so erfrischt, dass der Weiterweg sehr locker ging. Wir erwarteten die angekündigten Tunnel, doch sie kamen und kamen nicht. Dafür wurde die Schlucht immer spektakulärer; nicht umsonst wird die Verdon Schlucht auch als Grand Canyon Europas bezeichnet.
Allmählich kamen uns Tagestouristen entgegen, eindeutig erkennbar an ihren Turnschühchen und Handtäschchen. Also konnte es bis zum Ende des Weges nicht mehr so weit sein. Und ja, endlich war der erste Tunnel in Sicht. Kurz und knapp. Dahinter folgte gleich der zweite. Lang und dunkel. Wir gingen im Schein unserer Taschenlampen durch den stockdunklen Tunnel. Na, wenigstens war er groß genug. Und er hatte ein paar „Fenster“, Ausgucke auf den Fluss und die Felsen. Am Ausgang dieses Tunnels fanden wir Kletterer und Wassersportler vor, die ihren ganzen Kram nach oben auf den Parkplatz am Couloir Samson schleppten. Der GR 4 ging nun ein letztes Mal bergauf, was nochmal ein wenig schlauchte, bis zum Point Sublime. Unsere Auberge hier hat dieses Mal nicht wirklich Charme, aber ein Bett und eine Dusche, hallelujah!
Nach dem anstrengenden Tag gestern stand für heute eine recht kurze und laut Beschreibung „sanfte“ Etappe an. Dennoch gibt es einige Höhenmeter zu bewältigen. Erst ging es entlang des GR 49 bergab bis zu einer steinernen Brücke, um danach stetig und lange anzusteigen. Der Weg ging dort hauptsächlich durch Wald, schönen Wald, und die Ruhe heute stand im Gegensatz zur gut besuchten Wanderung gestern. So konnte ich in meinem Rhythmus langsam bergauf gehen und meinen Gedanken freien Lauf lassen. Irgendwann zweigte der GR links ab, wir aber gingen einen verwunschenen Pfad geradeaus weiter. Dieser führte zu einem Logenplatz mit Aussicht auf die Verdon-Felswände, dieses Mal von der anderen Seite gesehen. Es ist ein lauschiges Plätzchen, mit Stille unter dem blauen Himmel. Nur die vielen Insekten brummen und summen um uns herum. Der Weiterweg von unserem Rastplatz war immer noch ziemlich zugewachsen. Er führte lange bergauf, ziemlich steil und keineswegs immer nur sanft, wie die Wegbeschreibung es uns weis machen wollte. Später stießen wir wieder auf den GR 49, dem wir bis nach Trigance folgen sollten. Doch dazwischen lagen noch ein paar Höhenmeter und Kilometer, die sehr einsam und wunderschön waren. Nachdem wir die höchste Stelle bei 1099 m überquert hatten, wechselte die Landschaft kolossal. Sie erinnerte uns ein wenig an die Cevennen. Weite Sicht auf Berge und Hügel, alles sehr grün. Der Weg nach Trigance führte letztlich noch einen Pfad an einem Hang entlang und durch den Wald. Dann trafen wir auf einen breiteren Feldweg, der uns schließlich in den Ort führte.
Als wir mit unseren dicken Schuhen und großen Rucksäcken an dem für uns vorgebuchten Hotel in Trigance ankamen, kamen wir uns zunächst etwas verloren und unpassend vor. Schließlich sah es so fein aus und hatte einen kleinen Pool. Aber das war natürlich Quatsch, denn man begrüßte uns schon herzlich und ließ uns das Zimmer selbst auswählen. Wir entschieden uns für eines auf der Südseite, nicht zuletzt wegen der eigenen kleinen Terrasse mit Blick und Zugang zum Pool. Den haben wir natürlich auch genutzt.
Das Dörfchen Trigance hat einen besonderen Charme. Die Häuser sind alt, es hat einen Dorfplatz und eine Burg. Die entpuppte sich zwar als Hotel mit Bar, aber der Aufstieg dahin hat sich dennoch gelohnt. Unser Essen gab es im einzigen Restaurant auf dem Dorfplatz und beim Rückweg zum Hotel blickten wir auf einen Vollmond, der uns orangefarben, groß und grandios erleuchtete!
Von Trigance aus ging es nach einem reichhaltigen Frühstück ganz lange sanft bergab. Dann kamen wir an der Brücke Pont de Carajuan an und mussten ein wenig der viel befahrenen Straße nachlaufen. Erst nachdem wir eine weitere Brücke überquert hatten (Pont de Soleil), konnten wir allmählich in den Wald abbiegen. Hier ging es dann bergauf bis zu einer Wiese mit Gebetsfahnen. Die gehörten zu einem buddhistischen Zentrum, das weiter oben gelegen war. Mehrere Gebäude, zwei Stupas und noch mehr Gebetsfahnen gab es dort. Es wäre interessant gewesen, etwas über dieses Chateau de Soleil zu erfahren. Aber wir trafen dort keine Menschenseele an. Ab hier erfolgte dann der eigentliche Aufstieg bis zum höchsten Punkt, einem Pass auf 1155 m. Laut Karte sollte es übel steil werden. Es war traumhaft schön, diesem versteckten und fast ganz zugewachsenen Pfad zu folgen. Am Hang entlang und die steilsten Stellen hinter uns, konnte man das Chateau de Soleil ganz tief unten sehen. Erstaunlich, wie schnell man doch Höhenmeter macht. Nach einigen Serpentinen und tollen Ausblicken war dann auch die höchste Stelle, der Col, erreicht.
Der Weg nach unten war lang, führte aber immer am Hang entlang, so dass wir auf der gegenüberliegenden Seite einen tollen Überblick über unsere Route vom ersten Tag hatten. Die Aussichten waren grandios, es handelte sich wirklich um eine Panoramawanderung. Dieser Pfad war aber auch durchaus alpin. Es gab ausgesetzte Stellen und enorm steile Geröllhänge, die zu queren waren. Somit war auch etwas Konzentration vonnöten. Der Weg zog sich gefühlt ewig hin und wir wanderten hoch oben über dem Tal. In der Ferne sah man Castellane. Irgendwann kam der Ort auch mal näher und irgendwann ging es dann auch mal nach unten, wenn auch jetzt steiler. Hinter einem Bach kam nochmal ein kurzer Aufschwung, bevor wir über die Straße, die Gott sei Dank nicht stark befahren war, nach Castellane hineinliefen.
Hier endete unser Abenteuer Verdon nach einer sechstägigen Rundwanderung, die uns mit zauberhaften Eindrücken verwöhnt hatte.