Ich liebe Esel! Die meisten Leute, die mich kennen, wissen das. Und so war es auch nicht verwunderlich, dass ich noch mal eine Wandertour mit einem Esel machen wollte. Vor 4 Jahren sind mein Freund Manfred und ich gemütlich mit einer Eselin durch die Cevennen gewandert; nun sollten es die Gorges du Tarn und die darüber liegende Hochebene Causse Méjean sein – wiederum in Begleitung eines Langohrs.
Auf diesen konnten wir schon am Vorabend der Tour einen Blick werfen: Ein wunderschöner Grauer mit pelziger Stirn und flauschigen Ohren, der auf den Namen Giroffle hört oder manchmal (in verliebten Momenten...;-)) auch gerne Gigi genannt wird. Das mit dem Verlieben klappte meinerseits auf Anhieb, aber das war ja wieder zu erwarten. So zogen wir also los, zwei Zweibeiner und ein leicht bepackter Vierbeiner, für den es die erste Wandertour nach der Winterpause war. Eine Woche sollten wir drei gemeinsam unterwegs sein. Alle Unterkünfte waren vom Veranstalter vorgebucht, einschließlich gutem Essen und Lunchpaket. Nur gehen mussten wir selbst, und dabei den in der Karte markierten richtigen Weg finden.
Die ersten beiden Tagesetappen verliefen oberhalb des Flusses Tarn. Der schmale Pfad bot immer wieder tolle Aussichten in die Schlucht, ging aber auch durch Wald, der uns mit seinem frischen hellen Grün des Frühsommers und den vielen duftenden Blüten bezauberte. Giroffle ging brav und zügig mit uns. Er schien nicht ganz so verfressen wie viele seiner Artgenossen zu sein und ich glaube, er genoss es genau wie wir, unterwegs zu sein. Das Wetter spielte ja auch mit und belohnte uns mit ausgiebigem Sonnenschein, was übrigens die ganze Woche so bleiben sollte.
Gegen Ende der ersten Etappe entdeckte Manfred, dass die Sohlen seiner Wanderschuhe sich ablösten, und zwar großflächig. Was nun? Der Ärger war groß und die Angst, dass unsere Tour vielleicht schon am ersten Tag zu Ende gehen könnte, noch größer. Doch im Etappenort Les Vignes angekommen, konnte ihm das nette Hotelpersonal aus der Patsche helfen: Einige Anrufe später (wo auch immer.... denn das nächste Schuhgeschäft war 30 km entfernt) waren neue Wanderschuhe in Größe 44 beauftragt, die am nächsten Morgen anprobiert und für gut befunden wurden. Ganz viel Glück gehabt!
Unser Eselchen stand derweil auf seiner Weide unterhalb unseres Zimmers und rief iaaaahh. Ich glaube, er fühlte sich einsam und wir schauten noch mal nach ihm.
Am nächsten Tag schlängelte sich der Wanderpfad erneut oberhalb des Tarn entlang. Bei einer Picknick-Pause auf einer felsigen Aussichtskanzel über der Schlucht hörten wir von unten einen Hornbläser, der mit wirklich guten Tönen die Stille durchbrach. Giroffle nutzte die Pause, um sich ausgiebig auf dem staubigen Boden zu wälzen. Er ist schon ein toller Kerl, unser Gigi. Selbst umgekippte Baumstämme und steiniges Gelände stören ihn nicht. An einer sehr engen Stelle bergauf zwischen den Felsen mussten wir ihm die Packtaschen abnehmen. Der arme Manfred musste etwa 50 Meter das ganze Equipment hinauf tragen, während ich den Esel führte. Beim anschließenden Aufstieg steil über Felsstufen hat mich Giroffle richtig angetrieben. Bergauf bin ich ja eher langsam unterwegs, und wenn ein Esel mich schon überholen will.......?
Wir übernachteten in La Malène, einem schönen kleinen Örtchen am Tarn.
Der nächste Morgen begann sofort mit einem steilen, steinigen Aufstieg von 500 Höhenmetern. Unser Eselchen erstaunte uns kolossal, wie er langsam und stetig das steile Gelände erklomm und dabei sogar an einer Stelle über eine tischhohe Felsstufe springen musste. Ja, springen! Packtaschen abgenommen, einer geht vor und lässt ihm Leine, und dann – schwuppdiwupp – hüpfte er nahezu elfengleich die Stufe hoch ;-). So kamen wir doch schon bald in ein kleines Dorf, wo es – wie überall hier – herrlich ruhig war und wir an einem Brunnen unsere Wasservorräte auffüllten. Auch Gigi hat einen ganzen Eimer Wasser weggeschlürft. Danach betraten wir zum ersten Mal die Causse Méjean mit ihrem völlig anderen Landschaftsbild. Noch weitere Dörfer haben wir durchquert, eins schöner als das andere. In Caussignac waren wir die einzigen Gäste in einer rustikalen, schön gelegenen Unterkunft. Freundliche Menschen, eine Wiese voller Löwenzahn für Gigi, was offenbar zu seinen Leibspeisen zählt. Der wuschelige Freund hatte heute einiges geleistet.
Der Besitzer der Gîte ist ein Liebhaber lokaler Spezialitäten und ein toller Koch, woran er uns gerne teilhaben ließ.
Giroffle hat uns am Morgen wieder mit iaaaahhh begrüßt. Auf dem anschließenden Weg hat er uns aber erstmalig ein paar Nerven gekostet, denn er blieb immer wieder stehen. Irgendwelche Viehcher haben ihn wohl genervt, ständig scheuerte er sich an den Bäumen. Einmal mussten wir wirklich alle Tricks anwenden, die wir kannten, bevor er weiterging. Aber dann erreichten wir Hauterives, ein paar alte Häuser mit einer tollen Badestelle am Tarn, wo wir idyllisch picknickten. Hier hörte man die Frösche ganz laut quaken, die Fische im Fluss machten meinen Füßen kaum Platz und die Schmetterlinge tummelten sich in allen Farben und Größen am Ufer. Auf unserem Weg hörten wir immer wieder den Kuckuck, nahmen den süßen Geruch des Ginsters und den herben des Bärlauchs wahr. Ein Fest für die Sinne!
Die Befindlichkeit unseres Esels könnte man heute als zeitweise sensibel und zeitweise gereizt bezeichnen. Aber diese treue Seele ist nach der ausgiebigen Pause sehr genügsam mit uns nach St. Chély du Tarn gelaufen, das man bereits von weitem bestaunen konnte. Vor 4 Jahren sind wir hier mit einem Kajak entlang gefahren. Eindrucksvoll ist der Wasserfall im Ort, und auch die kleine Kapelle, die an und unter den gigantischen Fels gebaut ist.
Da die Eselweide hier so ewig weit weg von der Unterkunft gelegen war, und das auch noch bergauf, dauerte es seine Zeit, bis wir Giroffle am nächsten Morgen abgeholt, geputzt und gesattelt hatten. Und dann die Herausforderung: die Tourenbeschreibung passte zu Beginn dieser Etappe nicht zu der auf der Karte eingezeichneten Route. Nach einigem Hin und Her entschieden wir uns für die Karte. Dieser Weg führte uns wiederum oberhalb des Tarn entlang der Schlucht, um dann nach ein paar Kilometern scharf auf einen unmarkierten Trampelpfad abzuzweigen. Ab hier ging es immer nur bergauf, Höhenmeter um Höhenmeter schwitzten wir in der Sonne, bis wir irgendwann ziemlich geschlaucht an der höchsten Stelle auf etwa 1100 m ankamen. Giroffle war wieder mal unschlagbar. Er meisterte alles und beklagte sich nicht. Oben auf der Causse Méjean genossen wir eine Wahnsinns-Aussicht und Fernsicht in eine Landschaft, die so gegensätzlich zur darunter liegenden Tarn-Schlucht ist. Der Blick auf den Ort Mas St. Chély mit blühenden Ginsterhängen im Hintergrund und der weite Blick auf die Berghänge war einmalig schön. Und endlich – zu meiner ganz persönlichen Beruhigung – trafen wir auf den beschilderten Weg und damit auch wieder auf die Original-Wanderbeschreibung.
Der Weiterweg bis zum heutigen Ziel Nivoliers zog sich dann aber doch noch was hin. Und an einer staubigen Wegkreuzung legte sich Giroffle plötzlich hin. Wir haben alle Hebel in Bewegung gesetzt, um ihm Taschen und Sattel gerade noch rechtzeitig abzunehmen, bevor er sich im roten Staub ohne Ende gewälzt hat. Anschließend waren er und auch wir total verdreckt. Gegen 17.30 Uhr erreichten wir Nivoliers und konnten wiederum in einer wunderschönen Unterkunft ruhen und lecker essen.
Die Tagesetappen sind im Vergleich zu unserer letzten Eseltour recht lang, aber die vorletzte sollte die längste sein. Auf der Karte sahen die Entfernungen gigantisch aus, ließen sich jedoch prima laufen, auch mit unserem Esel. Giroffle stellte sich immer mehr als genügsamer Esel heraus, der auch durchaus öfter mal den Turbo einschaltete. Es ging wieder durch wunderschöne Dörfer, die mich mit ihren alten Häusern und wild wachsenden Wiesen jedes Mal bezauberten. Später folgten wir einem unmarkierten Weg leicht aufwärts über die Causse Méjean, der uns kilometerweite Aussichten bot. Soweit das Auge reichte nur hügelige Landschaft, zu dieser Jahreszeit gesprenkelt mit weißen, gelben und rosa Blüten. Die Wege und Felder waren mit Steinmauern begrenzt und die vielen Orchideenarten schimmerten bunt. Niemand außer uns war hier unterwegs.
Beim Mittagspicknick in einem Wäldchen wurde Gigi nochmal etwas verwöhnt, bekam von mir ein Äpfelchen und etwas Lebkuchen (was eigentlich Manfred hätte haben wollen, aber nun ja, diese treuen großen Augen eines Esels.....).
Gegen Ende der Etappe kamen wir an einen Zaun, hinter dem offenes Weidegelände mit Schafen und Hütehunden begann. Hier sollte auch unser Weg durchführen. Die kläffenden großen weißen Hunde flößten uns aber dermaßen Respekt ein, dass wir uns letztlich für die Straßenvariante entschieden. Dieser folgten wir nochmal 3 km und erreichten dann das kleine Dörfchen La Volplière. Eingangs dieses Ortes zog Giroffle plötzlich stark nach rechts und wir sahen drei weitere Esel auf einer Weide am Straßenrand. Eine Mami mit ihren zwei Eselkindern. Da standen sie nun: unser grauer und die drei dunklen putzigen Eselchen, schauten sich an, stupsten die Schnauzen gegeneinander und schienen zu kommunizieren. Irgendwann konnte er sich von der kleinen Familie trennen und wir erreichten unsere Unterkunft, die wirklich alle anderen toppte! Ich dachte, hier möchte ich nie wieder weg. Überall auf dem Grundstück gibt es wunderschöne Ecken und diese Ruhe hier ist famos. Selten habe ich so etwas besonders schönes gesehen: das alte Haus mit Innenhof, der Garten, die Wiesen, die liebevoll gestalteten Räume und ganz besonders unser Zimmer!
Aber auch dieses Fleckchen Idylle mussten wir am nächsten Tag – unserem letzten mit Esel – wieder verlassen. Und mit ihm auch die Inhaber dieser Gîte, mit denen wir gemeinsam unsere Mahlzeiten eingenommen und uns sehr nett unterhalten haben.
Doch dieser letzte Tag sollte uns auch ein wenig Pech bescheren. Los ging es schon, als wir zum ersten Mal auf einen GR kamen. Irgend einen Abzweig müssen wir wohl übersehen haben, denn wir landeten plötzlich auf einem anderen Weg, der nicht markiert war, einen Umweg darstellte und – wie wir später feststellen mussten – Privatgelände war. Wir erreichten dennoch den Ort St. Pierre und wanderten von dort zunächst durch einen schönen Wald. Bald darauf kamen wir in eine Felsenlandschaft und die prähistorischen Überreste eines Dorfes. Dort in der Nähe lag ein Baum quer über den Weg und wir nahmen Giroffle die Packtaschen ab. Doch er ging weder drunter noch drüber, denn der Baumstamm lag ziemlich hoch. Gott sei Dank gab es aber noch eine Möglichkeit, diese Stelle zu umgehen. Durch einen Felsenbogen hindurch ging der Pfad steil, schmal und sehr steinig abwärts. Da unser Esel ausgerechnet hier wieder mal auf Turbo geschaltet hatte, mühte ich mich ab, ihm zügig vorauszugehen. Was nicht immer ganz gelang, weil er stellenweise einfach zu schnell war und mich regelrecht weg drückte.
Auf dem Weiterweg über einen wieder breiteren Weg gab es Differenzen zwischen Wegbeschreibung, Karte und Markierungen. Es ist schon seltsam: manchmal ist ein GR gefühlt alle 10 Meter markiert und manchmal kilometerlang gar nicht. Das führte nun dazu, dass wir wiederum einen falschen Weg einschlugen. Als wir es nach etwa 500 Metern merkten, kehrten wir um und waren schon etwas genervt. Schließlich erreichten wir aber doch den winzigen Ort Cassagne, wo wir uns in einer Kiosk-Bar erfrischten und dem Esel Gelegenheit gaben, sich nochmal auszuruhen, bevor dann der große Abstieg kommen sollte. Dieser erwies sich als gar nicht so furchterregend wie in der Beschreibung dargestellt. Dort war eindringlich vor manchen Abstiegsvarianten gewarnt worden, die viel zu steil und absturzgefährdend für Mensch und vor allem Tier waren. Auch der Eselbesitzer hatte uns in der Karte einen richtigen und zwei falsche Wege eindeutig gekennzeichnet. An einem kleinen Pass teilten sich zwei Wege und auch hier folgte die Wegbeschreibung nicht den Kartenmarkierungen. Zum ersten und einzigen Mal riefen wir den Eselbesitzer über mein Handy an und erklärten ihm, dass wir sehr unsicher waren, welcher Weg nun der richtige sei. Nach einigem Hin und Her sollten wir den nicht markierten Weg rechts nehmen (das sah laut Karte auch richtig aus). Dieser erwies sich jedoch bald als schlichtweg nicht machbar, zumindest nicht mit Esel. Hier war der Pfad viel zu schmal und führte in Absturzgelände. Also wieder zurück und den anderen Weg genommen. Hier waren wir dann doch schon ziemlich gereizt und mittlerweile so unsicher geworden, dass wir uns schon fragten, ob wir überhaupt auf irgendeinem richtigen Weg waren.
Hier war unsere Sorge aber unbegründet. Wir erreichten schließlich den Roché de Capluc, den sehr markanten Felsklotz oberhalb von Le Rozier, und nach langen Stunden des Gehens und Zweifeln kamen wir abends wieder auf der Eselweide in Peyrelau an.
Im Gespräch mit dem freundlichen Eselbesitzer wurde schnell klar, dass dieser uns einen falschen Abstiegsweg als den richtigen in der Karte markiert hatte. Ein Versehen, das übel hätte enden können. Aber es ist ja alles gut gegangen.
Giroffle konnte jetzt erst mal eine Weile Urlaub machen. Wir verabschiedeten uns wehmütig von unserem treuen grauen Freund. Ich glaube, er wusste genau, wie gut er es bei uns beiden hatte. Vielleicht vermisst er uns ja auch ein kleines bisschen?
Manfred und ich blieben noch zwei Tage länger in der Umgebung, machten eine kleine abenteuerliche Kajaktour und konnten im Maison des Vautours von einer Dachterrasse aus Geier beobachten.
Die Hochebene Causse Méjean ist eingegrenzt von einigen Schluchten und ähnelt so in ihren Umrissen ein wenig dem australischen Kontinent. In Miniaturform, natürlich! Wieder einmal waren wir beeindruckt von der landschaftlichen Vielfalt Frankreichs und den grandiosen Möglichkeiten, die dieses Land bietet – mit und ohne Esel.....