September 2023
Die sieben Eifelbewohner: Andreas, Olga, Petra, Rolf, Sabine, Susanne und Walter
Susanne holte mit ihrem Wagen Andreas, Sabine und Petra ab und fuhr nach Kötschach am Fuß der Karnischen Alpen.
Rolf, Olga und ich fuhren zum Flughafen Merzbrück bei Aachen, wo wir die schweren Regenwolken betrachteten. Nach kurzer Bedenkzeit bestiegen wir Rolfs Flugzeug, eine einmotorige Grumman Cheetah, und starteten durch Wolkenlücken in Richtung Südosten. Bald ließen wir die Wolkendecke hinter uns und flogen diagonal über Deutschland. Da wir nur etwa 2000 Meter hoch waren, zog die Gegend unter uns wie eine Spielzeuglandschaft vorbei. Nach zwei Stunden erreichten wir die Alpen, stiegen höher und überquerten die Hohen Tauern. Zum Greifen nahe lagen die felsigen Gipfel. Rechts schimmerte der Gletscher des Großvenedigers, links der des Großglockners. Bald darauf landeten wir in Lienz.
In Kötschach trafen wir im Hotel Erlenhof die Autofahrer Susanne, Sabine, Petra und Andreas. Beim gemeinsamen Abendessen lernten wir uns kennen und freuten uns auf die kommende Ereignisse.
Nach dem gemeinsamen Frühstück im Hotel fuhren wir mit Bus und Bahn nach Sillian, dem Ausgangspunkt unserer Wanderung. Bei Postkartenwetter stiegen wir steil auf zur Sillianer Hütte auf 2452 Metern Höhe und verloren bei dieser Tätigkeit reichlich Schweiß. Unterwegs trafen wir eine Gruppe fröhlicher, sächsische Frauen, die uns mit ihrer unverkennbaren Mundart unterhielt.
Nach einer Trinkpause auf der Sonnenterrasse der Hütte machten Sabine, Susanne, Olga und ich noch eine kleine Wanderung zum Helm, einem strategischen Aussichtspunkt. Unterhalb einer alten, verlassenen Zollstation sind noch Wehranlagen aus dem Ersten Weltkrieg zu sehen. Auch hier an der Grenze tobte einst ein mörderischer Stellungskrieg zwischen Italienern und Österreichern.
Der Ausblick vom Gipfel war grandios: Direkt gegenüber lagen die Sextener Dolomiten mit den Drei Zinnen, Elfer- und Zwölferkofel und Schusterspitze. Weiter im Süden wildgezackte Dolomitengipfel, im Norden der Hauptkamm der Alpen.
Nach dem Abendessen begann Susanne einen Spüllappen zu stricken. Rolf unterhielt uns mit seinen interessanten und lustigen Geschichten aus seinem ereignisreichen Leben.
Nach dem Frühstück packten wir unsere Rucksäcke und starteten unsere Wanderung auf dem Karnischen Höhenweg. Immer auf dem Grenzkamm zwischen Kärnten und Südtirol, später Friaul, bewegten wir uns im schrofigen Gelände aufwärts und abwärts, immer in Richtung Südost. Drei Gipfel überschritten wir dabei: Harnisch 2550 m, Hollbrucker Spitze 2580 m, Demut und Eisenreich mit 2665 m. Die höchsten Erhebungen lagen im Felsbereich und der Pfad war teilweise mit Seil gesichert. Rolf und ich waren die beiden Oldies der Gruppe und bildeten meist die Nachhut. Aber unsere Leute hatten Geduld und warteten immer wieder auf uns.
Am Nachmittag erreichten wir die Obstanser Seehütte auf 2300 Meter. Hier lag ein einladender Bergsee vor der Terrasse der Unterkunft. Das war eine Verlockung für Rolf und mich. Wir gingen zum Ufer und sprangen zum Entsetzen der Gäste nackig ins kalte Nass. Als wir wieder gesäubert aus dem See kletterten, war die Wassertemperatur um zwei Grad angestiegen.
Susannes Spüllappen wuchs heute Abend auf Bierdeckelgröße.
Während des Frühstücks ahnten wir noch nicht, was uns heute noch überraschen sollte.
Zu Beginn stand die Pfannspitze auf dem Plan. Ein 2678 Meter hoher Felsrücken, der im oberen Bereich seilgesichert war. Das war für unsere Gruppe kein ernsthaftes Problem. Wir überschritten diesen Gipfel und wanderten weiter auf dem Grat, einmal mit Weitblick nach Österreich, ein anderes mal nach Italien.
Mittags erreichten wir den Großen Kinigat, einen markanten Felsturm mit 2689 Meter Höhe. Am Fuße des Felsens deponierten wir unsere Rucksäcke und machten uns fertig für den Aufstieg. Ein leichtes Unbehagen fühlte ich im Magen, da ich erst zwei Wochen zuvor bei einem Klettersteig in der Eifel schmerzhaft abgerutscht war. Meine Ängste zerstreuten sich aber schnell, da dieser drahtseilgesicherte Steig zwar steil, aber sehr griffig war. So kletterten wir rasch nach oben. Im Gipfelbereich waren wieder verschiedene militärische Stellungen zu finden sowie eine kleine Kapelle zum Gedenken an die vielen Opfer des Krieges.
Auf dem Gipfel thronte ein prunkvolles Gipfelkreuz, das dort als Zeichen für den Frieden aufgestellt worden war. Am vorigen Abend hatten wir in der Hütte von der Segnung des Kreuzes ein Bild gesehen. Eine imposante Feierlichkeit. Alle Beteiligten hatten dafür den Gipfel erstiegen. Nebst Schützenverein natürlich auch der Herr Pastor. Wir munkelten, dass eine Frau auf dem Bild sogar die Frau des Herrn Pastors gewesen sei („Pastur seng Frau“)…
Hier oben genossen wir wieder einen phantastischen Rundblick. Dieser schweifte vom Hauptkamm der Alpen, Venediger und Glockner im Norden zum Süden mit den wilden Zacken der Dolomiten. Dreizinnen, Elferkofel und Schusterspitze lagen nun schon deutlich weiter von uns weg als am ersten Tag der Wanderung.
Nach der Klettertour lagerten wir auf einer kräuterduftenden Wiese in der Sonne und genossen die erlebten Abenteuer. Hier erzählte uns Petra, wie sie in ihrer Jugendzeit von ihrem Pater angehalten worden war, „Unschamhafte Handlungen“ zu beichten. Dieser lustige Ausdruck begleitete uns den Rest der Wanderung.
Am Nachmittag erreichten wir das in einem malerisch Bergkessel gelegen die Filmoor-Standschützenhaus, 2350 Meter hoch gelegen. Eine kleine, altmodische Holzhütte, die aussah wie die von Räuber Hotzenplotz. Die Hütte hatte einen kleinen Gastraum und die Küche befand sich mitten darin. Da nur sehr begrenzter Schlafraum vorhanden war, stand auf der Wiese noch ein kleines, altmodisches Zweimann-Zelt. So wurden wir vom Wirt gefragt, ob wir in der Gruppe ein Ehepaar hätten, das bereit wäre, dort zu schlafen. „Rolf und Walter“, kam da sofort die Antwort aus der Gruppe. Gerne nahmen wir Oldies das Angebot an.
Der fehlende Komfort der Hütte wurde mehr als ausgeglichen durch die Freundlichkeit des Hüttenwirts und seiner Familie mit den zwei kleinen Kindern und auch dem guten Essen.
Wir erfrischten uns auf der Sonnenterrasse mit Weizenbier und Tee, wobei uns Petra von ihren Wacken-Schlammerlebnissen erzählte. Und siehe da, es ergab sich eine generationsübergreifende Liebe unserer Gruppe zu alten und auch jungen Rockmusik-Legenden. Sabine und Susanne machten noch gegen Abend eine Blumen- und Kräuterwanderung. Olga schaukelte noch verträumt auf der großen Hängeschaukel vor der Hütte.
Rolf und ich packten uns warm ein und verkrochen uns nachts ins kleine Zelt. Der Gedanke an Amundsens Polarexpedition von 1911 ließ uns die Gegenwart gemütlich erscheinen.
Als wir morgens aus dem Zelt schauten, war der Himmel klar und kalt. Im Tal lag aber ein dichter, weißer Nebelsee. Die Berge standen wie ein Scherenschnitt gegen den Horizont.
Vor dem Frühstück versammelten wir uns vor der Hütte zu einer Yoga-Einheit, angeleitet von Johanna, der sympathischen Wirtin. Selbst wir Männer rollten eine Matte aus machten mit. Die frühen Sonnenstrahlen erwärmten uns langsam und die Yogaübungen brachten das Leben in uns zurück, wie bei einer Eidechse, die auf einem sonnenwarmen Stein liegt.
Nach dem Frühstück brachen wir auf. Erst stiegen wir ab und tauchten in den grauen Nebelsee ein. Auch der Gegenanstieg verlief in den Wolken. Da wir die Porze, einen 2600 Meter hohen Felsberg ersteigen wollten, fragten wir einen entgegenkommenden Bergsteiger, wie die Sichtverhältnisse auf dem Gipfel wären. „Strahlender Sonnenschein!“ war die Antwort.
Sabine brachte uns mit ihrer demokratischen und achtsamen Art sicher zur Porzescharte und zum Einstieg des Klettersteigs, der auf den Gipfel führen sollte. Die Sonne löste die letzten Nebelschwaden auf. An der Scharte setzten wir die Rucksäcke ab.
Am Drahtseil kletterten wir hoch - auch hier war der Fels sicher und griffig. Und Sabine hatte ihre Augen bei jedem von uns. Nach der Kletterstelle ging es auf schmalen Felsbändern weiter, die volle Konzentration erforderten. Schließlich standen wir auf dem Gipfel und konnten wieder einen grandiosen Rundblick genießen. Die Sextener Dolomiten lagen nun schon weit weg.
Beim Abstieg ins Tal fand Olga zielsicher die letzten Beeren des Sommers.
Als wir in der renovierten Porzehütte auf 1942 Metern Höhe ankamen, erwartete uns eine Überraschung. Unser Zimmer hatte Zwei-Mann-Schlafhöhlen in unterschiedlicher Höhe und Anordnung.
Heute nahmen wir die Königsetappe unter die Füße. Eine Acht-Stunden-Wanderung, die aber bei unserem Tempo eher zu zehn Stunden werden würde. Früh schulterten wir die Rucksäcke und stiegen zum Tillacher Joch auf und folgten anschließend dem Grenzkamm, der wie die vergangenen Tage wellenförmig auf und ab führte.
Wie das sanfte Geplätscher eines Wildbaches war das Geplauder der Frauen zu hören, die vor uns liefen.
Kurz nach unserer Frühstückspause beobachteten wir, wie eine Bergwanderin direkt hinter uns stolperte und mit einem Salto in einen Graben fiel. Glücklicherweise in ungefährlichem Gelände. Wir waren zur Stelle, um zu helfen, aber sie schien unverletzt. Zusammen mit ihrem Begleiter machte sie sich wieder auf den Weg.
Die meisten Weganteile lagen auf der italienischen Südseite, und wir wurden von der Höhensonne einseitig geröstet, was man später auch auf der Haut sah.
Nach fünf Stunden Wanderung machten wir Mittagsrast und tankten nochmal Energie vor der seilversicherten Schlüsselstelle. Die größte Schwierigkeit dort war allerdings die Hitze in den Felsen
Schweißnass erreichten wir das Winklerjoch und blickten auf die wilde, schroffe Felswand, die wir bald durchqueren sollten. Rolf und ich bildeten wieder die Nachhut, aber Sabine war in unserer Nähe und beobachtete, wie wir die schmalen Felsbänder passierten.
Irgendwann hatten wir auch diese Passage geschafft, dann kam der lange Abstieg ins Tal. Auch hier in der Vegetationszone spürte Olga noch letzte Beeren auf.
Nach einem Gegenanstieg erreichten wir abends das Hohenweißsteinhaus, 1868 Meter. Beim Abendessen im vollen Gastraum trafen wir wieder die Frau, die gestürzt war und ihren Begleiter. Offensichtlich hatte sie ihr Handgelenk verletzt, war aber sehr fröhlich. Als Rolf seine Fliegergeschichten erzählte, war sie ganz aus dem Häuschen. Es entwickelte sich ein lustiges Gespräch, und sie erzählte, dass sie, Karin, Ärztin sei und ihr Bruder Sascha Staatssekretär im Berliner Innenministerium bei Frau Nancy Fäser. Es wurde viel gelacht an diesem Abend.
Am Morgen erklommen wir erst eine Passhöhe des Ofnerjochs, ehe wir wieder tief ins bewaldete Tal abstiegen. Eine Frühstückspause machten wir an einer romantischen Alm, wo uns zwei freundliche Hunde begrüßten und bekrault werden wollten.
Weiter ging es in stetem Wechsel von bergauf und -ab. Schließlich erreichten wir eine Talsohle, von wo es in der heißen Nachmittagssonne schweißtreibend hoch zur Wolayer Seehütte ging. Vor uns lag der malerische Bergsee mit feinem schneeweißen Kieselstrand, dahinter eine mächtige Felspyramide, und mit Panoramablick auf diese Szene die Hütte mit Sonnenterrasse.
Das Weizenbier zischte bei den ersten Schlucken und spülte den Dolomitenstaub die Kehle runter. Doch wir brauchten noch mehr Erfrischung: Gemeinsam spazierten wir zum sonnenwarmen Strand des Sees. Rolf und ich waren uns durchaus unseres ziemlich unschamhaften Tuns bewusst. Wir sprangen nackig in das kühle Gewässer und schwammen eine Runde. Als wir die Frauen fragten, ob sie uns denn fotografiert hätten, kam eine verneinende Antwort. Dafür schallte es von der anderen Seite, wo zwei Jungen auf dem Fels saßen: „Aber wir haben fotografiert. Ist schon auf Instagram….haben schon 25 Follower!“ Auch Olga, Susanne und Andreas wagten sich ins Wasser, jedoch nicht ganz so freizügig wie wir.
Zum Abendessen saßen wir am Panoramafenster der Hütte mit einmaligem Blick auf diesen See. Später, als die Sonne längst untergegangen war, traten wir vor die Hütte und bestaunten den kristallklaren Sternenhimmel. Die Milchstraße war zu erkennen, und mit Petras App konnten wir noch einige Sterne identifizieren.
Und wieder war ein glänzender Tag zu Ende gegangen.
Nach dem gemeinsamen Frühstück stiegen wir erst mal zum nahen Sattel hoch und dann begann der lange Abstieg. Auf dem Weg zur Valentinalm entdeckten wir noch eine kleine, wunderschöne Kreuzotter. Unsere neugierigen Blicke erwiderte sie mit einem bedrohlichen "Sssssssssss" und verschwand schnell unter dem schützenden Dach von Pflanzen.
Bei einer kurzen Rast auf der Valentinalm gönnten wir uns einen letzten Apfelstrudel. Anschließend ging es weiter zum Plöckenpass, wo uns die Zivilisation einholen sollte. Wir kamen zur Passstraße, die aber hier in einem Tunnel verlief. Sabine, die uns den Weg im Inneren des Berges ersparen wollte, machte sich auf die Suche auf einem alternativen Weg. Jedoch umsonst. So mussten wir in das Reich Saurons „Mordor“ einsteigen. Autos und Motorräder, deren Brausen hundertfach an den Wänden reflektiert wurde, rasten an uns vorbei. Die Luft war benzin geschwängert. Aber nach einem halben Kilometer hatten wir auch das geschafft und traten ins helle, warme Licht des Bergsommers.
Da wir das Taxi für 17.00 Uhr bestellt hatten, blieb noch genug Zeit, den nahen Kleinen Pal zu besuchen. Das ist ein steiler Felsturm, der im Ersten Weltkrieg wegen seiner strategischen Bedeutung am Pass schwer umkämpft war. Auf der Südseite hatten sich die italienischen Alpinisoldaten eingegraben, auf der Nordseite des Gipfelplateaus die österreichischen Kaiserjäger. Beide waren oft eine Granatwurflänge von einander entfernt. Es müssen sich grauenvolle Szenen hier oben abgespielt haben.
Nach dem schweißtreibenden Aufstieg an der Südseite kamen wir zu dem ehemaligen Kampfgelände. Überall waren Schützengräben, Bunker und Tunnel zu sehen. Was für ein Glück, dass wir jetzt zumindest in Mitteleuropa Frieden haben und in relativ sicheren demokratischen Ländern leben…
Pünktlich kam das Taxi und brachte uns zurück zum Hotel in Kötschach. Hier genoss ein Teil der Gruppe die Sauna, die anderen genossen einen Eisbecher.
Nach dem Frühstück fuhren wir gemeinsam zum Lienzer Flugplatz. Hier trennten sich unsere Wege. Rolf, Olga und ich bestiegen das viersitzige Flugzeug, während die anderen zurück in die Eifel fuhren.
Diese Wanderung war interessant, abwechslungsreich und wunderschön. Auch die Harmonie in der Gruppe war bemerkenswert gut - trotz der unterschiedlichen Charaktere. Ein besonderer Dank an Sabine, die mit ihrer Kompetenz und Einfühlsamkeit die Gruppe durch alle Situationen sicher geführt hat. Und nicht zu vergessen, die gute Laune!