Wohin fährt man, wenn man sich in schwierigen Eiswänden überfordert fühlt, einem die Wanderungen über Almwiesen jedoch zu unspektakulär geworden sind? Man sucht nach einem Gebiet mit leichteren Eis- und Felstouren. Eckard kannte so ein Gebiet und wollte seine Schönheit anderen Bergleuten nahe bringen. Deshalb setzte er seinen Vorschlag in unser Heftchen, und es dauerte nicht lange bis sich eine Gruppe zusammen gefunden hatte.
Auf der Vorbesprechung mussten nur noch einige Sachen geklärt werden und schon konnte die Vorfreude auf die Tour wachsen. Doch als es dann Ende August so weit war, schien die Tour unter dem Einfluss eines schlechten Sterns zu stehen. Denn Birgit, die sich schon seit einiger Zeit mit einer Angina herumärgerte, wollte einfach nicht gesund werden, musste in der Heimat bleiben und sich damit trösten, dass die Berge wohl auch noch in Zukunft existieren werden. (Ich habe seitdem nicht mehr mit ihr gesprochen, und weiß daher nicht, ob es ihr wirklich geholfen hat).
Als Eckhard, Ingrid, Martin und ich uns mit Reinhardt und Monika, die schon mehrere Tage im Engadin gewesen waren, am Innersuldener Liftparkplatz trafen, waren wir alle von der gewaltigen Kulisse, die die Ortlergruppe bot, fasziniert. Da aber Monika von ihrem Fuß gequält wurde und Reinhardt als guter Ehemann sie nicht alleine lassen wollte, trafen die beiden schweren Herzens die Entscheidung, sich auf den Heimweg zu begeben.
Ein bisschen enttäuscht, aber immer noch voller Tatendrang, machten wir Restlichen uns an den Aufstieg zur Schaubachhütte. Nachdem wir dort Quartier bezogen hatten, nahmen wir, mit Karte und Kompass ausgerüstet, die angepeilten Ziele genauer unter die Lupe. Dabei stellten wir fest, dass der heiße Sommer seinen Tribut gefordert hatte. Die Sonne hatte nämlich derart gründlich ihre Arbeit verrichtet, dass sie nicht nur den lästigen Schnee, sondern auch große Teile des äußerst nützlichen Eises weg geschmolzen hatte. Geknickt mussten wir uns eingestehen, dass wir sowohl die Königsspitze als auch den Hintergrat des Ortlers abhaken konnten. Als wir den Frust mit einem guten Abendessen und ein paar Getränken runter gespült hatten, begaben wir uns frühzeitig ins Bett. Eckhard, Ingrid und Martin hatten nämlich das frühe Schlafen gehen schon vorher geübt (gute Vorbereitung ist eben alles).
Leider wurde unsere frühe Nachtruhe durch herumpolternde Nachbarn nach der Hüttenruhe gestört. Als echter Bergsteiger muss man aber wissen, dass die Hüttenruhe eine der Wichtigsten aller Regeln ist. Da muss man als Bergkamerad schon mal erzieherisch tätig werden. Deshalb erinnerte Eckhard unsere Nachbarn, mit einer mehr oder minder leicht in Schwingung gesetzten Wand, an diese goldene Regel. Vom Frühstück gut gestärkt und erfreut, dass man einen guten Pädagogen in den eigenen Reihen hat (Lachen macht Spaß), begannen wir unseren Gletscheraufstieg zur Casati Hütte. Von dort aus wollten wir dann am nächsten Tag den Monte Cevedale in Angriff nehmen.
Doch leider kam es erst gar nicht dazu. Nach dem steilen Gletscheranstieg ereilte Ingrid ein Reizhusten, der sie nicht weiter lassen wollte. Nach kurzer Diskussion hielten wir es alle für das Beste, wenn Ingrid mit Eckhard wieder zur Schaubachhütte abstiege, und Martin und ich am nächsten Tag nach der Besteigung des Cevedale nachkämen. Also kehrten die beiden um, und Martin und ich machten uns auf den Weg zur Casati Hütte. Über Umwege kamen wir schließlich ziemlich erschöpft, aber pünktlich vor Regenbeginn dort an. (Wir hatten uns an dem ziemlich brüchigen Grat probiert, zogen dann aber den Abstieg vor, der sich jedoch als ähnlich unfest erwies).
Unseren Plan, am nächsten Morgen möglichst früh los zu gehen, verwarfen wir mit einem Blick aus dem Fenster und entschieden uns für den direkten Abstieg. Frei nach dem Sprichwort: "was man nicht im Kopf hat, hat man in den Beinen", verlängerte sich für mich der Abstieg ein wenig. Je näher wir dann der Schaubachhütte kamen, desto besser wurde das Wetter und in uns wuchs die Enttäuschung über den verpassten Gipfel. Von Ingrid erfuhren wir dann, dass sie eine Nacht mit Schüttelfrost und allem Pi-Pa-Po hinter sich hatte, es ihr aber mittlerweile etwas besser ginge. Eckard, als echter Bergsteiger, war in der Zwischenzeit keineswegs untätig gewesen. Er hatte dem "Hausberg" einen Besuch abgestattet. Seine Reaktion auf unsere Nicht-Besteigung war: "Das bisschen Nebel und Regen wär aber kein Problem gewesen."
Weil wir an dem angebrochenen Tag eh nichts großes mehr machen konnten, entschieden wir uns, noch eine Nacht auf der Hütte zu bleiben und abzuwarten, bis sich Hermann, der am nächsten Tag noch zu uns stoßen wollte, gemeldet hatte. Da wir ja inzwischen gelernt hatten, dass man keine Zeit verschenken darf, haben wir den restlichen Tag an Liftmasten und Hängen Spaltenbergungen trainiert.
Natürlich konnten wir unsere Augen nicht vom Hintergrat lassen, und fragten auch einmal den Hüttenwirt nach seiner Meinung. "Das passt scho" klang wie Gold in unseren Ohren, und es stand fest, was wir als nächstes versuchen würden, und in Hermann sollten wir dann auch die geeignete Ergänzung für unsere Truppe finden. Bevor wir aber am nächsten Morgen ins Tal kamen, hatten wir noch eine kleine Hürde zu überwinden. Die Brücke, über die wir gekommen waren, hatte dem Regenguss nicht standgehalten. Gekonnt schmiss ich als Ersatz ein paar Steine ins Wasser. Na ja. Auf jeden Fall war Ingrid danach erfrischt, alle waren auf der anderen Seite und es ging weiter.
Da Ingrid noch nicht fit genug war (nein, kein Rückschlag), setzten wir sie bei einer Pension ab, trafen uns dort mit Hermann und packten unsere Rucksäcke. Mit ein klein wenig technischer Unterstützung machten wir uns anschließend an den Aufstieg zur Hintergrathütte. Dort angekommen, hatten wir genügend Zeit den Anfang des Hintergrates aus zu kundschaften, uns danach in der Sonne zu aalen und aus zu ruhen. Nachdem wir dann alle unsere Energiespeicher beim Abendessen aufgefüllt hatten, machten wir das, was wir schon seit Ewigkeiten nicht mehr getan hatten. Schlafen, natürlich. Zwar haben wir alle schon einmal besser geschlafen, aber so lange mussten wir es ja nicht aushalten. Pünktlich um vier gab es Frühstück und eine halbe Stunde später marschierten wir los.
Anfangs hatten wir zwar noch leichte Orientierungsprobleme ( es ist gar nicht so leicht auf einer riesigen Moräne, auf der alles grau ist, im Dunkel den Trampelpfad zu finden), konnten dann aber nach ein wenig Hin und Her die Fährte wieder aufnehmen. Früh morgens zu wandern fand ich toll. Die Luft war frisch und belebend und je höher wir kamen, desto mehr wurden die umliegenden Gipfel und Grate von einem hellen Lichtschein umrahmt, der dann langsam aber allmählich die Nacht verdrängte. Auf dem Gratrücken angelangt, konnten wir inzwischen das Panorama genießen.
Weil die Sonne, wie schon erwähnt, gute Arbeit geleistet hatte, konnten wir die meiste Zeit im festen Fels an Höhe gewinnen. Mir und allen Anderen machte das Klettern richtig Spaß. Zwar hatte die Bergtour auch ihre Schwierigkeiten, aber diese konnten wir als Team gut überwinden, und wurden dafür immer wieder mit tollen Ausblicken belohnt.
Auf dem Gipfel angekommen, staunte ich nicht schlecht, wie "normal" es doch an diesem nicht ganz gewöhnlichen Ort zuging. Neben dem obligatorischen Gipfelphoto, wurde ein "Werbephoto- Shooting" (keine Angst, nicht professionell) gemacht, der Telefondraht musste Höchstleistungen vollbringen und in einer Fußgängerzone wäre weniger los gewesen.
Beim Abstieg über den Normalweg war dann noch einmal Konzentration angesagt, und ich habe mich zwischenzeitlich gefragt, wie überhaupt all diese Leute auf den Gipfel gekommen sind. So normal fand ich den Normalweg unter diesen Bedingungen nämlich nicht. Aber das liegt wohl am Ortler. Auf jeden Fall haben wir uns, auf der Payer-Hütte angekommen, sehr über die Nudeln und das Bier gefreut, und konnten uns gestärkt, manche wohl zu gut, an den Abstieg machen (immerhin noch 1200 Höhenmeter). Auf den letzten Höhenmetern stieg in mir die Vorfreude auf das Ausziehen der Schuhe. Denn am Ende eines langen Tages endlich die Bergschuhe auszuziehen, kann man immer wieder, wenn auch doppeldeutig, als atemberaubend beschreiben.
Da wir diese Tour gebührend beschließen wollten, verabredeten wir uns abends zum Essen. Erfrischt, manche in luxuriösen Privatduschen und manche im Bach, kehrten wir in einem Yak- Restaurant ein, wo wir einstimmig beschlossen, dass wir eine super Tour mit einem ebenso harmonischen Team gemacht hatten. Eigentlich dürfte ich an dieser Stelle den Bericht noch nicht beenden, da es aber außer vom schlechten Wetter, Auto reparieren und von zwei verjagten Pennern nichts mehr zu erzählen gibt, mache ich es trotzdem.
Ätsch.