Datum: 30. 06 2000
Autor: Erwin Olligschläger
"Du siehst so aus, als obs du glei zur Darmstädter Hütt´n nauf laufst!" Diese etwas fremd wirkenden Töne in original bayrischem Tonfall trafen mich von hinten, während ich – am Fuße der Rendlbahn in St. Anton stehend – am Sonntag Nachmittag meinen viel zu kleinen Rucksack mit viel zu vielen Sachen für meinen Fachübungsleiter-Grundkurs packte. Die Darmstädter Hütte sollte nun für eine Woche unser Ausbildungsstützpunkt sein. Doch zunächst waren noch ca. 10 km Weg und 1100 Hm zu bewältigen – 4h Aufstieg laut Plan. Angemeldet für den Lehrgang waren 10 bergerfahrene Schnee -und Felsspezialisten im besten Bundeswehralter – und ich als Senior.
Was ist das für ein Lehrgang?
So ein Lehrgang gliedert sich in zwei Komponenten,
den Grundlehrgang , der die erste Stufe in den Ausbildungsgängen für Fachübungsleiter Bergsteigen, Alpinklettern, Hochtouren und Skibergsteigen darstellt und von allen Aspiranten absolviert werden muss; und
den Aufbaulehrgang, der innerhalb der nächsten zwei Jahre angetreten werden muss und der in die oben genannten Fachgebiete aufgeteilt ist, von denen man eins auswählt, um dort die Abschlussprüfungen abzulegen. Genauere Zulassungsvoraussetzungen, Ausbildungsinhalte und Prüfungsgebiete können dem Ausbildungsprogramm des DAV entnommen werden.
Was aber in keinem Ausbildungsprogramm zu finden ist, ist die Tatsache, dass man erweiterte Sprachkenntnisse besitzen muss um zu verstehen, was denn nun die lieben Mitmenschen, einschließlich der beiden Ausbilder, in Fragen oder Aufforderungen artikulieren: "Jo soags amoal, sprichst denn du kein Deitsch?"
Die Unterbringung in der Hütte ist gut, es gibt Lager oder auf Wunsch auch Zimmer mit Betten; die Verpflegung ist so hervorragend, dass bestimmt noch kein Auszubildender aufgrund mangelnden Essens wegen Entkräftung aufgeben musste.
Montags geht es gleich ins Gelände im Bereich der Hütte; es werden die Bereiche Knoten, Anseilarten, Fixpunkte und Standplatzbereitung, Sicherungstechniken mit Klemmkeilen und Haken, Abseilen und Prusiken geübt. Die Gesamtgruppe ist mittlerweile in eine 5er- und eine 6er-Gruppe unterteilt, so dass die Lösungen der Aufgaben, die jeder Einzelne bekommt, auch in der Kleingruppe dargestellt und anschließend aus-führlich diskutiert werden können.
In den ersten zwei Tagen ist sogar ein Vertreter des Umwelt- und Naturschutzreferats anwesend, der uns mit Geländegängen und in Vorträgen für die Bedeutung des Natur-schutzes im Gebirge sensibilisiert. Am Abend beginnt etwas, was wir am Anfang noch als vorübergehendes Intermezzo ansehen. Es schneit! Am nächsten Morgen liegen 30 cm Schnee vor der Hütte, Nebel zum Schneiden – und es schneit weiter! So bleibt zunächst einmal viel Zeit für Theorieunterricht: Ausrüstungskunde Fels und Eis, alpine Gefahren, Einführung Methodik, Orientierung und Wetterkunde.
Bei dieser Wetterlage ist nicht schwierig, einen passenden Ort zum Üben für das Gehen im weglosen Gelände zu finden. Auch den Einführungskurs Spaltenbergung praktizieren wir am großen Kuchenferner. Schweißgebadet stellen wir abschließend fest, dass es sehr viel besser ist, erst gar nicht in die Spalte hineinzufallen!
Mit großer Spannung wird jedoch die Vergabe der Lehrprobenthemen erwartet: Muss doch jeder Einzelne eine ca. halbstündige Lehrprobe halten, wobei man seine 4 - 5 "Schüler" mit kurzen Erläuterungen und viel Übungsphasen dazu bringen muss, z.B. eine bestimmte Sicherungs- oder Rettungstechnik zu erlernen. Sehr lustig war natürlich das Erüben der Rettungstechnik Seil- und Stocktrage, zumal,wenn Schüler A (60 kg) seinen "verletzten" Kameraden B (85 kg) im Seminarraum der Hütte auf dem Rücken tragen sollte!
Ca. 2 Tage hatten wir jetzt Zeit, um uns mit Hilfe der Alpinen Lehrpläne auf diese Themen vorzubereiten, die dann zu unterschiedlichen Tageszeiten, z.T. auch nach dem Abendessen im Seminarraum gehalten wurden.
Die große Bergtour mit Felsklettern im III. Grad rückte bei der herrschenden Witterung (ständiger Schneefall!) unter den besorgten Blicken der beiden Bergführer Bernd und Reinhard, genannt "Fuchs", immer weiter an das Ende der Woche; irgendwann muss es doch mal aufhören zu schneien! Schließlich ist es am Donnerstag so weit:
In zwei Gruppen sollen die Saumspitze (3039m) und die Seeköpfe (3061m), wobei in den oberen Bereichen jeweils Gratkletterei im III. Grad zu bewältigen ist, bestiegen werden; wohlgemerkt: III. Grad bei einwandfreiem Wetter!
Mittlerweile ist jedoch schon der Anstieg zum Schneidjöchl (2841m) ein elender "Schneehaatsch" und aus dem IIIer wird bei Schnee und Vereisung schnell ein IVer oder gar Ver! Jedenfalls können wir nach den ersten Versuchen an einem kaminartigen, vereisten Teilstück mit viel Überredung unseren Ausbilder dazu bringen, dass er anerkennt, dass wir als angehende Fachübungsleiter später mit eigenen Gruppen sicherlich besser aus Sicherheitsgründen in so einem Fall die Gratbesteigung abbrechen als die uns anvertrauten Leute in ein unkalkulierbares Risiko zu stürzen! Also: Abstieg (Gott sei Dank!). Beim Abstieg tauen auch dem Vorsteiger langsam die Hände wieder auf. Kommentar: solange du deine Finger spürst, sind sie wenigstens noch dran!
Die konkrete Bewertung der Kletterkünste aller Teilnehmer muss dann eben auf den Aufbaulehrgang verschoben werden.
Zu Hause, sprich in der Hütte, sind dann die Kletterfreaks sofort wieder dabei, im Vorraum an der Wand zu bouldern. Mike aus Dresden (was macht der Moschendrohtzaun?) nach dem x. Versuch an einer Stelle: Bei mir im Elbsandsteingebirge ist das sowieso alles viel besser als hier an der künstlichen Wand! Letzte Hürde des Kurses ist dann die Klausurarbeit am letzten Tag. Auf drei Bögen werden Themenbereiche aus Theorie und Praxis, die in der Woche behandelt worden sind ,wieder abgefragt; freie Beantwortung, keine Ankreuztests! Nach ca. 2 Stunden ist auch das erledigt und man freut sich, dass die Prüfer das noch 11mal durchackern müssen. Erfreuliches Ergebnis: Alle haben bestanden! Der Abend klingt natürlich mit viel Feiern und vielen mehr oder weniger ernsthaften Gesprächen aus. Die meisten wollen im nächsten Jahr ihren jeweiligen Aufbaulehrgang machen.
Ich muss sagen: Der Kurs hat mir sehr viel Spaß gemacht; es wurde hier (noch) nicht alles so bierernst gesehen und die Ausbilder, allesamt gestandene Bergführer, zeigten neben ihrem Fachwissen und –können auch des öfteren ihre menschliche Seite.
Den nächsten Kurs werde ich wieder mitmachen und selbst wenn ich durchfalle, so freue ich mich doch in jedem Fall auf den Sprachkurs Bayrisch II für Fortgeschrittene, der kostenlos mit anfällt,
hoast mi??