Seit 1985 gehe ich regelmäßig in die Berge. Angefangen mit Bergen unter 3000m, die sich leicht erwandern ließen, Berge über 3000m, Viertausender und knapp Sechstausender, habe ich die Schwierigkeiten immer mehr gesteigert. Die dazu erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten habe ich mir erlesen und von erfahrenen Bergfreunden gelernt. Dies war mir auf die Dauer zu wenig. Ich wollte eine fachlich gute Ausbildung absolvieren um das bereits gewonnene Wissen zu korrigieren, zu aktualisieren und zu erweitern.
Diese Kenntnisse sollen keines Falls mir alleine zu Gute kommen, sondern ich möchte sie an interessierte Bergkameraden weiter vermitteln.
Unsere Sektion ermöglichte mir, an einem Lehrgang teilzunehmen um das gesteckte Ziel zu erreichen. der Lehrgang beinhaltete folgende Punkte: Einrichten von Standplätzen, Seilsicherungstechnik, Orientierung, Gehen im weglosen Gelände und auf leichten Gletschern, Spaltenbergung, Erste Hilfe, Bergrettung, Wetterkunde, Methodik, Unterrichten von Gruppen, Alpine Gefahren... .
Gelehrt wurde in Theorie und Praxis
Auf der Hütte angekommen wurden sechs Personen der Ausbildungsbegeisterten mit ihrer gesamten Ausrüstung, meist mehr als 30Kg, in ein 10qm großes Zimmer "gepackt". den restlichen fünf ging´s nicht besser. Im schmalen Gang, zwischen den Betten, standen die Rucksäcke, lagen die Seile, irgendwo dazwischen befand sich dann die gesamte Literatur und die Landkarten.
Schnell hatte es die Gruppe gelernt, sich in dem geordneten Chaos zu recht zu finden. Ich hatte mir eine Hand voll Nägel von zu Hause mitgenommen und diese mit dem Felshammer an geeigneter Stelle des Zimmers in unmittelbarer Reichweite in die Wand geschlagen. So konnte ich wenigstens ein paar meiner Utensilien aufhängen. Die übriggebliebenen Nägel habe ich an meine Kameraden verteilt, die die Nägel ähnlich missbrauchten.
Unsere Ausbilder, Mitglieder des Bundeslehrteams des DAV und ausgebildete Bergführer hatten sich vorgenommen in uns alles Wissen und alle praktische Erfahrung, welche für die Berge wichtig ist, herüber zu bringen, sprich hinein zu trichtern. Sie machten dies auf eine so geschickte Art, (das nennt sich wohl auch Methodik) dass uns dabei nie langweilig wurde, wir nicht aufhörten nachzufragen und wir auch noch das meiste verstanden und umsetzen konnten.
Morgens, für die Berge recht spät, ging´s los (6:15 Uhr aufstehen, Frühstück, 7:30 Uhr abmarschbereit vor der Hütte stehen). Den Weg zum Tourenziel hatten wir uns abends vorher, meist bis kurz vor 22 Uhr minutiös ausgetüftelt. Selbst bei Nebel und Regen aber auch bei 10cm Neuschnee, die bereits auf der Hütte lagen, gab es keine Gnade. Es ging zum Berg. Wir gingen abwechselnd voraus. Jeder musste einmal die Tour führen, d.h. den Weg im unwegsamen Gelände finden und die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen für die Gruppe bestimmen und anwenden, sei es Fixseil, Geländerseil oder auch Vor- und Nachstieg. Der Bergführer hielt sich im Hintergrund und bewertete die Prozedur. Trotz sechzehn Jahre Bergerfahrung habe ich neben vielem Wichtigen auf dem Lehrgang eine neue Gangart gelernt, nämlich das "Wühlen". Wühlen ist: in 50-60cm hohem Neuschnee den steilen Gletscher hinauf bis zum Gipfel und irgendwie wieder hinab kommen. Dass ich den Rucksack samt Inhalt am liebsten den Berg hinunter geworfen hätte, könnt ihr euch denken.
Nachdem die Tour (besser Tortour) überstanden war, und alle die Hütte erreicht hatten, freuten wir uns auf das gute Bergsteigermenü, gekocht von der Hüttenwirtin höchstpersönlich. Als Vorspeise gab es zwei bis drei Teller Suppe, ein deftiges Hauptgericht und einen tollen Nachtisch. trotz der üppigen (Fr)esserei habe ich es nicht geschafft die über Tag verbrauchten Kilokalorien wieder aufzufüllen.
Jeder denkt jetzt an einen gemütlichen Hüttenabend. Aber falsch, nach dem Essen wurde im Unterrichtsraum die Tour nachgelesen und weitere Lehrstoffe vermittelt. Kurz vor 22 Uhr fanden dann die Themen ihr Ende.
Der nächste Tag begann wie der vorige, nur das Wetter wechselte. Zwischendurch habe ich mich manchmal gefragt, ob mein Urlaub nicht anders zu verbringen sei, als von zwei Bergführern zu einem 14 Stundentag angespornt zu werden, unter physischen als auch psychischem Druck zu stehen. Denn man wird tagsüber abgefragt und bekommt auf die Finger geschaut und hat ein Ziel vor Augen, die Prüfungen zu bestehen.
Ich habe mich oft gewundert, wie ein Teil meiner Kameraden regelrecht unter Prüfungsdruck litten, und nachdem das Licht gelöscht war, noch mit der Helmlampe das Literaturstudium fortsetzten.
Unsere Gruppe, bestehend aus 10 Aspiranten und den beiden Bergführern, harmonisierte wunderbar. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit wurde ein Witz gerissen, ein Spaß gemacht, sich gegenseitig auf die Schippe genommen. Obwohl es nur rauf und runter ging und das in einem für mich anspruchsvollen Tempo, hatte ich nur Muskelkater im Bauch, von dem vielen Lachen zwischendurch.
Unser Blödsinn fand ein Ende, wenn es darum ging den Standort zu bestimmen (Rückwärts einschneiden) oder die umliegenden unbekannten Gipfel zu benennen (vorwärts einschneiden), oder Fragen zur Bewölkung und dem daraus entstehenden Wetter zu beantworten.
Nach insgesamt 17 Lehrgangstagen (Grundlehrgang 7 Tage, Aufbaulehrgang 10 Tage) und den absolvierten Prüfungen darf ich mich Fachübungsleiter Bergsteigen nennen. Dies ist die Antwort auf die in der Überschrift gestellte Frage.
Wenn die Leser mir nun eine Frage stellen würden, die da heißt: "Würdest du das wieder tun?" so ist meine Antwort: "Ja!"