"You´re blessed with the weather" sagte unsere Landlady Angela an unserem fünften Morgen in Dunquin. Jawohl, seit unserer Ankunft am 15. September 2009 haben wir wirklich ungewöhnliches, irland-untypisches Wetter: Blauer Himmel und Sonnenschein, wenig Wind und nicht einen Tropfen Regen!
Gestern, als wir den Nordteil der Dingle-Halbinsel unsicher gemacht haben, mutete es geradezu mediterran an.
Heute war es zwar nicht gerade so strahlend, aber immer noch klar und trocken. Und heute war Brandon Day! Schon gestern, als wir durch das Örtchen Cloghane fuhren, kribbelte es mir in den Füßen. Mann, was hab ich mich auf diesen Berg gefreut!
In Cloghane stellten wir unser Auto ab und machten uns auf den mit "Mount Brandon" ausgeschilderten Weg.
Der Mount Brandon, im Südwesten Irlands auf der fantastischen Dingle-Halbinsel gelegen, ist gerade mal 952 m hoch. Ein eindrucksvolles Warnschild am Beginn des Wanderpfads klärt jedoch über seine Gefahren auf und wie man ihnen begegnen kann. Schnell konnten wir aber feststellen, dass wir - nicht nur nach den Maßstäben der Kerry Mountain Rescue - perfekt ausgerüstet waren. Selbst Trillerpfeife und Taschenlampe waren im Rucksack. Ob die ebenfalls angeratene "very good condition" da mithalten konnte, nun ja, das würden wir noch erfahren.
Bis zu diesem besagten Warnschild kurz unterhalb der Faha Grotto hätte man auch noch mit dem Auto fahren können, aber das wurde uns erst klar, als wir dort ankamen. Egal.
Die Faha Grotto ist eine niedliche, fein gemauerte Gedenkstätte mit der Muttergottes in der Mitte, flankiert vom Hl. Brandon und dem St. Patrick, dem Nationalheiligen und -helden Irlands. Die Muttergottes hab ich schnell gebeten, uns auf unserem Weg zu beschützen (... das Warnschild hatte wirklich einen ziemlichen Eindruck hinterlassen...). Hat sie auch getan.
Dann führte ein schmaler Pfad immer weiter schräg den Hang hoch, bis wir einen See unter uns sehen konnten. Einige Wanderer überholten uns (klar!). Erstaunlich, wie viel heute los war. Und offensichtlich alles Iren. Die machten wohl ihren kleinen Sonntagsspaziergang auf den Mount Brandon, oder was?
Irgendwann merkte ich, dass sich da irgendwas "auftat": eine Schlucht oder so, ein Kessel. Und wow, der Kessel, der urplötzlich vor und neben uns auftauchte, hatte es in sich!
Unten lagen ein paar Seen, links unter uns und vor uns kleine Wasserfälle. Und das Ende des Kessels war wie eine gewaltige Wand, die undurchdringlich schien. Dieser Eindruck wurde durch die darüber liegenden Wolken noch verstärkt. Wieder mal UNGLAUBLICH!
Ich hatte manchmal den Eindruck, extrem scharf zu sehen, dann wieder hatte das alles etwas Unwirkliches.
Der Brandon-Gipfel war nicht zu sehen, tief hingen Wolken und Nebel darüber. Der Pfad wurde jetzt zunehmend steiniger und endete in Stein- und Geröllkraxelei. An einem dieser Steine machten wir Lunch-Break.
Es war sehr windig und kühl. Mit Blick zurück sahen wir Berge und Hügel und grüne Wiesen, doch mit einem Mal verschwanden auch sie in undurchsichtigem Nebel. Ein bisschen unheimlich war es schon, vor allem, als wir plötzlich etwas knallen hörten und dann mit ansehen mussten, wie etwas (ein Hund, ein Schaf, etwa ein Mensch???) den gegenüberliegenden Hang hinunterfiel, sich mehrmals überschlug und mit lautem "Bang" auf den Steinbrocken aufschlug und irgendwann liegen blieb.
Eine Frau weiter hinter uns rief "Oh my god what was it?" - Es war definitiv ein Schaf. Aber es lief mir eiskalt den Rücken runter. So muss es auch aussehen und sich anhören, wenn ein Mensch den Berg runter stürzt. Scary!
Weiter ging es aufwärts, immer dem Nebel entgegen. Die "Kesselwand" war ein verdammt steiler und steiniger Hang. Leute, die uns am Vormittag auf dem Hinweg überholt hatten, kamen uns jetzt wieder entgegen. Mein Gott, waren wir wirklich sooo langsam? Wie weit war es denn noch bis zum Gipfel? Man konnte ja schließlich nichts sehen. So langsam wurde mir ein bisschen mulmig. Und herrje, war das steil, und auch nicht ganz ungefährlich. Ein paar heikle Kraxelstellen, bloß kein falscher Tritt, und - verdammt - sollen wir hier wirklich auch wieder runter kommen? Einmal hab ich laut geflucht. Aufmunternd fand ich immerhin, dass hinter uns immer noch ein paar Leute kamen (die uns - ha! - auch nicht überholten).
Dann kamen wir endlich oben auf dem Grat an. Dort trafen wir auf einen Mann, der wohl einen anderen Weg von Norden her aufgestiegen war. Er erzählte uns, dass der Weg dort hinüber zum Dingle Way ziemlich steil und unwegsam ist. Bei diesem Nebel sollten wir besser den gleichen Weg zurück gehen, den wir hergekommen waren. OK, damit war unser Alternativ-Abstieg, den ich insgeheim schon ins Auge gefasst hatte, jedenfalls gestorben.
Wir amüsierten uns noch über ein kleines Schild auf dem Grat, auf dem "Down - Abstieg" stand und der nette Mann lichtete uns dort gemeinsam ab. Es war nicht nur windig, es war verdammt stürmisch auf dem Grat. Außerdem durch den Nebel nass und man konnte wirklich gar nichts sehen. Doch wir waren noch nicht ganz oben.
Während der Mann sich Richtung Gipfel verabschiedete, erklärten wir diesen Grat jetzt und hier zu unserem persönlichen Gipfel, zumindest für heute.
Doch ich schaute in den Nebel hinein und haderte mit mir. Andrea merkte es und sagte: "Dann geh noch auf den Gipfel, ich warte hier auf dich." Hin- und hergerissen zwischen "Was soll´s, man kann ja eh nix sehen" und "All diese Mühen und jetzt kehren wir kurz davor um?", entschied ich mich - na wofür?
Mir war nicht ganz wohl, denn erstens lief ich auf einem unbekannten Grat, zweitens war alles völlig Nebel verhangen, und drittens war ich allein. Wäre der Mann nicht vorausgegangen, hätte ich es vielleicht nicht getan. Aber so wusste ich ja, dass am Gipfel noch jemand ist.
Und so war es auch. Nach einem weiteren Fluch meinerseits tauchte im Nebel ein Gipfelkreuz, ein großer Stein und ein Mann auf. Ich war da, hallelujah!!!
Keine Aussicht - gar nichts, aber ich war oben, stolz und froh, doch noch weiter gegangen zu sein. Trotzdem bat ich den Mann darum, mich bitte nicht alleine zu lassen und mit mir zusammen zurück zu gehen "till I can see my sister". Er war ein echt netter Kerl, stelle sich als Martin aus Dublin vor und begleitete erst mich und dann uns beide auf unserem Abstieg. Das ergab sich einfach so. Wir machten zusammen Rast und ich erzählte ihm von dem Schaf, das runter gepurzelt war. So schockierend diese Szene beim Aufstieg noch gewesen war, wurde sie nun zunehmend zum Running-Gag.
Den ganzen langen Abstieg unterhielten wir uns über dies und das, tauschten gälische Vokabeln mit deutschen aus und lachten um die Wette. Andrea meinte hinterher, sie hätte schon lange nicht mehr "so einen netten Abgang" gehabt. Hm, na dann........ Zwei Dinge waren an Martin total angenehm: dass er unsere Altersklasse war und dass er unseren Humor teilte. Wir haben unglaublich viel gelacht! Natürlich wurde mit jedem Schritt abwärts die Sicht wieder besser und die wunderschöne Brandon Bay lag zu unseren Füßen.
Unten in Cloghane heil angekommen, nahmen wir unseren 5-Uhr-Tee in O´Connor´s Pub. Dort war es so still, dass wir schon dachten, Kerry hätte das Gaelic Football Finalspiel, das heute stattgefunden hat, verloren. Aber nein - we won the match!!! Der Mount Brandon hat mich wieder einmal völlig vereinnahmt. Im letzten Jahr bin ich ihm auf dem Dingle Way "über die Schulter gelaufen", jetzt durfte ich auf seinem Haupt stehen. Welch ein Luxus!
Die Aussicht vom Gipfel muss wunderschön sein - ich hatte leider nur Nebel. Aber auch in dieser nebligen Stimmung hat der Berg etwas großartiges, wildes, abenteuerliches. In jeder Hinsicht sollte man ihn nur nicht unterschätzen! Insgesamt ist der Mount Brandon ein toller Berg und allein der Zustieg bis hinein in den "Kessel" ist eine Wanderung wert.