Als das Programmheft der Sektion eintraf, fiel meiner Frau diese Bergtour sofort ins Auge. Wäre das nichts für dich ? Wenn du mich loswerden willst, warum nicht. Also meldete ich mich bei Familie Feld an.
Am Besprechungsabend stellte ich fest, dass ich mit 47 Jahren der Jüngste in der Mannschaft war. Auf der Heimfahrt malte ich mir im Geiste aus, wie ich als junger, dynamischer Gipfelstürmer, diesen in Ehren ergrauten Damen und Herren sowieso mal zeigen würde, was ne Harke ist. Leider kommt es anders als man denkt.
Die Anfahrt war schon ein Erlebnis. Morgens fuhr ich von Rapperswil, wo ich meine Familie zurückgelassen hatte, am Walensee vorbei nach Chur, dann über die Lenzerheide und den Julierpass nach St.Moritz. Dorf traf ich an der Jugendherge auf den Rest der Truppe.
Nach einem kurzen Spaziergang und ein paar Gläsern Wein ging es früh zu Bett. Am zweiten Tag fuhren wir mit dem Auto nach Maloja und stiegen auf am Lunghinsee vorbei zum Lunghinpass. Auf dem Rückweg machten wir noch einen Abstecher zu den Gletschermühlen,ein großartiges Naturphänomen.
Der Durst trieb uns noch in einen Biergarten, kein Pils oder Kölsch nur Calanda. Bei dieser Wanderung musste ich feststellen, dass meine Glanzzeiten auch schon 10 Jahre zurückliegen und die 10kg Bierbauch, die ich jetzt mitschleppe, der Sache nicht dienen; denn mit Faulheit geht auch die beste Kondition den Bach runter. Am dritten Tag fuhren wir nach Sils-Maria, von dort stiegen wir zum Lej Sgrischus. Dieser "schaurige See" liegt in 2650m Höhe, hier machten Helmut, Irmgard und ich unsere ersten Gehversuche auf Steigeisen in einem Schneefeld unter Anleitung von Reinhart und Siegfried. Durch das Fextal gings zurück nach Sils-Maria.
Am vierten Tag wurde die Sache ernst. Wir fuhren mit der Corvatschseilbahn bis zur Mittelstation Murtel, von dort wanderten wir zur Fuorcla Surlej und hinab ins Rosegtal. Nach einer längeren Pause wegen großer Hitze stiegen wir hinauf zur Tschiervahütte. Hier merkte ich, dass ich gegen Reinhart und Siegfried, zwei vor Kondition strotzenden Hungerhacken von Mitte 50, die auch ihre Frauen auf Höchstform getrimmt hatten, nichts entgegensetzen konnte. Nach dem dritten Bier war mir das egal und ich konnte in Ruhe die herrliche Aussicht zum Piz Roseg und dem Biancograt genießen.
Da war da noch Josef, ein Graubart um die 60, der mit der KopfdurchdieWand-Methode alle seine Mängel wettmachte. Das bewies er am fünften Tag beim Aufstieg auf den Piz Tschierva, was mich doch sehr beeindruckte. Helmut, ein Mann in Josefs Alter, ungefähr in meiner Gewichtsklasse, ging das Ganze mit der Ruhe und Gelassenheit des Eifeler Fahrochsen an. Ohne große Hektik war er am Abend meist vor mir am Ziel, was meinem Ego doch sehr zu schaffen machte.
So auch am fünften Tag beim Aufstieg zum Piz Tschierva. Der Aufstieg von der Hütte zum Gipfel war ein schönes Stück Arbeit. Zuerst führte ein kleiner Pfad mit steilem Aufstieg zu einem Steilfelsen, gesichert durch Ketten. Hier hangelten wir uns hoch und mussten über eine steile, ewiglange Steinmoräne ansteigen bis wir das Schneefeld erreichten.Hier legten wir Steigeisen an und bildeten zwei Seilschaften.
Nun, als es flacher wurde, machte der Aufstieg richtig Spaß, bis wir die Höhe erreichten, wo mir die Luft langsam dünn wurde. Oberhalb des Gletschers wurden die Seilschaften aufgelöst und jeder konnte seinen eigenen Schritt gehen. Wie ich mich so in Richtung Gipfel schleppte, musste ich an Veronika denken, die in der gleichen Konditions verfassung war, sie hatte es vorgezogen an der Hütte sich einen schönen Tag zu machen.
Wie vernünftig, alle Strapazen meisterte sie mit dem Spruch: Es kann nur noch besser werden. Doch als ich auf dem Gipfel (3562m) ankam, hätte ich mit keinem tauschen wollen. Es war atemberaubend, eine Rundsicht wie im Bilderbuch. Bis zum Ortler reichte der Blick, ein Wetter nur für uns. Nach dem Genuss von zwei Mettwürsten, von Müsliriegeln und ähnlichem Hühnerfutter halte ich nicht viel, damit versaut man sich die Figur, stiegen wir ab. Bei Irmgard, die ich in meinerArroganz in die Abteilung Häkeln, Stricken, Backen eingestuft hatte, musste ich schnell einsehen, dass ich mich mal wieder gründlich geirrt hatte. Sie lief wie ein Uhrwerk, wo mir langsam die Luft dünn wurde, da drehte sie richtig auf, obwohl es ihre erste Bergtour war. Wer weiß, womit Siegfried sie gedopt hatte. Doch beim Abstieg gehörte ich immer zur Spitze; ja wenn soviel Masse mal richtig in Schwung kommt, gibt es kein Halten. Wie eine Lawine donnerte ich den Berg hinunter. Gott sei dank passierten keine größeren Unfälle mit anderen Wanderern und der Flurschaden hielt sich in Grenzen. Am Hotel Roseg wohlbehalten eingetroffen, mieteten wir uns eine Kutsche und fuhren die restlichen 9 KM standesgemäß nach Pontresina, wo wir übernachteten. Zu allem Glück war an diesem Tag der Nationalfeiertag der Eidgenossen, so wurden wir abends mit Feuerwerk und Bergfeuern empfangen. Auch die Bierchen, die wir uns genehmigten , waren des Feiertags würdig.
Der Älteste im Bunde war Kurt, ein erfahrener Haudegen über 70. Er hatte Nepalerfahrung und auch sonst schon einiges hinter sich, er konnte sehr interessante Geschichten von tollen Bergtouren erzählen. Auch technisch war er auf dem neuesten Stand.
Am besten fand ich seine Uhr, sie hatte so viele Möglichkeiten, ich glaube man könnte ein Flugzeug damit fliegen. Er berechnete jede Etappe genau mit Formeln, die ich wohl nie begreifen werde.
Egal, ich wollte ja nur wandern. Für den 6.Tag hatten Monika und Reinhart sich etwas besonderes ausgedacht, um mir endgültig den Rest zu geben.
Wir fuhren bis Morteratsch, hier warteten 1200m Aufstieg auf uns. Am Anfang stiegen wir durch Kiefern und Lärchenwälder in Richtung Morteratschgletscher.
An der Baumgrenze begann das Geröllfeld der Moräne, die der Gletscher vor sich her schiebt. Hier sieht man die Folgen der Klimaerwärmung mit erschreckender Deutlichkeit. Wo vor einigen Jahren noch ein dicker Eispanzer war, ist jetzt eine Mondlandschaft. Am Mittag erreichten wir endlich das Eis, das wir die Spalten umgehend oder überspringend querten. Auf dem Gletscher war die Hitze erträglich, aber dahinter wartete ein steiler Steinbruch, die Isola Pers, auf uns. Hier keuchte selbst Monika, die sonst durch nichts zu bremsen war. Dieser Steilaufstieg war das schwerste Stück auf der ganzen Wanderung, deshalb war jeder froh, als wir den Persgletscher erreichten. Auf dem kühlen Eispanzer, der nur leicht anstieg, konnte man sich noch mal richtig erholen, deshalb fiel uns der Aufstieg zur Diavolezza (3000) nicht schwer.
Hier oben erwartete uns eine herrliche Sonnenterrasse mit imposantem Rundblick. Auf einem Rundgang entdeckte ich eine große Garage, in der gerade eine Pistenraupe repariert wurde. Der freundliche Monteur weihte mich in die komplizierte Technik dieser Maschine ein. Soviel Hydraulik erfreut eine alte Schlosserseele.
Reinhart riss mich aus meinem Fachgespräch mit dem Hinweis, die letzte Bahn wartet nicht. Im Tal angekommen führte uns ein kurzer Fußweg zu den Berninahäusern, wo wir übernachteten. Die längstfällige Dusche und ein opulentes Abendessen lassen die Berninahäuser in guter Erinnerung bleiben.
Hier wartete auch Sigrid auf uns, sie ist einige Touren mit uns gegangen sonst unternahm sie viel alleine. Man konnte dem Kofferraum ihres Autos manchen Ballast für den Wandertag übergeben, abends war alles wieder an Ort und Stelle.
Am 7.Tag stiegen wir zur Geörgyhütte auf, die in 3200M Höhe unter der Spitze des Piz Languard klebt. Beim Anstieg schon merkte man, dass sich das bis dahin großartige Wetter deutlich veränderte. Wolken zogen auf und ein kräftiger Wind. Leider machten sich bei mir Magenbeschwerden bemerkbar. Doch die Hüttenwirte schufen Abhilfe mit ihrem Spezialtee. Die Geörgyhütte ist sehr gemütlich, aber ohne Wasser d.h. Plumsklo "Hermannsthron" über einer Felsscharte.
An diesem Abend mussten super Aufwinde sein, denn Segelflugzeuge umkreisten wie Hornissen die Hütte. Nach der Empfehlung der freundlichen Hüttenwirte bestiegen wir noch am Abend den Gipfel (3262m), berühmt für seinen Sonnenaufgang. Aber am nächsten Morgen wars Essig, kein Sonnenaufgang, der Wetterumschwung war da. Der Abstieg am 8.Tag war ein Erlebnis der Extraklasse.
Den steilen Abstieg im ersten Drittel hatten wir noch trocken überstanden, als weiter unten durch die Almen ein Gewitter losging. Als 100m vor mir der Blitz einschlug, war bei mir die Angst stärker als der Muskelkater. Ich beschleunigte auf Formel 1 Werte und war als Erster, verfolgt von Veronika, an der Liftstation, der Lift brachte uns zwar triefend nass aber heil zurück nach Pontresina. Nass und kalt eilten wir zur Jugendherge, zogen uns um und setzten uns bei heißen Getränken zum Abschluss noch einmal zusammen.
Nun war sie zu Ende die herrliche Bergtour, die ich so schnell nicht vergessen werde. Ich möchte mich bei Reinhart und Monika bedanken, die diese Wanderung ausgearbeitet und so hervorragend geführt haben. Wir hatten eine gute Kameradschaft, einer half dem anderen, so gut er konnte.