Datum: 30. 06 1998
Autor: Guido Huppertz
Sieben Bergfreunde trafen sich an einem lauen Freitagmorgen zum Tourauftakt bei einem gemütlichen Frühstück im "Berggastheim Hermine" bei Klaus, dem gar nicht so einsamen Wirt von Madau, einigen aus unserer Sektion ja von vorherigen Unternehmungen noch in guter Erinnerung.
Kerstin, Gabi, Hajo und meine Wenigkeit hatten bereits den Vortag dort verbracht und so Gelegenheit gehabt, schon mal mit dem wechselhaften Wetter auf nasse Tuchfühlung zu gehen. Conny, Hannelore und Matthias kamen pünktlich zum Frühstücksbuffet im einsam gelegenen Bergdorf auf 1310 müNN an.
Das "Württemberger Haus" war das Tagesziel der Gruppe und der Gebietsführer verhieß einen schönen Anstieg, der landschaftlich besticht, weit und anstrengend bei 1200 Hm Auf- und 300 Hm Abstieg.
In lockerer Formation ging's dann los, erst ein Stückchen am wildromantischen Parseierbach entlang und dann nach und nach stärker ansteigend in Richtung Leiterjöchl. Der Pfad war wirklich erlebenswert und führte durch Wals, Wiesen und niederwüchsigem Bestand an den hier typischen, grün bewachsenen Hängen entlang, bis mit zunehmender Höhe der Bewuchs nachließ und Weg wie Umgebung felsiger wurden. Damit waren wir dann auch gänzlich einer Sonne ausgesetzt, die uns an diesem nun strahlend blauen Tag bis über die Maßen für einen verregneten Sommer entschädigen zu wollen schien. Dem Schweiß blieb kaum Gelegenheit, uns stärker zu durchnässen, wurde er doch sogleich von der Sonne verdampft. Man kam sich vor, wie unter einem riesigen Solarium.
Der Führer irrte nicht mit der Voraussage, daß es sich um einen weiten, anstrengenden Weg handelte: sehr zum Leidwesen von Gabi und Kerstin, denen ihre 'Wolken' und die Hitze am meisten zusetzten. Hinter so manch erstiegener Kuppe hörte man denn auch einen Seufzer, wenn sich anstelle des Sattels ein weiteres Stück ansteigenden Weges auftat. Alle paar Wegbiegungen mußten unsere Mutmaßungen darüber, wo denn nun in diesem Riegel von Fels, auf den wir da die ganze Zeit zusteuerten, der Übergang versteckt sein mochte, revidiert werden. Als wir dann schließlich über ein Geröllfeld hinweg am Fuße des Grates angekommen waren, steuerte die Wegmarkierung zu unserem Erstaunen mitten auf den schroffen Fels zu: wir standen am Beginn einer leichten Kletterpartie mit streckenweiser Stahlseilfixierung. Auch ein Gebietsführer sagt einem halt nicht alles. Besonders die etwas mit ihrer Höhenangst kämpfende Hannelore und auch Gabi und Kerstin waren eher 'ent'- als 'be'-geistert. Nach einer Verschnaufpause wurde das letzte Stückchen bis zum Leiterjöchl dann schließlich mit Händen und Füßen erklommen und der weite Blick von 2510 müNN auf die umgebenden Berge belohnte für die - im Sinne des Wortes - vorangegangenen Mühen.
Im stetigen Abstieg ging's von hier zum "Württemberger Haus" (2200 mü/NN). Die Zeichen für einen baldigen Wetterumschwung verdichteten sich und als wir gegen 17.00 Uhr an der Hütte anlangten, blieben uns gerade noch ein paar Minuten, den ersten Durst draußen zu stillen, bevor ein Regenschauer niederging, von ein paar entfernten Blitzen begleitet.
Den konnten wir dann bereits bei einem deftigen Bergsteigeressen, reichlich Getränk und Rückblick auf den Tag genießen, wobei alle unisono meinten, die Anstrengung habe dem Reiz dieser schönen Route keinen Abbruch getan und gerade die unerwartete Kletterpartie fand nun - quasi posthum - großen Anklang.
Der Gebietsführer verspricht für die nächste Etappe zur 'Memminger Hütte': "Leicht, wobei allerdings beachtet werden muß, daß der Steig über einen Gipfel leitet" und ordnet den Weg unter Kategorie A ein: auch für ungeübte Bergwanderer gangbar. Bliebe also die Frage nach dem Wetter: "Ich will morgen vor dem Regen an der Hütte sein!", meinte Matthias. Vor dem Zubettgehen daher noch die Devise für den nächsten Tag: früh aufstehen und zeitiger Aufbruch zur 'Memminger Hütte'.
Gesagt, getan, Am nächsten Morgen waren wir vor dem Regen in der Hütte - danach machten wir uns allerdings auch erst auf den Weg, pünktlich mit dem einsetzenden Regen. Also hieß es: die gerade erst geschnürten Rucksäcke wieder öffnen, Regenjacken raus, Rucksackhüllen aufziehen - sofern vorhanden. Erste Unmutsbekundungen wurden laut.
Im strömenden Regen stiegen wir Richtung Großbergspitze (2657 m) und Großbergkopf (2612 m) auf, immer dicht unter den aufsteigenden Nebelschwaden bleibend. Nach ca. einer Stunde ging der Regen in Schneefall über. Mittlerweile hatten alle wasserdurchtränkte Schuhe. Wer ohne Regenhose unterwegs war, dem klebte die nasse Hose am Bein und es wurde empfindlich kühl, wenngleich die Umgebungstemperatur noch nicht unter den Gefrierpunkt abgesunken war. Am Grat angekommen fegte ein kräftiger Wind durch unsere Regensachen und ließ es ziemlich ungemütlich werden. Das Wasser schmatzte jetzt bei jedem Schritt und keiner von uns hatte wasserdichte Handschuhe eingepackt. Die hin und wieder notwendigen Griffe an den nassen Felsen, um an großen Tritten oder schmalen Passagen die Gefahr des Ausrutschens zu verringern, führten so immer wieder zu einem eisigen Gefühl in den Fingern, welches erst nach ein paar Minuten durch die an die fingernahe Wasserschicht abgegebene Körperwärme wieder verschwand. Bis zum nächsten Greifen.
Nach einer Weile hatte man sich mit diesem Gefühl von Nässe an den Extremitäten - die einen mehr, die anderen weniger - abgefunden. Diejenigen von uns, die ohne Regenhose unterwegs waren, fühlten sich allerdings deutlich unwohler. Und zumindest unter den gegebenen Wetterbedingungen war das Prädikat A= 'für Ungeübte gangbar' wenigstens zweifelhaft.
Nach dem wirklich letzten Anstieg zur Seescharte begann endlich der ersehnte Abstieg zur Hütte, der sich allerdings noch etwas über eineinhalb Stunden hinzog. Der Schnee wich wieder einem nun nachlassenden Regen. Auf den letzten zwei Kilometern vor der Hütte begegneten uns dann auch einige aufsteigende Wanderer, die anscheinend erst spät mit den schwächeren Regenschauern aufgebrochen sein mußten und - deutlich spärlicher bekleidet als wir - uns mit unseren schneebefrachteten Rucksäcken interessiert musterten. Wir wünschten jedem im Vorbeigehen "Viel Spaß!", was bei manch einem Irritationen hervorrief.
Gegen 15.00 Uhr erreichten wir endlich die 'Memmen'-Hütte, wo neben den wenigen, die an diesem Tag durch das Unwetter zur 'Memminger Hütte' gelangten, eine Reihe Schönwetter-Wanderer, also 'Memmen", im Trockenen warteten.
Dort stellten dann einige fest, daß man nicht nur naß bis auf die Haut, sondern auch bis tief in den Rucksack war. Sämtliche - leider nur noch begrenzt vorhandenen - Trocknungsmöglichkeiten wurden in Anspruch genommen und der Rest an trockengebliebener Bekleidung kam beinahe komplett zum Einsatz. Zu unserem Glück hatten wir in dieser Hütte ein separates Lager, so daß wir uns zwanglos ausbreiten konnten. Der Aufenthalt im hoffnungslos überfüllten Trockenraum der Hütte stellte sich übrigens als gar nicht so ungefährlich heraus: als ich mich unter den sechs tief herabhängenden Wäschereihen her zurück zum Eingang schwang, machte meine Stirn unliebsame Bekanntschaft mit einer Pickelspitze! Auf meinen Fluch, welcher Idiot denn so blöd sei, einen Pickel im Trockenraum aufzuhängen, meldete sich auch sogleich die einzige noch anwesende Person im Raum - es war der gleiche, der mit seiner Wäsche ganz ungeniert den Radiator bepflasterte und der am nächsten Morgen in aller Seelenruhe auf dem Boden des Trockenraumes ausgebreitet seinen Rucksack packte, während die anderen um ihn herumtanzen mussten, um ihre Sachen zu holen. Ihm und seiner tannengrünen Breitkord-Kniebundhose an dieser Stelle einen ganz speziellen Gruß!
Zunächst war erst einmal Aufwärmen von innen angesagt und danach waren alle wieder guter Dinge. Wir kamen überein, unsere Tour unter dem Gesichtspunkt einer Kur zu sehen: der erste Tag war eine Wärmebestrahlung, der zweite Tag bestand aus Kneipp'schem Eiswassertreten. Es hatte sich am nächsten Tag auch bei niemand eine Erkältung eingestellt, was die theapeutische Wirkung unserer Tour unterstreicht.
Die folgende Nacht regnete es ununterbrochen und das Prasseln der Tropfen wurde nur von einem wundervollen Duett für schnarchende Nasenflügel durchbrochen, bei dem das dezente Thema aus der Ecke hinten rechts ertönte (da, wo auch nachts die 'Maus' auftauchte!), verziert durch eine mit Inbrunst vorgetragene Melodei aus azyklischen Crescendi, die von gegenüber erschallte.
Am nächsten Morgen, nach einem ansprechenden Frühstück mit heißem Kaffee aus großen Keramikbechern, fühlten sich unsere immer noch patschnassen Bergstiefel gar nicht mal so unangenehm an, was wir den trockenen Socken an unseren Füßen dankten.
Der dreistündige Abstieg nach Madau gestaltete sich ziemlich steil und matschig: die obligatorische Schlammpackung rundete das Kur-Wochenende in Österreich ab. Unter dem Anblick der vielbeachteten weißgepuderten Bergspitzen führte der Steig in zahlreichen Serpentinen am Ostfuß des Seekogels hinab in den Wald. Einige Male überquerten wir den zwischen größeren Blöcken hinabstürzenden Seewibach, so auch unterhalb eines beeindruckenden Wasserfalls von vielleicht 30 m Höhe oder mehr, wo er in vielen kleinen Kaskaden hinabsprüht.
Unser erster Weg in Madau führte dann unter eine heiße, wohltuende Dusche. Abschließend bestellte die gesamte Truppe zum Mittagessen das 'Madauer Schnitzel', bevor die Heimreise angetreten wurde.
Mein Fazit: es war eine sehr interessante, schöne, nicht unanstrengende Tour unter Wetterbedingungen, die unterschiedlicher kaum hätten ausfallen können. Mir hat es viel Spaß gemacht, wie - denke ich - den anderen auch. Manchem hat die Tour auch zu neuen Erkenntnissen über das eigene Leistungsvermögen verholfen.
So kann man wohl den Untertitel dieses Berichtes verstehen: Kur-Tour für Fortgeschrittene.
Nicht verschweigen möchte ich allerdings auch die Einschätzung meiner Freundin: Kerstins Kommentar:
'Für weniger Fortgeschrittene mitunter eine Kur-TorTour.
Erst höllisch heiß - dann sch...kalt!
Nirgendwo auf den Hütten gab's Spezi und in Madau war das Pilz-Omelett
ausgegangen.'
Aber ihr hat's trotzdem gefallen. Weiß ich!