Wie ich die Mitarbeiter der Air Zermatt kennen lernte
Mit meinem Bergkamerad Manfred (Name geändert) fuhr ich am 01. September 2004 Richtung Zinal ins Val d Anniviers im Kanton Wallis. Nach einem 4,5 stündigen Aufstieg durch die herrliche Nachmittagssonne (wir kamen ganz schön ins Schwitzen) erreichten wir die Mountet Hütte (im Tal als Grand Mountet ausgeschildert) auf 2886m.
Vor uns lag das imposant wirkende Obergabelhorn (4063 m) mit seinem Coeurgrat und seinen stark abfallenden Flanken, dem riesigen Gletscherbruch und dem starken Eispanzer der Nordwand, der eine Parade-Eistour verspricht. Links vom Gipfel der Ostgrad (Normalweg) mit dem Gendarm (Kluckerturm) und der Wellenkuppe.
Dass wir an einem Berg waren, der selten von dieser Seite begangen wird, wurde mir auf der Hütte aufgrund der geringen Anzahl der verweilenden Bergsteiger klar, zumal herrliches Wetter war und auch noch das Zinalrothorn von dieser Hütte aus über den Nordwestgrad zu besteigen ist. Eins war jetzt schon klar: Am nächsten Tag waren wir die einzigen in der Nordwestroute zum Obergabelhorn.
Auf der Hütte gab es keinen Hüttenwirt. Somit erkundigten wir uns bei einem jungen Helfer der Hüttenwirtin, der die Tour vor einigen Jahren gegangen war. Problematisch war die Wegfindung vom Le Coeur (3090 m) zum Firngrat. Es gab keine eindeutige logische Route.
Am Morgen des 02. September zogen wir nach einem ausreichenden Frühstück um 04:30 Uhr von der Hütte los, die Moräne hinab zum Durandgletscher, zu einem Felsen (Le Coeur – das Herz, 3089,6 m).
Jetzt begann das bereits auf der Hütte erkannte Problem der Wegfindung durch die brüchige Nordwestflanke. Hier gab es keinen vernünftigen Halt, geschweige einen vernünftigen Halt zum Sichern. Also gingen wir mit höchster Aufmerksamkeit und suchten uns einen Weg. Teilweise hing noch Schnee und Eis in den brüchigen Felsen.
Wir legten uns die Eisen an und hangelten uns weiter hoch. Tief unter uns der Glacier de Durand und der Zinalgletscher. Nach einigen Stunden kamen wir an eine steinige Felsflanke mit plattigem Aufbau. Hier stiegen wir hoch. Ganz oben sahen wir eine Schlinge hängen. Wir kletterten vorsichtig dorthin, weil auch die Platten locker waren. Wir packten unser Seil aus und stiegen vorsichtig gesichert weiter. Wir erreichten ein steiles Eisfeld, das oben am Felsen endete.
Wie dort weiter kommen? Gab es dort eine Möglichkeit der Sicherung? Waren wir auf dem richtigen Weg? Alles, was das Herz begehrt und die Pulsfrequenz nach oben treibt. Nur keine Möglichkeit einer optimalen Sicherung. Die Mountet Hütte und die Gletschersplaten des Glacier Durant wurden immer kleiner. Plötzlich schien uns die Sonne in Gesicht. Sie blendete uns. Ein gutes Zeichen. Wir sahen den Grat. Auf dem Firngrat machten wir unsere erste Pause. Ein herrlicher Blick zum Zinalrothorn. Die eisbedeckte Wand von Wellenkuppe und Obergabelhorn, der riesige Eisbruch, in dem Waggonweise die Seracs abbrachen und über den steilen Gletscher schossen riesige Eislawinen. Sie säumten den Weg zur Nordwand. Wer traut sich dort noch her? Von unserem Frühstücksplatz sahen wir westlich den Dentblanche, 4367 m, und den Grand Cornier. Aber auch den steilen und nach links und rechts abfallenden Firngrat, den wir noch begehen mussten, um über die am Ende des Grates empor steigende Eisflanke, 50 ° zum Gipfel zu gelangen.
Nach unserer anstrengenden Firngratwanderei erreichten wir den Schrund der Eisflanke. Teilweise war Blankeis angesagt. Hier hieß es sichern. Ich hatte einen Eispickel und ein Eisgerät, sowie zwei Eisschrauben dabei. Manfred ein Eisgerät und einen Teleskopskistock. Eine für ihn optimale Kombination aus der Erfahrung der Besteigung von vielen 4000ern.
Bei der Abstimmung, wie wir die Eiswand technisch angehen, stellte sich heraus, dass nur ich Eisschrauben zur Verfügung hatte. Gezwungenermaßen nahm der Vorsteiger beide Eisgeräte, kletterte ohne Zwischensicherung die gesamte Seillänge aus und baute einen Fixpunkt mit einer Eisschraube und einem Eisgerät. Das andere Eisgerät ließ er dem Nachsteiger hinab. Der kletterte dann mit Pickel und Eisgerät nach. Sicherlich werden nicht alle Eistouren so begangen. Aber am Berg zählt Einfallsreichtum. Nach drei Seillängen erreichten wir kurz vor 15 Uhr den Gipfel, kaum Platz um sich hinzusetzen. Schließlich fällt die Südwand senkrecht ab. Kurz genossen wir die atemberaubende Ausblicke der umgebenden Bergwelt von Zermatt.
Jetzt hieß es absteigen auf dem Normalweg, wobei die Bezeichnung irreführend ist, weil sich auch hier eine steilabfallende Felskulisse in die vereiste Nordwand bot. Abseilen war angesagt. Und so nutzten wir nach voriger gründlicher Prüfung die in den Felsen hängenden, teilweise verwitterten Abseilschlingen.
In einigen war ein oval Schließring mit Schraubverschluss eingehangen. Ein Schraubverschluss war offen. Kontrolle hat doch ihren Sinn. Ein Hubschrauber kam über die Wellenkuppe zu uns herangeflogen. Ich konnte dem Pilot in die Augen sehen, grüßte ihn, er winkte zurück und flog Richtung Zinal.
Dass auch uns ein Hubschrauberflug bevorstand, ahnten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Wir kletterten über den großen Gendarm 3870 m. Nach dem Erstbegeher, Christian Klucker, 01.08.1890, auch Kluckerturm genannt. Das Klettern in in den steilen ausgesetzten Felsen mit Steigeisen ist und bleibt mir immer ein Greuel. Über das am Turm befestigte Fixseil seilten wir uns ab.
Jetzt ging es am überwächteten Grat hinauf zur Wellenkuppe. Bis zu fünf Meter ragten die Wächten in die Südwand hinein. Wehe dem, der zu weit südlich geht. Aber nördlich geht es ab in die steile eisgepanzerte Nordwand. Nach einer halben Stunde durch sulzigen Firn, der uns an den Eisen klebte, erreichten wir die Wellenkuppe in 3903 m, an denen wir abseilten.
Das aufkommende Wetter war uns nicht entgangen. Auch hatten wir den Donner gehört und sahen die entfernten Blitze. Wir waren in 3600 m Höhe. Unter uns der Nahe Gletscher und die Rothorn Hütte auf 3198 m. Regen kam und Schnee folgte, Blitze zuckten. Ich entdeckte einen haushohen Block, überhängend über einer kleinen Höhle. Ein idealer Platz für ein Biwak. Sollen wir biwakieren? Aber noch eine Seillänge und wir waren im Gehgelände und erreichten somit den Gletscher mit den Spuren zur Hütte. Wir entschlossen uns zum Abseilen. Manfred kannte den Weg, weil er das Obergabelhorn auf der Normalroute bestiegen hatte. Manfred seilte zuerst ab und rief: " Ich habe Stand, komm nach."
In diesem Moment hörte ich Gepolter, ein Stein so groß wie ein halber Tisch, flog den Berg hinab. Ich schrie nach Manfred, er meldete sich nicht. Mein Blutdruck und meine Herzfrequenz erreichten Maximalwerte. War doch im vergangenen Jahr ein Bergfreund beim Abseilen in der Matterhornostwand tödlich verunglückt. Ich rief noch einmal, dann bekam ich Antwort, aber ich merkte an der Stimme, dass etwas nicht in Ordnung war. Ich seilte ab, erreichte meinen Freund und sah im schlechten Licht der Dämmerung sein blutverschmiertes Gesicht mit zwei tief klaffenden Wunden im Mundwinkel und im Bereich des Nasenflügel. Was war passiert?
Hatte ich vermutet, dass sich von oben ein eventuell durch Blitzeinschlag ausgelöster Steinschlag zu der Verletzung geführt hatte, erzählte Manfred mir, wie es wirklich war: Nach dem Abseilen hatte er sich auf einen großen Stein gestellt. Dieser war plötzlich abgerutscht und den Hang hinunter geflogen. Er war hinterher gerutscht, mehrmals mit dem Kopf und dem übrigen Körper gegen die Felsen geschlagen und irgendwann zum Stehen gekommen. Seine Gelenke schmerzten, vermutlich in Folge Prellungen und Verstauchungen. Zum Glück bewahrten sein Helm und Rucksack ihn vor weiteren bösen Verletzungen. Ich kontrollierte seinen Mund und seine Zähne, nichts war verwundet. Schlecht war ihm auch nicht. Bewegen konnte er sich auch. Das war noch einmal gut gegangen.
Wir brachten uns hinter einem großen Felsblock gegen eventuellen Steinschlag in Sicherheit. Durch die einhergehende Schlechtwetterfront waren wir eingeschneit und der Abstieg mit meinem nicht mehr ganz gesunden Freund, der unter Schmerzen litt, war sicherlich zu risikoreich. Den Biwakplatz hatten wir verspielt, so dass uns nur noch die Möglichkeit blieb fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen, weil wahrscheinlich noch latente Verletzungen bei Manfred vorliegen konnten.
So kramte ich das Handy aus seiner Tasche. Ob es nach diesem Sturz noch funktioniert? Ob wir Empfang haben? Nach Wählen der 112 wurden wir mit der Bergrettung verbunden. Wir schilderten unsere Situation. Jedoch gab es im Moment wegen Nebel und Schneetreiben keine baldige Rettung. Man sagte uns, dass wir zurückgerufen würden. Mehrmals rief uns die Bergwacht zurück, um uns die Unmöglichkeit der baldigsten Rettung zu schildern. Die Kälte drang in uns. Durch Treten auf der Stelle hielten wir uns so gut es ging warm, aßen unsere letzen Brote. Der Nebel verzog sich. Es hörte auf zu schneien. Gegen Süd-Osten sahen wir Lichter am Berg. Das muss Richtung Gornergrat sein. Wir riefen die Bergwacht an und informierten sie über die Wetterbesserung. Man teilte uns mit, dass der Hubschrauber startklar wäre. Nur der Wind müsste sich noch legen. Zehn Minuten später hörten wir einen Hubschrauber. Ab und zu schaltete er den Suchscheinwerfer ein; er war noch tief unter uns. Ich gab ein Signal mit meiner Helmlampe. Der Hubschrauber drehte in östliche Richtung ab.Hat er uns etwa nicht gesehen? Ist er überhaupt für uns bestimmt oder ist es nur ein Transporthubschrauber, der noch spät abends Material transportiert? Oder...?
Alle diese Gedanken schossen mir durch den Kopf. Den Biwacksack hatte ich schon in der Hand als das Hubschraubergeräusch wieder näher kam. Er flog ohne Beleuchtung durch die Dunkelheit. Ich gab wieder Lichtsignale. Plötzlich standen wir im grellen Scheinwerferlicht. Der durch den Motor erzeugte Wind blies uns den Schnee ins Gesicht; wir verkrochen uns hinter einen Felsen. Ein Bergretter kam auf uns zu und erkundigte ich nach unserem Befinden. Er hackte eine Bandschlinge bei uns am Gurt ein und sagte, dass es jetzt ab nach oben gehen wird.
Wir wurden mit der Seilwinde des Hubschraubers nach oben gezogen, gleichzeitig flog der Heli über den Gletscher. Im Hubschrauber saß ein weiterer Bergretter, der die Winde bediente und uns beim Hineinrutschen in den Laderaum half.
Wir landeten an der Rothornhütte. Dort wartete der vorher abgesetzte Notarzt und untersuchte den Verletzten. Bis auf die Wunden, die genäht werden mussten, stellte er fest, dass alles in Ordnung ist. Der Hubschrauber flog Richtung Unfallstelle zurück, um den zurückgelassenen Bergretter abzuholen, kam zurück und setzte ihn ab. Schließlich landete er, um meinen Freund und den Arzt zurück nach Zermatt zu fliegen. Nach einer Weile holte er den Bergretter und mich auch ab.
Mittlerweile hatten sich auch Gäste der Rothornhütte nach draußen begeben und das Geschehen beobachtet. Ich sprach mit dem Hüttenwirt und entschuldigte mich, dass es im Moment ungünstig sei, bei ihm im Quartier zu sein, aber dass wir noch einmal kommen würden. Er sagte, dass wir ruhig vorbei kommen könnten. Ich sagte, dass wir nicht nur vorbei, sondern rein kommen würden. Ich merkte, dass ich meinen Humor nicht verloren hatte.
Auch mein Freund hatte die Situation sehr gefasst gemeistert.Der Hubschrauber landete wieder und nahm den Bergretter und mich mit nach Zermatt. Ein herrlicher Ausblick auf die Bergflanken, den Gletscher und die Lichter von Zermatt. Ich war überglücklich, dass Manfred nichts Schlimmeres passiert war.
An der Airbase angekommen packten wir unsere Ausrüstung, bedankten uns bei den Rettern und fuhren mit einem Elektrotaxi zu einem Arzt, der die Wunden vernähte. Der Arzt untersuchte Manfred gründlich und konnte außer Schürwunden und starken Prellungen keine weiteren Verletzungen feststellen. Trotz seiner Schmerzen scherzte Manfred mit dem Arzt und auch ich tat meinen Beitrag dazu. Noch eine Hürde mussten wir nehmen:
Wollten wir nicht in Zermatt unter einer Brücke schlafen?! Wir brauchten ein Bett und wenn möglich auch noch eine warme Dusche. Nach einigen Telefonaten und der Hilfe des Arztes gelang es uns, ein relativ preiswertes und akzeptables Quartier für die Nacht zu organisieren.
Im Hotel angekommen und nach einem Bad fühlten wir uns wie neu geboren. Als Ersatz für fehlendes Schmerzmittel trank Manfred zwei kleine Flaschen Wein und genoss seine "Wiedergeburt".
P.S. Dieser Artikel ist auch als großer Dank an die Bergretter, den Notarzt, den Hausarzt und an unsere Schutzengel gerichtet sowie an alle menschlichen und übermenschlichen Wesen, die im Hintergrund mitgewirkt haben.