Albert, Buggi, Rene, Rolf, Volker und Walter in den Bergen zwischen Ötztal und Stubai
Wir sitzen auf der Sonnenterrasse des kleinen Flughafens Roethe, gleich hinter der deutsch-österreichischen Grenze und trinken Kaffee. Da schwebt schon insektengleich die einmotorige Propellermaschine von Rolf heran, dreht eine Schleife über dem Tal, wackelt zur Begrüßung mit den Tragflächen und setzt elegant zur Landung auf der Wiese an, die als Rollfeld dient. Rolf und Volker waren pünktlich wie verabredet zur Stelle, klettern aus der Maschine und begrüßen uns. Das Abenteuer kann beginnen.
Gemeinsam starten wir zur Weiterfahrt bis nach Sölden im Ötztal. Hier schultern wir unsere Rucksäcke und steigen aufwärts. Anfangs verläuft der Pfad noch durch schattigen Lärchenwald, aber es ist heiß, steil und steinig. Nach kurzer Rast mit Radler und Kaffee an der Kleblealm geht’s über Almwiesen weiter hoch. Der Schweiß rinnt und die Rucksäcke drücken, aber schließlich erreichen wir in 2600 Meter Höhe den in der Sonne funkelnden Laubkarsee. Albert hat die schöne Idee, hier zu schwimmen. Das ist auch für Rolf und mich unwiderstehlich. Kurz entschlossen steigen wir aus unserer verschwitzten Bergsteigerkluft und hüpfen nackig in den Bergsee. Ich schwimme aber nur wenige Züge vom Ufer weg und dann wieder zurück, um nicht von der Kälte gelähmt zu werden. Wie neu geboren entsteigen wir dem Wasser, während uns die Kameraden neidisch belustigt zuschauen und fotografieren.
Noch gut 500 Höhenmeter Kraxelei über Granitblöcke und wir erreichen die 3173 Meter hoch gelegene Hochstubaihütte. Das sind 1800 Höhenmeter in fünf Stunden, wir sind glücklich.
Auch der nächste Morgen beschert uns postkartenblauen, wolkenlosen Himmel. Trotz der beachtlichen Höhe ist es bereits so warm, dass wir in T-Shirt und kurzer Hose starten. Der kroatische Hüttenwirt hat uns bestätigt, dass der Weg über die Gletscher zur Hildesheimer Hütte gangbar ist. So ziehen wir los und queren den ersten Gletscher, den Wütenkarferner. Die Eisfläche ist schneebedeckt. aber gelegentlich sind Blankeisstellen sichtbar, so dass wir unsere Eisen anziehen. Als wir den Grat erreichen, verliert sich der Pfad ohne Markierung in der steilen Blockflanke des Berges. Lange turnen und balancieren wir im unwegsamen Gelände herum, bis wir das nächste Joch und den jenseitigen Gletscher, den Windacher Ferner erreichen. An der Skilift-Bergstation des Gletschers treffen wir wieder auf menschliche Spuren und wandern weiter über die Jochdohle, einer Edelstahl-Glaskonstruktion von einer Jausenstation zur Hildesheimer Hütte. Hier halten wir nach dem langen, anstrengenden Marsch Mittagsrast. Der Hüttenwirt erzählt uns, dass die Route, die wir gingen, schon seit Jahren nicht mehr von Wanderern benutzt wird und weglos ist. Schön, dass wir trotzdem zum Ziel gekommen sind.
Aber nun müssen wir noch weiter zu unserem heutigen Tagesziel, der Siegerlandhütte und dazu ein steiles, aber markiertes 3040 Meter hohes Joch überqueren. Während die jungen Wilden in einem Tempo voraus rennen, das Reinhold Messner in seiner Sturm- und Drangzeit drauf hatte, bilden Rolf und ich die Nachhut mit dem Motto: In der Ruhe liegt die Kraft. Im Tal hinter dem Joch überqueren wir zwei Bäche, die jetzt am späten Nachmittag stark angeschwollen sind als Folge der intensiven Sonneneinstrahlung auf die Gletscher. Gegen Abend erreichen wir die Hütte, wo uns die Freunde bereits mit einem Radler empfangen, das zischend in unseren ausgedörrten Kehlen verschwindet. Als Überraschung bekommen die Opas, also Albert, Rolf und ich, je eine kleine Einzelkammer zum Übernachtung. Die Hüttenwirtin, eine Bekannte von Volker, spendiert uns allen einen Obstler und erzählt, dass es in diesem Sommer bereits dreimal kräftig geschneit hat. Das erklärt auch die hohe Schneeauflage auf den Gletschern.
Am nächsten Morgen gehen wir es gemächlicher an, Nach der Überschreitung der 2862 Meter hohen Windach-Scharte kommen wir am Timmler Schwarzsee an, einem malerischen Bergsee, der wie ein blau-glänzender Edelstein im Tal liegt. Diesmal lassen sich auch die Kameraden nicht lumpen und wir springen alle, barfuß bis zum Scheitel, in den See; die Kälte raubt uns fast den Atem. Anschließend lagern wir auf den bequemen Uferfelsen und lassen unsere marathongestählten Luxuskörper von den warmen Sonnenstrahlen streicheln. So schön kann eine Bergtour sein!
Bereits am frühen Nachmittag erreichen wir die Schneeberghütte am gleichnamigen Berg. Dieser Berg trägt seinen Namen wegen der schneeweißen Flanke, die aber aus hellem Gestein, vermutlich Dolomit, besteht. Hier wurde in der Vergangenheit im Tagebau und auch in tiefen Bergstollen nach Erz, hauptsächlich Bleierz, geschürft. In einem kleinen Museum, das neben der Hütte liegt, kann man die alten Werkzeuge besichtigen und auch die Mineralien, die aus dem Berg geholt wurden: Dunkelroter Granat, silbriger Bleiglanz, Zinkblüte und durchsichtiger Quarzkristall.
Albert kann’s nicht lassen und muss nach dieser Tagestour noch eine Stunde durch die Berge rennen, während wir auf der Sonnenwiese vor der Hütte im Liegestuhl den Nachmittag ausklingen lassen.
Am nächsten Morgen steigen wir erst mal abwärts durch Lärchenwald und erreichen die 1700 Meter tief gelegene Timmelsbrücke. Von hier aus geht es nun wieder aufwärts, bis wir am Timmelsjoch ankommen.
Hier machen wir gemeinsam Rast. Heute findet auf der Passstraße ein Radrennen statt, und wir nutzen die Gelegenheit, uns unter dem straßenüberspannenden Red-Bull-Jubelbogen fotografieren zu lassen.
Albert hat bereits das Lauffieber gepackt, unruhig wie ein Rennpferd scharrt er mit den Hufen. Rolf und ich lassen die Jungs voraus ziehen, während wir in unserem Tempo den Höhenweg zur Brunnenkogelhütte ersteigen.
Nach Stunden erreichen wir den höchsten Punkt des Wannenkarsattels, knapp 3000 Meter hoch. Vor uns liegen die Gipfel der Wilden Rötespitze, des Rotkogels und des Brunnenkogels, alle in einer Reihe und verbunden durch einen ausgesetzten Grat, der sich Hängebrückenartig von Gipfel zu Gipfel schwingt. Da verläuft unser Weg, nicht gut für ängstliche Seelen.
Das Panorama ist phantastisch: Im Norden die Stubaier Berge, im Süden die Dolomiten und im Westen die hohen, vergletscherten Ötztaler Berge mit der alles überragenden Wildspitze. Mittlerweile sind auch Wolken aufgezogen, die diese Szenerie mit ihrem Licht- und Schattenspiel dekorieren.
Als ich den Arm ausstrecke, höre und spüre ich ein elektrisches Knistern in der Luft. Auch Rolf spürt, wie seine Haare sich aufrichten. Da liegt Hochspannung in der Luft. Ein Blick in die Runde zeigt, dass am Horizont bereits mächtige Cumulus-Wolkentürme in die Höhe wachsen. Schaurig-schön leuchten sie orange, sind aber noch weit entfernt. Wir beschließen, zügig weiter zu marschieren, denn einem Gewitter hier oben in Gipfel oder Gratnähe könnten wir kaum ausweichen.
Beim Abstieg von der Wilden Rötespitze, an einer ausgesetzten Gratstelle witzelt Rolf, der hinter mir geht, dass er bei einem Absturz gerne eine Bronzetafel mit seinem Namen an dieser Stelle angebracht haben möchte. Nur wenige luftige Schritte weiter stehe ich vor einer an den Fels geschraubten Bronzetafel, die einer jungen Frau gewidmet ist, die genau hier im Sommer 2013 abgestürzt ist…..“Rolf, mach jetzt keine komischen Witze!“
Am Gipfelkreuz des Rotkogels tragen wir uns ins Gipfelbuch ein und genießen kurz die Aussicht auf die Berge. Die Cumuluswolken am Horizont sind zu dunkelgrauen Wolkengebirgen herangewachsen und wir hören ein fernes Donnergrollen. Am entfernten Ende des Grates sehen wir schon die Brunnenkogelhütte, aber dazwischen liegt noch der gleichnamige Kogel, den wir noch überschreiten müssen.
Auf der letzten Anhöhe treffen wir auf einen etwa 10-jährigen Buben, der mit Mama und kleinem Schwesterchen hier herumturnt. „Hobt’s a Schoof mit an greana Oarsch g‘seng?“ fragt er uns im schönsten tirolerisch und schwenkt dabei eine grüne Spraydose. Wir erfahren, dass er auf der Suche nach einem Mutterschaf zum Markieren unterwegs ist. Dann tirolert er noch einiges von geschossenen Murmeltieren, Schafslämmern und Adlern. Ganz klar, der Bub ist ein einheimischer Tierexperte.
Als wir die letzte Wegstrecke zur Hütte zurücklegen, hüpft der Lausbub flink wie ein Zicklein an uns vorbei, als gäbe es keine Felstrümmer und Abgründe. Ich komme mir dagegen ungefähr so mobil vor wie ein Seehund am Strand von Lummerland.
Als wir beim Abendessen in der gemütlichen Hüttenstube sitzen, bricht draußen das Unwetter los. Violette Blitze flackern hell, gefolgt von knallenden und krachenden Donnerschlägen. Regenschauer und Hagel schlagen gegen die Fenster der Hütte, die ausgesetzt auf dem erhöhten Vorgipfel des Brunnenkogels liegt. Da haben wir nochmal Glück gehabt, dass wir rechtzeitig in der Hütte angekommen sind…
Das Nachtlager der Brunnenkogelhütte ist eine enge Dachkammer, in der wir zu sechst liegen. Trotz geöffneter Dachluke riecht das Sauerstoff-Gasgemisch der Kammer explosiv.
Am nächsten Morgen ist die Landschaft wieder reingewaschen und die Sonne scheint hell. Wir steigen ab ins Tal, wobei wir nach den Almen köstliche Blaubeerfelder durchqueren. Weiter geht es durch märchenhaften Lärchenwald, wir überqueren die Windach auf einer Brücke und wandern talauswärts bis zu einer Alm, wo wir eine letzte Rast genießen. Hier sehen wir als Ergebnis des Unwetters vom vergangenem Abend mehrere Schlammlawinen, die ihre braune Last über die Almwiesen ausgebreitet haben.
Noch ein kurzer Waldweg, und wir erreichen Renes Transporter, gerade als es anfängt zu regnen. Erfüllt von Abenteuer und vielen schönen Erlebnissen fahren wir zurück in die Heimat.
Ein herzliches Dankeschön an die Freunde für die wunderbare Zeit in den Bergen und Volker für die Planung der Tour. Perfekt war auch im diesem Jahr wieder das Schönwetter-Zeitfenster unserer Bergfahrt.