Wie konnte es anders sein: Das Oberengadin empfing uns mit Sonnenschein. Dabei störten die paar spätnachmittäglichen Gewitterwolken mit einigen Regentropfen nicht wirklich.
So begrüßten sich denn auch Adelheid, Helmut, Schorsch, Monika und Reinhart mit guter Laune bei einem kühlen Getränk auf der Terrasse der Jugendherberge Pontresina.
Schon am nächsten Morgen zur Eingehtour nach Muottas da Schlarigna strahlte die Sonne vom blauen Himmel.
Wegen einer Absplitterung am Fersenbein nahm Monika sich an diesem Tag eine Auszeit. Wir übrigen stiegen durch den würzig riechenden Latschenwald über die Alp da Staz auf den nordseitigen Höhenweg hinauf (2200m-2300m). Nach Westen wandernd gaben die Arven immer wieder den Blick frei auf das " Obere Oberengadin" mit der einmaligen Seenkette: Lej da Staz, Lej St.Moritz, Lej Champfer, Lej Silvaplana und Lej Sils, der sich bis Maloja zum Talschluss zieht.
Natürlich kann man die unterschiedliche Bebauung des Hauptortes St.Moritz nicht übersehen. Neben herrlichen Chalets und alten Hotels im weiten Südhang stehen auf der Talsohle einige wenig schöne Hochhäuser. Wie heisst es: St.Moritz " Top of the World", nun angesichts des herrlichen Höhenweges, der uns über den Hahnensee hinunter zum Silvaplanasee führt, vergessen wir schnell den Tummelplatz der "Oberen Zehntausend".
Hier am See bot sich uns ein einmaliges Bild: Surfer und Kite-Surfer ( Surfer, die von Gleitschirmen gezogen werden) fliegen förmlich über den See. Ein stetiger, starker Wind, der seinen Ursprung in der Poebene hat, zieht über die oberitalienischen Seen das Bergell hoch und steicht über die Seen mit einer Stärke, die sogar Weltcupläufe möglich macht.
Der Spätnachmittag erlaubte uns noch die Gletschermühlen in Maloja zu besichtigen. Mit Abklingen der letzten Eiszeit bildeten sich hier am westlichen Ende des Oberengadin, dem Steilabsturz zum Bergell, eine Reihe kreisrunder Trichter zwischen 50cm und 350cm im Durchmesser. Einmalig ist an dieser Stelle die Maloja-Pass-Strasse.
Aus dem Bergell kommend windet sie sich in vielen Kehren, von Castasegna, auf 450m NN in nur 22km hinauf nach Maloja auf 1.815m NN - um dann ohne Abfall ebenerdig auf der Höhe der Seen zu verlaufen.
Beim abendlichen Rückblick mit einem Glas Wein galt es nun für die nächsten Tage einiges neu zu bedenken.
Beim ersten morgendlichen Aufstieg in mittlerem Tempo hatte Helmut feststellen müssen, daß seine Herzrhythmusstörungen, die mit "Betablockern" austariert wurden, ein solches Tempo nicht mehr zuließen. Da Monika mit dem lädierten Fuß auch nur bedingt einsatzfähig war, einigten wir uns auf Grund ihrer Ortskundigkeit darauf ein getrenntes Programm zu erstellen.
So führte uns - Adelheid, Schorsch und Reinhart - am nächsten Tag der Weg durch das Val Muragl hoch zur Segantini-Hütte (2730m). Wie auf einem Balkon stehend eröffnete sich uns ein atemberaubender Blick auf das Seenkollier des Oberengadin nach Westen; nach Süden auf die Gletscherwelt von Piz Cambrena,Piz Palü, Bellavista bis zum Piz Bernina - alles in einer Fülle von Licht eingebettet.
Gut vorstellbar, wie der berühmte Maler Giovanni Segantini auf der Höhe seines Schaffens hier das Tryptichon: Werden-Sein-Vergehen schuf. Leider erlag er an dieser Stelle, erst 41jährig, einer Blinddarmentzündung.
Unser Weg führte noch einmal steil an alten Lawinenverbauungen vorbei auf die Gipfelgruppe der Las Suors und in weitem Bogen über den Steinbockweg (ohne Steinböcke) talwärts nach Pontresina zurück. Adelheid und Schorsch statteten dem Heimatmuseum noch einen Besuch ab, während mich der Weg zur Jugendherberge führte um zu erfahren, wie es Helmut und Monika gegangen war.
Sie hatten sich in halber Höhe den unteren Schafberg erwandert.
Einmal mehr weckte uns strahlender Sonnenschein am nächsten Tag. Mit dem Ausgangspunkt Diavolezza Talstation gingen wir durch das lichtdurchflutete Val D Arlas, zum Wandersteig am Nordgrat des Saas Queder mit Blick auf den Lago Bianco und die Lagalb über Treppen und Leitern, seilgesichert zum Diavolezza-Gletscher. Der Gletscher auf ca 3000m gelegen bot in diesem Sommer ein jämmerliches Bild. War hier noch vor Jahren Sommerskilauf möglich, so war dieses Jahr die Firndecke abgeschmolzen, so daß selbst der Sommerpfad quer rüber zur Station gesperrt war. Über lockere Steine weiteraufsteigend umgeht der neue Pfad den Gletscher, erreicht die Fuorcla Trovat und führt zur Station Diavolezza.
Wir machten Pausen an der Fuorcla, deponierten Rucksäcke und Stöcke und erkletterten den Piz Trovat. Wie auf einer Empore sitzend breitete sich der "Festsaal der Alpen" unmittelbar vor und unter uns aus. Hatten wir am Vortag von der Segantini-Hütte schon einen ersten Eindruck gewonnen, so standen wir nun unmittelbar im beeindruckenden Halbrund von Piz Cambrena bis Piz Tschierva.in unglaublicher Lichtfülle. Auch der Blick nach Nordosten und Osten ließen gut die Wildspitze in den Ötztaleralpen und die Ortlergruppe erkennen.
Ebenfalls faszinierend mitzuerleben wie die einzelnen Seilschaften auf ihrem Abstieg vom Piz Palü sich über die Brücken der Gletscherbrüche- und Spalten tasteten.
Absteigend zur Diavolezzastation trafen wir uns mit den anderen und genossen noch lange die imposante Kulisse.
Am Mittwoch hieß es dann für uns drei den großen Rucksack packen. Geplant war auf der Coaz-Hütte zu übernachten und am Donnerstag von der Südostseite auf den Piz Corvatsch 3640m zu steigen. Zunächst ging der sehr schöne Weg durch den schattigen Arvenwald des Rosegtales bis zur Baumgrenze hoch. Entlang am Gletschersee , der in den 60er Jahren noch eine " Pfütze" von 40x70m war und heute schon 1,3km mißt, gelangen wir nun steilansteigend nach 5 Stunden zur Coaz-Hütte.
Nachmittags probieren wir auf dem Gletscher noch einmal das Gehen mit Steigeisen. Der bis dahin strahlende Tag liess aber am Abend ein Gewitter aufziehen in den einsetzenden Regen am Abend mischt sich das Grollen des Donners und das Poltern und Krachen von Stein- und Eisabgängen, welches uns die Nacht im Schlaf begleitet.
Auch hier Folgen des ungewöhnlich warmen Sommers: wir hörten daß an einigen Tagen die Frostgrenze auf über 4500m gestiegen war!
Morgens schon früh unterwegs zog es sich wieder zu und Regen setzte ein, der zu einem kräftigen Dauerregen wurde. Da auch die Gipfel in den Wolken verschwanden, nahmen wir Abstand von unserer Gipfelbesteigung und gingen über die Fuorcla Surlej zur Mittelstation der Corvatschbahn. Hier konnten wir uns umziehen und stärken, und von da auch ins Tal absteigen.
Abends nach gutem Essen und anschließendem Wein kam von Adelheid der Vorschlag, am letzten Tag gemeinsam zu wandern. So fuhren wir im VW-Bus ins Bergell, die vielen Kehren hinab bis Vicosoprano. Der Postbus beförderte uns über Promontogno, Umsteigen, noch Soglio. In diesem malerischen Bergelldorf mit seinen engen, steilen Gassen zeugen noch heute stolze Paläste von der jahrhundertelangen Macht und dem Reichtum der Herren von Salis.
Auch hier galt es sich von dem Licht- und Schattenspiel der Piazza, die den Süden spüren ließ, zu befreien und den geplattenen Bergpfad zu gehen.
Faszinierende Ausblicke auf die andere Talseite zeigten uns die Bergeller 3000er.: Piz Badile, die Gruppe des Cima di Castello, den auf 2165m hochgelegenen Albigna-Stausee. An Schluchten mit Wasserfällen vorbei wanderten wir wieder zurück nach Vicosoprano. Aus dem warmen Bergell schraubten wir uns mit offener Schiebetür zurück über die Kehren des Malojapasses hoch ins Oberengadin.
Nochmals ging es an der von 3000ern eingerahmten blau-grünen Seenplatte entlang und wir nahmen schon Abschied von diesem einmaligen Hochtal, dem "Dach Europas", wie die Engländer es nannten.
Ausgestattet mit einer verschwenderischen Fülle an Licht und Farbe, umflossen von "Champagnerluft" von einem Poeten so beschrieben, war es für viele Dichter, Philosophen und Maler Anstoß und Kraftspender ihres Schaffens. Auch beim abendlichen Rückblick standen diese Bilder immer noch vor unseren Augen.