Die Krönung und das Ziel der Kletterei ist vermutlich für viele das Mehrseillängenklettern in den Alpen. Nach einiger Vorbereitung mit viel Plastik-, Kiesel- und Quarzit-Klettertraining und durch Kurse unserer Sektion in meinen ersten fünf Kletterjahren habe ich nun dieses Ziel mit Unterstützung von Rolf und Uli erreicht. Denn ohne einen erfahrenen Alpinisten wollte ich mich noch nicht in dieses neue Terrain wagen.
Rolf, der sich schon seit vielen Jahren in den Bergen auch in Mehrseillängen herumtummelt, hatte auch schon Uli mit dem Virus Alpiniensis infiziert. Und so vertrauten wir darauf, dass er uns ein geeignetes Gebiet vorschlagen würde. Nach regem Mailaustausch und zwei Vorbereitungstreffen mit einer netten Material-Bestellliste für mich als Hüttenneuling hatten wir uns für die Allgäuer Alpen im Tannheimer Tal und für das nördliche Rätikon entschieden.
Ende August war unser erstes Ziel die Bad Kissinger Hütte zu Füßen des Aggensteins. Zum Eingewöhnen stand nun also am Montag meine erste alpine Mehrseillängentour im Nachstieg an. Aber es war nicht nur eine Premiere für mich, sondern auch für Rolf. Er stieg zum ersten Mal eine komplette Tour vor. Wir hatten uns die Südwestkante des Aggensteins ausgesucht. Eine Route bis maximal UIAA III+, meist aber II bis III, mit fünf Seillängen und rund 215 Kletter- und 130 Höhenmetern. Um die Eingewöhnung zu komplettieren, durfte ich auch gleich erfahren wie sich ein von einer oberhalb kletternden Seilschaft ausgelöster Steinschlag surrend in der Luft anhört.
Mehr konnten wir leider von dieser Hütte aus nicht unternehmen, weil uns am nächsten Tag das Wetter einen Strich durch die Rechnung machte. Es gab sprichwörtlich strichweise Regen.
Wie geplant zogen wir am Mittwoch ins Gimpelhaus um, das sich ebenfalls in den Tannheimer Bergen befindet. War der Zu- und Abstieg an der Bad Kissinger Hütte mit meinem Metallwarenladen im Rucksack (20kg) noch beschwerlich, konnten wir am Gimpelhaus den Materiallift für das Gepäck nutzen. Und damit wir auch frisch gewaschene Berge vorfinden sollten, regnete es mal wieder.
So ganz hatte es der Trockner – bei Leuten, die ihn öfter sehen auch Sonne genannt – am Donnerstag noch nicht geschafft, die Wege vom Matsch zu befreien. Aber die Felsen zeigten sich so frisch geputzt schon als sehr gut bekletterbar. Noch frischen, jedoch leicht nervösen Mutes wollte ich nun auch meine ersten Seillängen in der Südostwand-Route des Gimpels im Vorstieg entern (maximal III+ meist leichter). Dabei kam, was kommen musste. Anstatt die Berge unsicher zu machen, kam es umgekehrt: Sie verunsicherten mich. Jeder, der bislang nur Kletterhalle und 3er Routen in der Eifel kennt, mag jetzt lächeln und sich fragen „warum“. Da sind zunächst die Hakenabstände, die selbst Nideggener Hakenabstände paradiesisch erscheinen lassen. 10 bis 15m sind selbst in alpinen Genussrouten keine Seltenheit. Geeignete Stellen für zusätzliche mobile Sicherungsmittel, also den bereits erwähnten Metallwarenladen in Form von Keilen und Friends sowie Schlingen, sucht man oft vergebens. Da heißt es „Nerve behaale“ und jeden noch so freundlich aussehenden Griff oder Tritt mit Argwohn betrachten und auf Festigkeit prüfen. Schließlich will man weder diese noch das oft herumliegende Geröll auf die beiden Partner weiter unten befördern oder selbst dem oft losen und nach unten strebenden Fels hinterher eilen.
Nach zwei Seillängen á 45m hatte ich dann auch zunächst genug vom Vorstieg. Wir beschlossen, über die Route abzuseilen. Dies jedoch nicht ohne zu prüfen, ob uns noch jemand folgte, den wir hätten gefährden können. Beim Abziehen des Seils im letzten Abseilstück gelang es mir mit Hilfe des Seils dann aber doch noch die Berge unsicher zu machen. Das letzte Stück der beiden Halbseile musste unbedingt einen schönen dicken Stein mit etwa 20cm Durchmesser umarmen, wo es sich nur mit einem nachdrücklichen Zug samt Stein wieder auf den Weg nach unten überreden ließ. Rolf und Uli hatten schon weit genug auf der Seite gestanden und ich duckte mich zum Schutz hinter einen größeren Felsbrocken, so dass der Stein ungehindert der Schwerkraft nachgeben konnte und im Geröllfeld weiter unten landete.
Fazit dieser Tour:
Abseilen über die Route ist gefährlich, wenn sich darunter oder in Nachbarrouten noch Seilschaften befinden sollte
Vorstieg im alpinen ist eine ganz andere Nummer als im heimischen Mittelgebirge oder gar als in südfranzösischen Klettergebieten mit Hakenabständen von 1,5 bis 2 Metern.
Im Alpinen sollte man seine Routen mindestens zwei Grade unter Hallen-Vorstiegsniveau wählen, um allen Kletter-Schwierigkeiten auch auf langen Touren sicher gewachsen zu sein.
Neben allen ernsten Schlussfolgerungen blieb aber auch der Spaß nicht auf der Strecke. Wenngleich er zunächst von den Eindrücken und der Anspannung bei mir noch erfolgreich im Zaum gehalten wurde.
Mit wiederum unsicherer Wettervorhersage für den Nachmittag gingen wir am Freitag den Hochwiesler Hüttengrat (5SL, IV+) an. Rolf war wieder unser Leitwolf, weil mein Kopf noch eine Vorstiegspause brauchte. Der Hüttengrat ist eine sehr schöne und recht großzügig mit Bohrhaken abgesicherte Route mit Blick auf die Tannheimer Hütte und das Gimpelhaus. Allein finden müsste man die Haken. Rolf gelang es, aus einer IV+ Route eine Ver zu machen, indem er über eine Platte links des Grates dem ersehnten Standplatz entgegen strebte während sich rechts des Grates zwei Bohrhaken langweilten und groß mit ihren ungenutzten Ösen gähnten. Und spätestens hier fand auch er den von ihm so betitelten Metallwarenladen nicht mehr überflüssig. Nach einer gefühlt unendlichen Strecke konnte er wenigstens einen Friend setzen. Der krönende Abschluss war dann die Abseilpiste in drei langen Stufen. Das hat Uli für zukünftige Abseilaktionen ein wenig besser gewappnet.
Gegen etwaige Verschmutzungen oder Staubablagerungen kam am nächsten Tag mal wieder der himmlische Reinigungstrupp zum Einsatz. Es war wieder nass. Rolf und Uli unternahmen eine kurze Wanderung und ich legte einen Ruhetag ein. Schließlich hatten wir am nächsten Stützpunkt, der Heinrich Hueter Hütte, noch größeres vor. Eine Besteigung der Zimba (2643müM) im nördlichen Rätikon, Vorarlberg, war geplant. Scheinbar waren aber die Verschmutzungen der Berge hier so stark, dass der Regen am Sonntag nicht reichte und der bereits erwähnte Reinigungstrupp eine spezielle Schönheitspackung zum Einweichen benötigte: 20cm Schnee in 2200 müM. Wir vertrieben uns den Montag daher im Boulderraum der Hütte mit Bouldern und Übungen zum Standplatzbau sowie mit einer Trilogie von Spinatknödeln, Röstis und Kaasspatzen, die wunderbar mit dem mageren Frühstück und unserem leeren Magen harmonierte:
Auch am Dienstag war nicht an Klettern zu denken. Stattdessen wanderten wir über die Lüner Krinne zur Douglashütte am Lüner See.
Am Mittwoch brachen wir dann den Aufenthalt in den Bergen ab, da weiterhin keine Besteigung der Zimba für uns möglich und vertretbar erschien. Aber die Zimba wird auch im nächsten Jahr als potentielles Ziel noch vorhanden sein und es wird sicher weitere Aktionen unsererseits in den Bergen geben.
Resümee zu den Hütten und Klettergebieten:
Insgesamt kann man das Gebiet um das Gimpelhaus sowohl für Alpineinsteiger als auch für Fortgeschrittene sehr empfehlen. Die Zustiege von der Hütte sind kurz und es wird in allen Schwierigkeitsgraden als Mehrseillängen oder auch in Form kurzer Routen was geboten. Die Unterkunft in der privat geführten Hütte ist zwar geringfügig teurer als in den AV-Hütten, aber bei der guten Bewirtung, einem tollen Trockenraum (nicht ganz unwichtig in diesen Tagen) allemal Ihr Geld wert. Bei gutem Wetter an Wochenenden wird es aber vermutlich sehr voll in der Hütte und in den Routen, da Ulm und München nicht weit weg sind.
Auch die um einen Anbau erweiterte Bad Kissinger Hütte können wir weiter empfehlen. Das Frühstück in der Heinrich Hueter Hütte jedoch nicht. (für 8,90€ zwei Scheiben Brot, ein Minibrötchen, nur 10g Butter oder für 6,90€ ein Minimüsli, alles weitere nur gegen Aufpreis).