"Die drei Zinnen brennen!" - "Geht doch gar nicht!" - "Dann kommt nach draußen und schaut es euch an!" Und tatsächlich, ein paar Minuten bevor die Sonne endgültig im Westen untergeht, leuchtet sie mit aller Kraft die Silhouette der drei großen Felsentürme an und taucht sie dabei in ein unnatürliches, orange-goldfarbenes Licht, während kurz darauf alles in einer grauen Dämmerung verschwindet und wir auf der Terrasse der Dreizinnenhütte langsam zu frösteln beginnen.
Wir - Birgit, Rudi, Ralf, Günther und Erwin - sind am Samstagmorgen, den 6. August, um 4:00 Uhr in Kall gestartet, haben unser Auto zum Parkplatz Rifugio Auronzo auf 2320 m Höhe gequält und haben die Distanz bis zum Rifugio Tre Cime A.Locatelli 2405m in bequemer 1,5h - Wanderung noch vor Sonnenuntergang bewältigt. Das vorbestellte Zimmer erwies sich als nicht so glücklich von der Lage her, weil es allzu tiefe Einblicke in die menschliche Natur miterleben ließ; - es lag direkt neben dem Toilettentrakt. So wechselten wir direkt am nächsten Morgen zum Terrassenlager mit dem fantastischen Blick auf die Zinnen direkt vom Bett aus.
Der erste Ausrüstungscheck wird gleich vor der Hütte vorgenommen, da wir uns gleich am ersten Tag den Hausberg der Hütte, den Paternkofel 2744m, als Ziel gesetzt haben. Leichte Klettersteige führen zum Gipfel; für uns die ideale Gelegenheit, sich an die neue Umgebung zu gewöhnen.
Beim Aufstieg zur Gamsscharte werden wird es nicht nur sehr steil, sondern auch sehr dunkel; wir klettern in alten Kriegstunneln aus den Tagen von 1914/18 aufwärts. Hier kommen zum ersten Mal unsere neuen Helmlampen, mittlerweile alle in LED-Technik, zum Einsatz. Alle sind froh, auf halber Höhe zum Paterngipfel, endlich wieder einen Ausstieg zu haben, der uns zurück an die Sonne bringt.
Jetzt bleiben wir außen an der Wand, die leichte Ausgesetztheit der Route bewältigen alle sehr gut. Nach der Gamsscharte beginnt der dritte Teil des Anstiegs, der uns endlich auf das Gipfelplateau führt. Von hier aus ist die Aussicht natürlich überwältigend. Im Sonnenschein bei leichter ¼ - Bewölkung können wir schon viele Ziele der nächsten Tage in Augenschein nehmen; unser Blick kehrt jedoch immer wieder zu den Zinnen hinüber.
Nach ausgiebiger Gipfelrast klettern wir zur Gamsscharte ab, um von dort dem Sentiero delle Forcelle, einem mäßig schwierigen Schartenweg, der in der Tat durch einige luftige Scharten führt, zum Büllelejoch zu folgen. Hierbei ist jedoch nicht das Büllelejoch selbst das Ziel, sondern die dazu passende Hütte, in der es laut Aussage des Tourenleiters die besten Knödelsuppen weit und breit gibt - was auch diesmal voll bestätigt wurde.
Spät am Abend stoßen dann noch die beiden letzten Mitglieder der Truppe, Karin und Ulrich, in der Zinnenhütte zu uns, so dass wir am nächsten Morgen mit der vollen Mannschaft starten können. Ziel ist diesmal der Toblinger Knoten 2617 m, ein einzeln stehendes Felsmassiv, welches im ersten Weltkrieg als Beobachtungsposten und Kampfstellung diente, und in das 1917 österreichische Stand-schützen einen Leiternsteig - damals noch mit Holzleitern - durch die Kamine der Nordwand legten um vor den italienischen Scharfschützen sichere Bewegungen machen zu können.
Nach diesem sehr ausgesetzten Anstieg durch die Kamine über Eisenleitern und am durchgehenden, nicht immer straff gespannten Seil sieht man schon in der Ferne das nächste Ziel sich gegen den Himmel abheben: die Schusterplatte 2957m. Doch davor steht noch der Abstieg über den Normalweg bis zum Innichriedl- Sattel 2381 m und anschließendem, zum größten Teil nicht gesicherten, Anstieg zum Gipfel. Hier ist nun richtiges Klettern gefragt. Ralf findet hier eine eigene, etwas schwierigere Variante, aber auch diese führt zum Ziel.
Nach einer weiteren Übernachtung an den Zinnen gehen wir über die Zsigmondy Hütte hinüber zur Carducci Hütte, dem Ausgangspunkt unserer nächsten Klettersteig-Unternehmungen. Doch zunächst erwartet uns eine Überraschung: die Hütte ist trotz Voranmeldung voll belegt und wir müssen zur Übernachtung in einen draußen gelegenen, sehr urigen Notraum ausweichen, was unserer Stimmung aber keineswegs Abbruch tut. Im Gegenteil: Rudi hat hier noch ein Erlebnis der zweiten Art, als er als oberster eines dreistöckigen Lagersystems während der Nacht seine Brille verliert und diese dann am nächsten Morgen im Schlafsack des ganz unten liegenden französischen Bergsteigers sucht - was dieser allerdings nicht so gut findet, da er glaubt, es bedrängt ihn einer von der wärmeren Fraktion - aber Rudi kann dieses Missverständnis dank seiner perfekten Eifel-Französisch-Kenntnisse dann doch noch aufklären und wir können ohne größere Schäden unsere Tour fortsetzen.
Geplant ist eine größere Runde um das Gebirgsmassiv Hochbrunner Schneid (Monte Popera), Elfer (Cima Undici) und Sextner Rotwand, die uns in 2 Tagen wieder zur Carducci Hütte bringt. Eine Aneinanderreihung von Klettersteigen ist zu bewältigen, beginnend mit dem Alpinisteig und anschließender Übernachtung im Rifugio al Popera A. Berti, welche mit 1950 m die tiefstgelegene Hütte unserer Tour ist. Äußerste Konzentration ist wichtig, da wir in einem ständigen Auf und Abkletternd am Seil Höhen bis über 2700 m überwinden müssen.
Die Krönung dieser Runde ist jedoch am nächsten Tag das Klet-tersteigpaar Via Ferrata Roghel und Via Ferrata Cengia Gabriella, die man nur in Kombination gehen kann, will man nicht zwangsweise in der roten Metall-Biwakschachtel Battaglione-Cadore eine Nacht überdauern. Heftig ist der Anstieg von der Berti-Hütte aus und als Schlüsselstelle, sprich: besonderes Schmankerl auf dem Weg Richtung Forcella Piccola di Stalata, zeigt sich eine etwa 20 m hohe, leicht überhängende Felsstufe, die zwar mit einem durchgehenden Seil, aber nur mit sehr sporadischen Tritt- und Griffstellen versehen ist. Dafür kommt uns überflüssiger-weise noch eine gute Portion Schmelzwasser entgegen. Zu guter Letzt sind jedoch alle Teilnehmer über diese schwierige Hürde gebracht und wir können aufatmen.
An der Cengia Gabriella erwischt uns dann, fernab von jeder Abstiegsmöglichkeit, noch ein Gewitter mit zwar entferntem Donnergrollen, aber dafür sehr nahen Regengüssen, die uns wieder die warme Carducci-Hütte herbeisehnen lassen. Im Anblick der Hütte ist das feuchte Intermezzo jedoch schon vorbei und wir lassen es uns bei gut gefeuertem Kachelofen und heißer Schokolade gut gehen. Im Abgasstrom des hütteneigenen Generators werden nach einem ausgeklügelten Wendesystem auch alle unsere nassen Klamotten wieder leidlich trocken. Dafür riechen sie jetzt intensiv nach Dieselkraftstoff. Was soll's - die Teilnehmer selbst riechen auch nicht mehr so gut wie am Anfang der Tour.
Für Freitag ist nun der große Wechsel in ein neues Massiv angesagt: die Tofanen. Dazu müssen wir erst wieder unser Auto am Parkplatz Rif. Auronzo erreichen, um dann in einstündiger Fahrt über Cortina d'Ampezzo (Super-Pizza!!!) Richtung Passo Falzàrego die Abzweigung zur Dibona-Hütte zu erwischen. Ein paar mal unterwegs setzt der Wagen auf, schließlich hat auch hier der Regen den Schotterweg zum Teil weggeschwemmt, aber dennoch erreichen wir den Parkplatz in 2037 m Höhe. Von hier aus sind es nur noch rund 600 Höhenmeter bis zum nächsten Stützpunkt, dem Rifugio Giussani. Heute, Samstag, der 13.08. steht die Tofana de Rozes auf dem Programm, allerdings nicht der Direktweg, sondern wir wählen die Klettersteigversion über die Galleria del Castelletto und die anschließende Ferrata Lipella, die neben dem Anstieg im steilen, 800 m langen, stockfinsteren Stollen auch noch manch kräftigen Armzug zur Höhenbewältigung verlangt.
Nach Erreichen des Zwischenziels Tre Dita 2694m am Nachmittag entschließen sich Karin und Ulli auf dem kurzen Normalweg zur Hütte zu wandern, während die anderen noch den letzten Klettersteig auf den Gipfel Tofana de Rozes 3225 m angehen. Diese Variante stellt nochmals eine Steigerung in Sachen Schwierigkeit dar, ab hier ist die Stufe IV der 5-stufigen Skala (sehr schwierig) angesagt, was auch schon gut in den Armen zu spüren ist. Die Ausgesetztheit nimmt in stetigem Maße zu, bis dass wir uns über die letzte senkrechte Steilstufe auf das etwas flachere Gipfelplateau schwingen können. Geschafft! Um 14:28 Uhr erreichen wir noch bei Sonnenschein den Gipfel, aber nach der kurzen Freude über das erfüllte Tourenziel zieht es unseren Blick in Besorgnis nach oben, wo sich schon wieder die Wolken Unheil verkündend zusammenballen. Noch haben wir die Hoffnung, einigermaßen trocken den Abstieg zur Hütte schaffen zu können; aber es sollte nicht sein!
Während der nächsten 2h werden wir sozusagen stufenweise vom Berg gespült; Sturzbäche ergießen sich parallel zu unserer Kletterrichtung zu Tal. Ein wahrer Test für unsere Regenausrüstung! In der Hütte angekommen, kehren bei heißen Getränken die Lebensgeister langsam wieder ein. Der Regen bleibt den ganzen Abend über in gleicher Stärke anhaltend; der Wetterbericht im Radio des Hüttenwarts prophezeit auch für den nächsten Tag die gleiche Wetterlage. So beschließen wir, unter diesen widrigen Bedingungen das noch ausstehende letzte Ziel, die Tofana di Mezzo 3244m auf einen späteren Termin zu verschieben und am Sonntagmorgen nach Hause zu fahren. Während des Abends berichtet der Hüttenwirt von einer dramatischen Aktion in der Südwestwand der Tofana de Rozes:
Ein Mitglied einer tschechischen Klettergruppe sei während des strömenden Regens am Spätnachmittag abgestürzt und tödlich verletzt worden; durch Helikoptereinsatz habe man versucht, seine beiden Kameraden aus der Wand zu befreien; dies hätte jedoch bis zur einsetzenden Dunkelheit nicht erreicht werden können; die beiden müssten in der Wand biwakieren. Während unseres Abstiegs zum Parkplatz am nächsten Morgen sehen wir die erneut einsetzenden Hubschrauberflüge in der Wand unterhalb unseres gestrigen Ziels; von der Bergwacht am Parkplatz erfahren wir, dass am Morgen die beiden Kletterer gerettet werden konnten. Etwas nachdenklich beginnen wir die Heimfahrt.