Die Vulkaninsel lockt mit sämtlichen Wandneigungen und Griffarten, Trad-, Sportkletter- und Mehrseillängenrouten und dem „ewigen Frühling“
20 Zentimeter Schnee lagen Mitte Januar bei uns in der Eifel, 16 Grad Celsius Minus zeigte das Thermometer an, dazu aber Sonnenschein. Perfekte Wintersportbedingungen – wir aber wollten nicht auf die „Bretteln“, sondern warmen Fels unter den Finger spüren. Nach knapp fünf Stunden Flug von Köln/Bonn aus konnten wir das auch – auf einer der „Inseln des ewigen Frühlings“, der Vulkaninsel Teneriffa.
Das Klettern auf der Kanareninsel „gleich neben Marokko“ ist sehr abwechslungsreich. Aktivitäten von Bouldern über Sportklettern in den „Barrancos“, also den zahlreichen Schluchten, die die Insel durchziehen, über kurze Mehrseillängen bis 150 Meter und alpin angehauchtes Sportklettern in den Cañadas, direkt an der Caldera des Vulkankegels Teide, bis zum Deep Water Soloing können das Kletterherz zum freudigen Schlagen bringen. Dabei gibt es sowohl gebohrte Routen wie Trad-Linien, bei der meist Umlenker oder Standplätze gebohrt sind.
Auch an Wandneigungen gibt es alles für jeden Geschmack. Von technisch kniffeligen Platten über senkrechte Wände im Frankenjura-Stil (im Sektor „Los Quintos“ in Arico Arriba zum Beispiel, wo man auch mal in einer 5 ein „Mono“, also ein Einfingerloch, ziehen muss) bis zu stark überhängenden Felsen und ausgedehnten Dächern. Sloper, Leisten, Kanten, Verschneidungen, Risse, Henkel – manchmal fanden sich alle Griffarten in einer Tour: Wenn in vergangenen Jahrhunderten längere Zeit Wasser durch die Schlucht geflossen war, gab es unten in der Route oft runde und glatte Formen, zwei, drei Meter später guten Grip und mehr Strukturen. Dazu auch im Januar 16 bis 18 Grad Lufttemperatur, das Wasser ist ebenso warm, und meist lacht die Sonne auf die Kletterer hinab. Und wenn es irgendwo doch mal tröpfelt, findet sich ein paar Kilometer weiter immer ein trockenes Plätzchen. Dabei ist der Norden wesentlich mehr von Feuchtigkeit gesegnet oder geplagt, je nach Perspektive, als der kletterfelsreichere Süden.
Unser Hauptquartier hatten wir im Südosten der Insel, in der „Kletterhauptstadt“ Teneriffas Arico, aufgeschlagen. Durch den Tipp eines Freundes und einen Bericht in der „klettern“ waren wir im „Tenerife Climbing House“ (TCH) untergekommen, wo uns Erik Baquero, mit Elena Martínez Besitzer des TCH, begrüßte. Gebürtig aus Ecuador, hat uns Erik mit seinem Team rund um Arico nicht nur viele perfekt eingebohrte Routen beschert, sondern auch ein Hostel aufgebaut. Außerdem hat er einheimische Geschäftsleute von den Vorteilen durch den Klettertourismus überzeugen können, so dass mehrere Bars, Restaurants und der Supermarkt in Arico das TCH unterstützen und sich an den Kosten für die Bolts beteiligen – über 6000 Euro hat Erik schon für das Einbohren aus eigener Tasche berappt. Topos und Tipps – durch die ständige Erschließung auch mal von Erik handgezeichnet – bekommt man im TCH oder dem von Freunden nebenan geführten Kletterladen Roxtore.
Allerdings sollte man sich mindestens im fünften, besser sechsten Franzosengrad im Vorstieg wohlfühlen, wenn man auf Teneriffa Spaß haben will. Wer etwas über Land und Leute, Ökologie, Zustieg und Routen aus erster Hand erfahren will, kann sich im TCH einen Guide nehmen. So haben wir uns mit Rafael „Rafa“ Gómez Lorente auf nach El Rio gemacht, einem wunderschönen, sehr breiten Barranco mit abwechslungsreichem Gelände, sehr geschützt und oft sonnig. Die Felsqualität ist fast ausschließlich hervorragend, die Routen zwischen 15 und 30 Meter lang, von Platte bis Überhang ist der gesamte Kletterspielplatz angerichtet. Dazu reichlich Kakteen und sogar ein Echo, was mal das Schnaufen der Kletterer zurückwarf, mal das Lachen zweier Spanierinnen, die auch in anspruchsvollen Vorstiegsrouten durchgehend und ausgiebig ihre Kiefermuskulatur trainierten. Vor giftigen Schlangen oder Spinnen muss man übrigens keine Angst haben – die gibt es nämlich nicht – aber vor einem Wolfsmilchgewächs hat uns Rafa gewarnt. Dafür könne man die Kaktusfeigen sogar essen, wenn man die Stacheln entfernt.
Ein echtes Genussgebiet ist Tamadaya, wo es von ein paar Vierern über genügend Fünfer bis in den oberen sechsten Franzosengrad geht. Unten glattgewaschen, hat der Fels weiter ober tolle Reibungswerte. Allerdings ist Tamadaya auch ein echter Windkanal, in die enge Schlucht scheint im Januar nicht viel Sonne, so dass man sich entweder warm anziehen oder den Trip dahin auf heiße Tage verlegen sollte. Fantasma ist ein Gebiet mit Märchencharakter durch eine einzigartige Pflanzenwelt mit herabhängenden Zweigen, Grotten, Blöcken und natürlich den überall zu findenden Kakteen. Da wir dazu kein Topo hatten – das Gebiet wird immer noch erschlossen – kletterten wir einfach drauf los – im wahrsten Sinne des Wortes „on sight“ – und erfuhren später von „Locals“, dass wir in Routen bis 6c+ (VIII- UIAA) eingestiegen waren. Durch die gute Absicherung war dieses Abenteuerklettern kein Problem.
Den Ruhetag nutzten wir für die Besteigung des Teide, mit 3718 Meter Höhe nicht nur der höchste Berg Teneriffas, sondern gleich von ganz Spanien. Man kann von etwa 2350 Meter Höhe mit der Seilbahn (Stand Januar 2017 für Erwachsene hin- und zurück 27 Euro) bis auf etwa 3550 Meter hochfahren. Da es sich um einen geschützten Naturpark handelt, braucht man für die Besteigung des wirklichen Gipfels eine Genehmigung, die man Wochen vorher im Internet beantragen sollte. Personalausweis nicht vergessen und angemeldete Uhrzeit einhalten, sonst gibt es schnell Probleme. Die können unerfahrene Nicht-Hochalpinisten auch bekommen, wenn sie ohne die obligatorische warme Kleidung durch die für Flachlandtiroler doch recht dünne und zum Teil schwefelig riechende Luft auf den Teide wollen. Trotzdem zieht es auch Leichtsinnige in Espandilles, Shorts und T-Shirt nach oben, was bei uns nur Kopfschütteln verursachte, da oben -1 Grad Celsius und 35km/h Wind herrschten – was für den Teide-Gipfel gutes Wetter war.
Prima sind die in der Nebensaison günstigen Preise für Flug, Mietwagen, Unterkunft und Essen. In der Kletterszene-Kneipe „Menzey de Abona“ haben wir für zwei Portionen der in Teneriffa typischen salzigen Runzelkartoffeln „Papas Arrugadas“ mit der scharfen, knoblauchlastigen Sauce „Mojo Rojo“ und vier „Doradas“, dem Bier aus Teneriffa, mit Anis-Brot unter acht Euro gezahlt. Dazu das perfekte Kletterwetter mit einem Schauer in acht Tagen, nur ein klein wenig Sonnenbrand und zahlreiche Klettermeter machten aus Teneriffa für uns das perfekte Winter-Kletterziel. Da manche Barrancos zumindest teilweise im Schatten liegen, ist auch im Sommer Klettern auf Teneriffa möglich.