Gasthaus Lüsens. Zimmer 14 am 06.01.2011 um 8:00 Uhr morgens.
Es klopft an der Tür, dass es mich aus dem Dämmerschlaf reißt. „Sie sind da!“ Ich spring aus dem Bett, schlupf in die Hose und humpel zur Tür, um diese zu öffnen. Auf der anderen Seite der Tür stehen Martin, Chris und Sabine. Gerade frisch aus Deutschland eingetroffen. Ich war schon einen Tag vorher angereist und nun geweckt worden. Während die Anderen ihre Sachen ins 4 Bett-Zimmer brachten zog ich mich fertig an und ging dann frühstücken.
Der erste Tag führte uns zum Gasthausfall, der sich in unmittelbarer Nähe befand. Nach einem leichten Zustieg von 10 Minuten standen wir vor unserem ersten Eisfall. Wir zogen uns die Ausrüstung an (Helm, Gurt und Steigeisen) und Martin hängte 2 Toproperouten auf, an denen wir den Tag über üben konnten, wie man mit den Steigeisen treten muss und wie man die Eisgeräte richtig platziert. Am frühen Nachmittag kam dann noch eine weitere DAV-Gruppe und es wurde langsam eng am Eisfall. Bloß gut, dass wir früh dort waren und uns so schon ein Übungsgelände gesichert hatten. Ein Highlight an diesem Tag war das Klettern ohne Eisgeräte, bei dem es auf die richtige Fußtechnik ankam.
Der erste Tag neigte sich dem Ende und so begannen wir den Abstieg, wohl wissend, dass die Grundlagen für die folgenden Tage vermittelt wurden.
Abends einigten wir uns darauf, dass unser Zimmer nicht spartanisch, karg, sondern „urig“ sei. Das klingt einfach besser. Weitere Highlights im Zimmer war die „Harry Potter-Zauber“-Bettwäsche, das Waschbecken mit tropfendem Wasserhahn sowie ein überaus intelligentes Fenster, was bis einen Tag vor Abreise nur von einem Teilnehmer geöffnet werden konnte. Ich sag nicht wer derjenige war. Ich möchte die Anderen ja nicht bloßstellen …
Der zweite Tag begann mit einer Abstimmung. Martin und ich waren dafür im Bett zu bleiben, während Sabine und Chris losziehen wollten. Martin und ich ordneten uns den Wünschen der Beiden unter und so ging es alsbald zum Bafflfall. Einem leichten Eisfall nahe Gries am Sellrain dessen Ende nach 3 Seillängen und 130 Klettermetern erreicht ist.
Doch bevor wir uns langen Routen widmen konnten, mussten weitere Grundlagen gelegt werden. Es galt zu erlernen wie man eine Eissanduhr baut, falls man über den Eisfall abseilt, oder eine Toproperoute einrichten will. Außerdem behandelten wir dem Standplatzbau mittels Reihenschaltung.
Wir hatten uns an den kleineren Fällen warm geklettert und so konnten wir uns dem Bafflfall zuwenden. Da inzwischen eine weitere DAV-Gruppe gekommen war die verschiedene Übungen am Fuße des Falls durchführten hielt Martin kurz Absprache mit ihnen und uns wurde der linke Teil freigegeben, um Aufsteigen zu können.
Wir bildeten zwei Seilschaften. Martin steig mit Chris und Sabine stieg mit mir, wobei ich führte. Ich war aufgeregt. War es doch mein erster Vorstieg im Eis über diese Länge. „Jetzt schaut da mal hin, wie man das richtig macht“ tönte es auf einmal vom Fachübungsleiter der anderen DAV-Gruppe. Derart beflügelt stieg ich auch ein, Martin neben mir. Die Eisqualität war wirklich super. Jeder Schlag saß. „Schaut, da sitzt jeder Schlag, so wird’s gemacht!“ tönte es von unten, was mir ein Schmunzeln ins Gesicht zauberte. Wir stiegen schnell und sicher auf und machten auch bald Stand. Standplatzbau sofort in der Praxis anwenden, besser geht’s nicht. „Stand“ „Seil frei“ „Nachkommen“ und schon sicherten wir Chris und Sabine im Nachstieg. Dann folgte eine kurze Lagebesprechung, wie wir weitersteigen würden und schon ging es wieder hinauf. Es war ein gutes Gefühl jemand erfahrenen wie Martin neben mir zu wissen. So brachten wir auch die folgenden Seillängen zügig und sicher zu Ende und der Abstieg begann.
Leider ereignete sich hier ein Unfall. Ich ging als letzter und sah nur, wie Chris auf dem Hosenboden den Hang hinabrutschte und ich dachte bei mir „mutig, das hier im Wald zu machen“, dann fing sich Chris mit den Füßen an einem Baumstumpf ab und begann zu fluchen, dass ich es noch deutlich hören konnte. Schnell eilte Martin herbei, auch Sabine war schnell bei Chris. Martin machte eine erste Untersuchung des Beines. Der Knöchel hatte was abbekommen. Die Knochen schienen heil zu sein, aber an Auftreten war nicht wirklich zu denken. Immer wieder schoss der Schmerz in Chris Bein, wenn er versuchte aufzutreten. Es half aber alles nichts, wir konnten nicht im Wald übernachten. Es gab nur einen Weg und der führte nach unten. Martin sicherte Chris dabei, dass dieser nicht abstürzen konnte, während er sich den Weg weiterkämpfte. Sabine ging auf Martins Order vor zu unseren Rucksäcken, um Stirnlampen und einen Biwaksack zu holen. An einer steileren Stelle angekommen richtete ich an einem Baum eine Abseilpiste ein. Martin nahm Chris auf den Rücken und seilte mit ihm ab. In der Zwischenzeit kamen weitere Helfer zu uns, da die andere DAV-Gruppe noch vor Ort gewesen war. Sie halfen Martin und Chris noch sicher zu den Rucksäcken, während ich die Abseilpiste abbaute und dann auch weiter abstieg.
An den Rucksäcken angekommen hatte Martin alles vorbereitet, um Chris die restlichen gut 60 Höhenmeter hinunter zu bekommen. Er nahm Chris in einem Rettungssitz auf den Rücken und stieg mit ihm huckepack weiter ab. Dabei wurden sie von zwei Helfern unterstützt, die verhinderten, dass Martin ins Straucheln geraten konnte. „Schauts euch diss an, der Typ is a Vieach!“ kommentierte einer diese Leistung von Martin, vor der wir alle einen enormen Respekt hatten.
Sabine und ich trugen derweilen unser Gepäck hinunter. Mehr helfen konnten wir auch nicht.
Die Erleichterung war groß, als wir Chris endlich heil im Auto hatten.
Inzwischen war es dunkel geworden.
Am dritten Tag trennten sich unsere Wege. Ich fuhr mit Chris nach Innsbruck, um den Knöchel, der über Nacht blau wurde, untersuchen zu lassen.
Meine Mutter hatte mich immer gewarnt: „Wenn was passiert, landest du in Innsbruck!“ waren ihre Worte. Warum Eltern auch immer Recht behalten müssen …
Wir hatten kaum das Krankenhaus betreten, da wurde dem Chris auch schon ein Rollstuhl zugewiesen. Wieder meldete ich mich als Fahrer und schob den Fußlahmen einmal durchs Gebäude zur Unfallannahme.
Dann begann, was man nur aus einem Trickfilm kennt: Doktor 1 öffnete Tür 3 um uns herein zu bitten. Später öffnete Doktor 2 Tür 1. Beim nächsten Mal öffnete Doktor 2 Tür 3 und später Tür 4. In Innsbruck scheinen Ärzte keine feste Stelle zu haben, ging uns durch den Kopf.
Aber es ging erst einmal zum Röntgen, wo ich sofort von der Röntgenschwester zusammengeschissen wurde.
Dann ging es wieder zur Unfallannahme wo Chris zum ersten Mal Kontakt mit einem engelsgleichen Wesen hatte. Dieser Engel erschien in blauer Arbeitskleidung, trug rosa Söckchen, und pinken Crocs, hatte blondes Haar und Haut, zart wie Porzellan, leider auch eine Trombosespritze in der rechten Hand.
Ich ließ mir vom Arzt die Diagnose geben, da Chris eh gerade abgelenkt war. Diagnose: Sprungbeinfraktur. Chris bekam 2 schöne Krücken und einen Gipsfuß, sowie den guten Rat es schnellstmöglich operieren zu lassen (am liebsten hätten sie es dort schon gemacht). Aber erstmal zu McDonalds.
Schnell mussten wir feststellen, dass die Mentalität in unserem Nachbarland eine ganz andere ist, als bei uns. Auf dem kurzen Stück vom Parkplatz zum McDonalds wurde Chris 2-mal in ein Gespräch verwickelt, wo man sich nach seinem Fuß und seinem Befinden erkundigte. Ein drittes Mal direkt bei McDonalds, wo uns sogar extra ein Tisch freigemacht wurde.
Nach einem schnellen Essen ging es dann zurück ins Sellraintal, mit im Gepäck 2 Schokomuffins für Martin und Sabine (die Muffins hab ich übrigens im Auto wieder gefunden und hab sie beim Schreiben des Textes verputzt).
Am Nachmittag setzten wir den Chris in einem Café in Kühtai ab und machten uns zu dritt auf den Weg zum Kühtaibacherl Eisfall.
Wir waren nicht alleine. Im rechten Wandteil war gerade eine Seilschaft in der zweiten Seillänge zugange. Martin bot mir an die Tour zu führen und ich willigte ohne lange zu überlegen ein. Wir zogen uns die Ausrüstung an und dann konnte es auch schon losgehen. Wegen der anderen Kletterer hielt ich mich links, um nicht von Eisschlag erwischt zu werden. Das Eis war fantastisch und ich kam gut voran. Dann hörte ich von unten „Noch 5 Meter!“. War ich wirklich schon 45 Meter geklettert? Ich suchte nach einer geeigneten Stelle um einen Standplatz zu bauen. Kurz darauf sicherte ich Martin und Sabine nach. Die zweite Seillänge war steiler, aber das Eis war weiterhin gut. Nach kurzer Unsicherheit entschied ich mich auch die 3te und letzte Seillänge zu führen.
An diesem Nachmittag hatten wir eine wunderschöne Klettertour gemacht (3SL über 130 Klettermeter), es sollte die letzte große Tour gewesen sein, denn am nächsten Tag war der Kurs leider schon zu Ende.
Noch bevor wir ihn vergaßen fuhren wir zu Chris ins Café, wo wir den Tag ausklingen ließen, bei einer schönen Tasse Kaffee, oder Tee. Im Gästehaus wurde zudem unser Gaumen mit einem herrlichen Schnitzel verwöhnt.
Der letzte Tag führte uns zum Mixedklettern bei Ochsengarten. Chris brachten wir wieder in einem gemütlichen Gasthaus unter, wo man sich sofort um ihn kümmerte. Österreichs Einwohner sind uns wirklich unheimlich gastfreundlich entgegengekommen und wir wussten, dass Chris dort sicher ist, wie in Mutterns Schoß.
Der erste Eisfall an diesem Tag hieß „Rinne“. Wir kletterten uns warm und gingen dann in das „Mixed Gartl“. Hier stand eine recht schmale Eissäule an der wir uns weiter auspowerten.
Martin kletterte noch eine Mixedroute. Für mich war sie leider zu schwer. Sabine wagte sich an einen anderen Weg, die schmale Eissäule empor, die so einige Schwierigkeiten mit sich brachte. Doch sie biss sich gewohnt souverän durch.
Gegen Mittag endete der Kurs und es sollte Richtung Heimat gehen. Jedoch nicht bevor man den Kurs gescheit hat ausklingen lassen, mit einer kräftigen Suppe, Kaffee und/oder Tee.
Was nehmen wir aus diesem, hoffentlich nicht letzten Eiskurs mit?
Ein paar rostige Frontzacken, durch Felskontakt gezeichnete Eisgeräte und eine stumpfe Eisschraube.
Trotz des Unfalles, kamen aber noch jede Menge toller Erfahrungen und Erlebnisse hinzu. Bleibt zu hoffen, dass auch der nächste Winter wieder so bereichernd für uns Eisliebhaber ist, denn eines ist sicher: Eis macht süchtig, aber nicht dick.