Mittwoch:
Volker, Rene, Albert, Rolf, Walter und Neuzugang Ingo machten sich in diesem Jahr auf die Reise in das Dachstein-Gebirge.
Nach dem heißen Ritt mit Renes VW-Transporter über die Autobahn erreichten wir Ramsau bei Schladming am Fuße des Dachsteins. Es war elf Uhr und Postkarten-Sonnenschein. In einem Restaurant mit Terrasse kehrten wir ein und tranken Radler und Kaffee.
Wir packten unsere schweren Rucksäcke mit Kletterzeug und Steigeisen. Volker hatte noch ein 25-Meter-Seil dabei und ich meinen alten Luis-Trenker-Gedächtnispickel. So starteten wir in Richtung Dachstein-Südwandhütte. Wir waren noch nicht lange unterwegs, da stellte Rolf fest, dass er vermutlich bei einer Fotopause seine Sonnenbrille hatte liegen lassen. Trotz Suchaktion blieb sie verschwunden.
Bald zweigte ein Weg, der nach dem Heimatdichter Peter Rosegger benannt war, ab in den hohen Bergwald und führte uns steil aufwärts. Rolf, der mit einer schmerzhaften Hüfte kämpfte, entschied sich für den einfacheren Weg, der zunächst noch flach in Talnähe verlief. In etwa 2000 Meter Höhe trafen wir uns dann später wieder in der Austriahütte.
Rolf, der nach uns ankam, hatte bereits solche Schmerzen, dass er den Hüttenwirt nach einem Zimmer in dieser Hütte fragte und uns alleine weiterziehen lassen wollte. Das wäre aber sehr schade gewesen und so überredeten wir Rolf, uns doch noch zur nahen Dachstein-Südwandhütte zu begleiten, die wir dann in Slow-Motion-Tempo erreichten.
In dieser Hütte waren wir fast die einzigen Gäste, nur eine Gruppe junger polnischer Bergsteiger übernachteten hier. Müde und erschöpft fielen wir nach dem Abendessen ins Lager.
Donnerstag:
In der Nacht hatten wir schon ein verdächtiges Donnern und Regenrauschen gehört. Als sich der Morgen lichtete, sahen wir tief hängende Wolken und Nebelschwaden. Der Boden und die Felsen waren nass. Unser Plan war, über Klettersteige den Hohen Dachstein zu besteigen und anschließend die Adamekhütte zu erreichen. Glücklicherweise ging es Rolf auch wieder viel besser, er war wohl dabei, sein Hüftgelenk neu einzulaufen.
Wir erkundigten uns beim Wirt, welche Routen für diese Tour in Frage kämen: Einmal der Klettersteig Skywalk mit hohem Schwierigkeitsgrad und luftigen Seilbrücken, und auch die beiden zusammenhängenden Steige Anna und Johann mit sehr hoher Schwierigkeit und 1200 Metern Höhendifferenz, alles mehr oder weniger senkrecht. Mutig entschieden wir uns für Möglichkeit Nummer Zwei. Im trüben Wetter marschierten wir den kurzen Weg zum Einstieg.
Schaurig schön ragte das felsige Rückgrat von Anna steil vor uns auf, bevor es oben von Nebelschwaden verschluckt wurde (das war vielleicht auch besser so). Die Gruppe junger Polen, die zusammen mit uns am Einstieg ankamen, drehten kurzerhand um. Nicht so unsere Helden Volker, Rene, Ingo und Albert, die sich sofort an die Arbeit am Fels machten. Ich hatte ein flaues Gefühl im Magen und rief zu Volker hinauf, der bereits einige Meter über mir war, dass ich den Normalweg um das Bergmassiv zur Adamekhütte nehmen würde. Spontan schloss sich Rolf mir an. Albert werkelte noch eine Weile in Absprunghöhe am Fels herum, bis er einsah, dass er besser mit den Altscherpas (Rolf und Walter) den Umweg nehmen würde.
So zogen die drei Opas los und überließen die drei Handwerksburschen ihrem Schicksal. Nun hatte es auch noch begonnen zu regnen. Ich muss gestehen, dass ich froh war, diese Entscheidung getroffen zu haben und die beiden Kameraden versicherten mir, dass es ihnen genauso erging.
Rolf hatte in seinem Smartphone unsere Route getrackt, so dass uns unterwegs die sanfte Frauenstimme von Frau Komoot auf dem rechten Pfad hielt. Wir wanderten durch ein steiniges Hochtal, das zu einer Scharte hin anstieg. Oben angekommen rasteten wir kurz im Regenschatten eines Felsblockes und genossen die absolute Nullsicht auf die Landschaft, während wir Schokolade und Nüsse knabberten.
Beim Abstieg ins nächste Hochtal riss die Wolkendecke kurz auf und wir konnten die folgende Passhöhe, die Windleger Scharte sehen, die im steilen Schotterkar aufwärts führte. Der obere Abschnitt des nun felsigen Passes war mit Drahtseilen gesichert. Auch hier machten wir auf der Höhe kurz Rast, schossen ein Dreierselfie und stiegen jenseits wieder ab. Im steilen Fels war wieder Drahtseilsicherung, die wir relativ unelegant am unteren Ende verließen. Mittlerweile hatte es aufgehört zu regnen und wir konnten immer mal wieder die wilden Kalkwände in unserer Nähe erblicken.
Wir querten eine schräge Wandpassage und kamen über ein kurzes, versichertes Wandstück zu dem kleinen GosaugGletscher, den wir über die Randkluft verließen. Weiter ging es über schräge, oft bizarr geformte Felsen, Spalten und vorbei an Höhlen. Die Felsen waren oft gemustert mit Auswaschungen und Reliefs, als hätte sie ein Künstler geschaffen. Und dann entdeckten wir an einer großen Felspartie ein langes Band von hellen Einschlüssen im Kalk. Es sah aus, als wäre ein vorgeschichtlicher Zoo im Fels gefangen. Unsere Phantasie wurde wach.
Gegen Fünf Uhr erreichten wir die knapp 2200 Meter hohe Adamekhütte, aber von den Kameraden war nichts zu sehen. Mittlerweile schickte die Sonne bereits Strahlen durchs Gewölk und gab den Blick auf den Gletscher frei, wo die anderen herabkommen sollten. Aber keine Menschenseele kam. Da bereits das Abendessen serviert wurde, aßen wir schon mal und warteten. Sieben Uhr war schon vorbei, da ging die Tür im Gastraum auf und die drei Helden spazierten mit erschöpfter aber glücklicher Miene herein. Während sie sich beim Abendessen stärkten, erzählten sie ihre Erlebnisse:
„Wir starteten in den Anna-Klettersteig, der gespickt war mit D-Kletterstellen (Kategorie A = leicht bis E = extrem schwierig) und kletterten in die tiefhängenden Wolken. Hier wurde bereits unsere ganze Kraft und Technik auf 300 Höhenmeter in zweieinhalb Stunden gefordert. Nach 20 Minuten Gehen standen wir vor der zweiten Herausforderung des Tages, dem Johannsteig. Direkt am Einstieg befand sich die Schlüsselstelle mit dem höchsten Schwierigkeitsgrad E. Es musste auf einer Länge von etwa acht Metern ein Überhang überwunden werden und dies mit einem Rucksack von circa 12 kg, der uns das Klettern nicht gerade einfacher machte.
Nach weiteren vier Stunden hatten wir auch diesen Kraftakt geschafft, am Ausstieg wartete die Seethaler Hütte auf uns. Hier stärkten wir uns kurz, ehe es im Schlussspurt über den Dachstein-Schulter-Klettersteig auf den Hohen Dachstein mit 2996 Meter ging. Dieser gesamte Vertikal-Drop von 1200 Metern zählt zu den anspruchsvollsten Klettersteigen der Welt.
Vom Gipfel, der leider immer noch in Wolken gehüllt war, ging es ab 17:15 Uhr endlich bergab. Zwei Stunden später und nach der Gosaugletscherüberquerung konnten wir Euch endlich in der Hütte begrüßen.“
(Einen Eindruck dieser Tour bekommt man bei www.youtube.com – Super Ferrata Dachstein (Anna + Johann + Schulteranstieg)
Freitag:
Das Wetter hatte sich über Nacht ganz klar für uns entschieden und so konnten wir in einen sonnendurchfluteten Tag starten. Das Ziel unserer Tagesetappe war die 2203 Meter hohe Simonyhütte, die wir über den Amon-Klettersteig erreichen wollten. Um an dessen Einstieg zu gelangen, musste allerdings erst ein Stück des Gosaugletschers überwunden werden.
Frohen Mutes brachen wir von der Hütte auf, nichts ahnend, was wir noch alles im Laufe des Tages erleben würden.
Da der Gletscher zu queren war, nahm ich auch meinen antiken Pickel mit. Nach kurzem Eisgang hatten wir die Randkluft erreicht. Hier begann die nahezu senkrechte Felswand mit dem Einstieg des Amonsteigs. Aus etwa zwanzig Meter Höhe baumelte ein Nylonseil, sonst war keine Kletterhilfe zu sehen. Erst oberhalb des Seils begannen die Stahlsicherungen des Steiges.
Volker als unser Bergführer machte es uns vor: Er setzte sich auf die obere Kante des Gletschers, angelte mit dem Eispickel das Seil, hielt sich daran fest und schwang sich in Tarzan-Manier hinüber zum Fels. Hier konnte er über ausgeprägte Risse, die diagonal nach Oben führten hochklettern. Dort befand sich eine kleine Felshöhle, wo wir erst mal nacheinander ankamen. Schließlich hatte Volker auch sein 25-Meter-Seil ausgepackt und konnte die nachfolgenden Opas sichern.
Mit etwas komischen Gefühl hängte ich mir das Sicherungsseil in den Karabiner ein und schwang mich von meinem eisigen Sitz zum Fels hinüber. Dort erreichte ich den Riss und arbeitete mich hoch. Der Kalk war rau wie Sandpapier und gab auch in Schräglage sicheren Halt. So ging es besser als gedacht aufwärts, aber ich hatte auch das sichere Gefühl, dass Volker der Höhenretter über mir war.
Nun kletterten wir im Amon-Steig steil, oft senkrecht himmelwärts. Das war für mich ein schweres Stück Arbeit, eine solche Kategorie hatte ich vorher noch nie erlebt. Für Volker, Rene und Ingo war dieser Steig nach den Erlebnissen des Vortages wohl eher ein mittlerer Spaziergang. Vor mir kletterte Albert, und ich musste immer wieder Pausen einlegen, da Albert hart mit der Gravitation kämpfte. Schließlich kamen wir an eine Stelle, an der ein leichter Überhang zu überwinden war. Hier kam Albert erst mit Volkers Hilfe und dem 25-Meter-Seil über die kritische Stelle.
Schließlich erreichten wir den sonnenbeschienenen oberen Bereich der Wand, querten über eine steile Felsplatte bis zu dem Aussichtspunkt Simonyscharte 2674 Meter hoch. Von hier aus war der den Blick auf den Hallstatt-Gletscher frei.
Es musste eine Entscheidung getroffen werden: Wir hatten viel Zeit in der Steilwand verbraucht und es war unter den gegebenen Umständen nicht ratsam, den Klettersteig über den Felsgrat des Hohen Kreuzes fortzusetzen. So stiegen wir hier ab auf den Gletscher, um von dort aus die Hütte zu erreichen. Am oberen Rand des Gletschers versenkte Rolf noch ein Schokoladenei in der Randkluft und ich haderte mit den Bändern der Steigeisen. Als unsere wackere Gruppe alle Probleme erledigt hatte, brachen wir auf. Doch es dauerte nicht lange, da löste sich mein linkes Eisen.
Ich legte mich auf den Rucksack und der Hufschmied Volker packte meinen linken Hinterlauf und nagelte ein neues Eisen auf den Huf….
Nachdem das linke Steigeisen wieder fachgerecht saß, konnten wir den Marsch über den Gletscher fortsetzen.
Den restlichen Weg bis zur Hütte legten wir ohne besondere Vorkommnisse zurück. Auf der Sonnenterasse tranken wir Radler und freuten uns, dass alles so gut ausgegangen war. Wie schon in den Hütten zuvor stellten wir fest, dass auch hier die Polen anwesend waren.
Albert rannte zur Entspannung Talabwärts und wieder zurück.
Samstag:
Nach einem ausgezeichneten Frühstück beratschlagten wir, wie wir zum Gutenberghaus kämen. Zwei Varianten standen zur Wahl: Durch das Hochgebirge über Gletscher und mindestens einen Klettersteig, oder halber Abstieg ins Tal Oberfeld und Wanderung etwa in Latschenhöhe zum Tagesziel. In Anbetracht der gestrigen Erlebnisse und auch weil der Weg sehr lange ist, entschlossen wir uns für die zweite Variante.
So verließen wir die Simonyhütte bei strahlendem Sonnenschein und stiegen talwärts. Der Weg entpuppte sich schnell als wildromantischer Bergpfad, der sich bergab und bergauf durch Latschengehölz und blühende Bergwiesen schlängelte. Wir kletterten und sprangen über bizarre, bleiche Steine, oftmals geformt wie Riesenknochen, manchmal verziert mit kunstvollen Mustern, gefräst vom Regenwasser.
Auf einem Felsblock in Steinwurfnähe stand eine Gams und blickte gelangweilt auf uns Touristen, die sich in ihrem Reich verirrt hatten. Wir waren zu uninteressant, als dass sie irgendetwas tun müsste.
Nachdem wir die Abzweigung in Richtung Gutenberghaus passiert hatten, durchwanderten wir eine fast menschenleere Wildnis. Die karstige Landschaft war durchzogen von großen und kleinen Dolinen, den Einsturztrichtern eines weitverzweigten unterirdischen Höhlensystems. Sämtliches Regenwasser, das hier niedergeht, verschwindet im Untergrund. Bezeichnenderweise heißt dieses Tal Wasserboden. Unser Pfad führte uns durch dieses Kalkstein-Zirbenwaldlabyrinth. Um den Weg zu markieren, sind auf Anhöhen immer wieder hölzerne Stangen aufgerichtet, die dem Wanderer Orientierung geben.
Die zwei Altscherpas bildeten wieder die Nachhut und erreichten nach etlichen Stunden ein gottverlassenes, Seitental, wo wir bis zur Feisterscharte aufstiegen. Von hier aus sahen wir zum Greifen nahe das Ziel unserer Anstrengung, das Gutenberghaus. Die Freunde waren bereits eine Stunde früher angekommen und empfingen uns mit Radler und Weizenbier. Das zischte ordentlich in unseren ausgedörrten Kehlen.
In der gemütlichen Gaststube saßen wir nun zum letzten Mal zusammen, aßen Reisknödel und plauderten. Dabei driftete das Thema in Richtung Klimawandel, Energiewende und Politik. Doch trotz manch unterschiedlicher Meinung endete der Abend friedlich.
Schließlich sanken wir erschöpft in unsere Schlafkojen des Dachlagers. Spätabends, wir waren bereits eingeschlafen, kamen noch lautstarke Gäste in unser Lager. Erst eine scharfe Zurechtweisung Renes sorgte für Bettruhe.
Sonntag:
Als wir vor die Hütte traten, bot sich uns ein traumhafter Ausblick. Im Tal von Ramsau hing ein Wolkenmeer, dessen Wattebäusche von der Morgensonne beschienen wurden. Über uns thronten die bleichen Kalkwände des Eselsteins und der Hohen Rams.
Nach der Empfehlung des Hüttenwirtes nahmen wir den Pfad um den Bergstock Sinabell herum in Richtung Silberkarhütte. Bald erreichten wir die Abzweigung zum Silberkarsee, den wir schon aus der Höhe wie einen grünen Edelstein in der Sonne funkeln sahen. Albert hatte die großartige Idee, hier ein kühles Bad zu nehmen. Rolf und ich schlossen uns gerne an und so kletterten die drei Opas ins enge und steile Tal zum See hinab. Wir warfen unsere durchgeschwitzten Klamotten ab, sprangen ins kalte Wasser und schwammen einige Züge. Die spitzen Schreie einer Frau lenkte unsere Aufmerksamkeit auf Wanderer am jenseitigen Ufer, die ebenfalls Wasserberührung hatten.
Frisch wie Tiefkühlheringe und verjüngt stiegen wir aus dem Bergsee und machten uns auf den Weg, um die anderen einzuholen. Das schaffte aber nur Albert, während Rolf und ich im Altscherpa-Tempo den steilen Weg ins immer wärmer werdende Tal hinab folgten. Unterwegs trafen wir eine Wandergruppe von Frauen, die Rolf mit seinem unwiderstehlichen Charme ansprach und fünf Euro Eintritt für ein Bad im klaren Bergsee verlangte. Die bekam er zwar nicht, durfte aber dafür die zwei Hunde der Frauen fotografieren.
An der Silberkarhütte trafen wir unsere Freunde wieder. Nach kurzer Stärkung brachen wir auf und durchstiegen die wildromantische Silberkarklamm. Hier führen hölzerne Stege, Treppen und Brücken bequem durch die enge Schlucht mit dem schäumenden Wildbach. Wir sahen spektakuläre Klettersteige, die über die oft senkrechten Felswände führen und sogar die Schlucht überspannen. Leider drängte die Zeit, da wir unsere Heimfahrt nicht zu spät starten wollten.
Nach einem kurzem Gewaltmarsch erreichten wir durchgeschwitzt und mit ausgedörrter Kehle Renes Wagen. Gesättigt mit Erlebnissen und Bildern im Kopf fuhren wir nach Hause.
Auch diese Tour war wieder ein besonders schönes und abwechslungsreiches Erlebnis. Ein herzliches Danke geht an Volker, der das alles geplant und realisiert hat und an Rene, der uns sicher und schnell gefahren hat.