Ein gewisser Matthias und seine liebe Frau Kornelia sind kürzlich an mich herangetreten, mit der Bitte etwas für das Infoheft zu schreiben, etwas über meine Aktivitäten in den Bergen, sozusagen von den Anfängen bis zur Gegenwart.
Welche Ehre für mich, den "Alpendino" der Sektion. Was soll ich nun daraus machen? Soll ich etwa eine Art Bergtagebuch schreiben oder einen "Fortsetzungsroman" in Form aneinandergereihter Episoden oder soll ich gar meine „Memoiren" schreiben? Einen Titel hätte ich schon parat: "Achttausender drüber und drunter".
Das wäre eine Anleihe, ein Plagiat bei Hermann Buhl bzw. bei seinem Ghostwriter Kurt Maix. Nein ich würde lieber etwas heimatverbundener und sektionsstandortgebundener Titeln, etwa "Vom weißen Stein zum weißen Berg" oder "Von der hohen Acht zur höchsten Acht".
Jetzt aber Spaß und Blödelei etwas in den Hintergrund gestellt, haben wir es doch mit einem vielschichtigen und facettenreichen, ja sogar nach meiner Meinung tiefgründigen Thema zu tun. Vorweg eine Klarstellung: Irgendwo werde ich als Extrem-Alpinist apostrophiert. Dieses Prädikat kann ich mir nun wirklich nicht an den Hut stecken. Selbst sehe ich mich als Bergsteiger im klassischen Sinne, mit einem Hang zu Firn und Eis und einem Drang in große Höhen.
Wo liegen nun die Anfänge, wie hat sich alles entwickelt? Keinesfalls möchte ich nur Erlebnisse und Ereignisse und deren Schilderungen aneinanderreihen. Vielmehr möchte ich immer wieder Gedanken grundsätzlicher Art einstreuen, zu den Bergen und dem Bergsteigen im Allgemeinen und zu meiner persönlichen Einstellung zu diesem Thema im Besonderen.
„Die Liebe zu den Bergen ist das Beste"
Dieses bekannte Zitat Pindars - Pindar war vielleicht der größte Dichter der klassischen griechischen Antike kurz nach 500 v. Chr., bekannt vor allem durch seine Preisgesänge auf die Olympiasieger seiner Zeit, hat aber selbst die Berge nur von unten gekannt - aus einer seiner olympischen Oden, sicher in der Geschichte der Menschheit ein sehr frühes Lob der Berge in einer zeitlos-gültigen Form. Eben deshalb möchte ich dieses Zitat an den Anfang meiner Erinnerungen stellen. As ich allerdings eines schönen Tages im Mai 1962 als Student in Freiburg meinen alten Dreigangdrahtesel sattelte und Richtung Schweiz fuhr, wußte ich ebensowenig von Pindar und seiner Sentenz noch vom Hochgebirge außer aus Schulbüchern.
Würde ich dieses Datum des ersten Kontaktes mit den Alpen an den Anfang stellen, dann spielen die Berge in der Tat seit nunmehr 36 Jahren in meinem Leben eine gewichtige Rolle. Es war aber vorerst lediglich eine platonische Liebe, eben noch keine intime Beziehung. Immerhin vollzog sich bei dieser Radtour die Infizierung mit dem Bazillus der Berge, was eine spezielle Form der "Bergkrankheit" nach sich zog, von der ich bis heute nicht mehr geheilt werden konnte. Allerdings muß ich zugeben: Ich habe auch nie etwas dagegen unternommen, im Gegenteil, ich bin immer wieder dahin gegangen, wo das Bergfieber grassiert. Jetzt merke ich aber doch, daß ich im Überschwang der Gefühle den Ereignissen vorauseile. Wenn ich richtig in meinen Erinnerungen krame, lief die Radtour in groben Zügen folgendermaßen ab. Bei Küssnacht - durch diese hohle Gasse mußte auch ich kommen - brach das rechte Pedal ab. Der Schaden ließ sich aber an Ort und Stelle beheben. Offenbar erspart die Axt - und ähnliches Gerät - im Haus nicht nur den Zimmermann. In Sisikon unweit der Tellskapelle am -Vierwaldstättersee - Wilhelm Tell und Schiller lasse schon wieder grüßen- ließ ich mir ein Schnitzel schmecken. Das aber hatte fatale Folgen und eine durchschlagende Wirkung in Form von formidablem Durchfall samt Erbrechen und das in der ach so gourmetträchtigen Schweiz.
Ja, "vor Tische las man´s anders" (Der Schiller läuft mir aber wirklich nach). Jedenfalls war in der Speisekarte von Salmonellen keine Rede. So kam es dann, daß ich vom Fahrradfahrer mehr oder weniger zum Fahrradschieber wurde. Und trotzdem: Die grandiose Gebirgslandschaft, die ich hier zum ersten Mal mit eigenen Augen sah, schlug mich voll in ihren Bann. Es war Liebe auf den ersten Blick! Und ich erinnere mich noch genau: Es war der Anblick der herrlichen Firnglocke des Galenstocks über dem Furkapaß in den Urner Alpen, der alle Dämme brechen ließ: Ich war den Bergen verfallen!
Was dann kam, dürfte ich hier eigentlich nicht erzählen, so ein schlechtes Beispiel ist das. Heute würde man sagen, ich hätte die üble Figur eines typischen Halbschuhtouristen abgegeben. Aber Liebe macht eben blind!
So stieg ich denn mit der "Sicherheit" und Furchtlosigkeit des völlig Unbedarften mit meinen glatten Turnschuhen, ohne jegliche Hilfsmittel auf die Zunge des Rhonegletschers und auf demselben ein ganzes Stück Richtung Galenstock hoch. Ich hatte mich auf eisigem Terrain bewegt, ich hatte Bergluft geschnuppert, das allererste Tor zu den Bergen aufgestoßen, die Vortaufe der Berge erhalten. Auf dieser Tour verwandelte ich mich schließlich auch noch vom Fahrer über den Schieber zum Fahrradträger, nämlich dann, als ich in Unkenntnis des damaligen Straßennetzes per Rad von Meiringen über die große Scheidegg nach Grindelwald wollte. Ziemlich bald nach Meiringen hörte das Sträßchen auf, und so mußte ich meinen gewichtigen Drahtesel samt Gepäck in strömendem Regen über den Paß nach Grindelwald hinuntertragen, frei nach dem Motto: Wer nicht vorher frägt, der sein Fahrrad trägt! Die letzte Etappe zwei Tage später von Basel nach Freiburg vollzog sich in einem wolkenbruchartigen kalten Regen. Als ich völlig unterkühlt in meiner Studentenbude ankam - das Wasser lief dunkelblau aus den Jeansbeinen in die Schuhe - war ich jedoch froh und zufrieden. Von nun an wußte ich, daß die Berge in meinem weiteren Leben eine zentrale Rolle besetzen würden, in mancherlei Hinsicht, aber bei weitem nicht nur als Objekte sportlicher Betätigung. Vielmehr, wenn ich nur einen Aspekt ansprechen darf:
Der Alpinismus ist für mich zu einer Form praktischer Philosophie geworden, ich betrachte Bergsteigen als eine Art von romantischer Lebensform.
Für mich kann - nur ein Beispiel von vielen herausgegriffen - ein eindrucksvoller Sonnenaufgang im Gebirge das Eintauchen in die Anfänge der Schöpfung bedeuten. Für jetzt nur soviel zu meiner persönlichen "Bergphilosophie".
Wenn mich heute jemand fragen würde, was denn nun die Krönung meiner Jahre in den Bergen gewesen sei, den dürfte meine Antwort jetzt nicht mehr erstaunen die da lautet: Die Krönung steht kurz bevor, nämlich die Pilgerfahrt zum Kailash und dessen Umrundung bei Vollmond mit meiner Frau Anita.
Ich habe viele Glanzpunkte in den Bergen erlebt, ohne die mein Leben viel ärmer wäre. Beispielsweise Karakorum, Cho-Oyu, Neuguinea, Peru und der Alpamayo übrigens ganz oben in meiner Rangliste. Aber auch der Piz Palü oder der Grand Combin in den Alpen gehören dazu. Trotzdem bin ich überzeugt, daß alles vom Kailash übertroffen werden wird.
Da ist einmal die einmalige Erscheinung des Berges, dessen Schönheit wahrhaft überirdisch genannt werden kann, inmitten der harmonischsten Landschaft unserer Erde - Sven Hedin - wozu auch der Manasarovarsee mit seiner Umgebung gehört. Weiter sind da die Begegnungen mit den Menschen, mit den anderen Pilgern, mit deren Einfachheit, Fröhlichkeit und tiefer Gläubigkeit. Vor allem aber spürt man da die einmalige Verbindung von irdischer Natur und Gesamtkosmos. Der Kailash bündelt sozusagen wie eine Antenne alle Ströme aus dem Kosmos. Gilt doch der Kailash - wie immer man es auch auszudrücken versucht - als irdisches Gleichnis und Sinnbild und Symbol und Abbild des Zeitlosen und Göttlichen. Für die Buddhisten stellt er ein kosmisches Mandala dar, wie er auch für drei andere große Religionen der Mittelpunkt der Welt ist.
Es wird für mich - natürlich auch für Anita - eine Bergfahrt wie keine andere werden, bedingt durch den tiefen spirituellen Gehalt der damit verbunden ist, abgesehen davon, daß wir nach der Umrundung von all unseren bisherigen "Sünden" befreit sind. Dazu gehört dann allerdings auch noch ein rituelles Bad im eiskalten Manasarovarsee. Auf diesen absoluten Höhepunkt und in gewisser Weise Krönung und Abschluß meiner Begegnungen mit den Bergen freue ich mich von Tag zu Tag mehr.