Wie weit ist es denn noch bis zur Badener Hütte? -
Diese Frage stellt sich uns, während wir ein nicht enden wollendes Tal bergan gehen. In Gruben haben wir das Auto abgestellt und nun trennen uns nur noch lausige 1500 Höhenmeter von unserem heutigen Schlafplatz.
Der Tag ist für uns alle schon etwas länger, denn seit 10 Stunden sind wir mit dem Auto unterwegs mit dem Ziel Hohe Tauern, um zunächst das Großvenediger- Gebiet, und anschließend auch das Großglockner- Gebiet zu erkunden.
Wir, das sind Birgit, Ralf, Rudi und Erwin, die schon seit halb drei am Morgen auf den Beinen sind, um rechtzeitig zum Abendessen noch die Badener Hütte auf 2608 Metern zu erreichen.
Wir haben diesmal einen weniger bekannten Weg zum Einstieg in das Venediger- Massiv gewählt, der auch weniger begangen ist; im Laufe des Anstiegs erfahren wir auch den Grund: ein nicht enden wollendes System von steilen, für Allradfahrzeuge befahrbare Kehren bis zu den letzten Almen und anschließend noch steilere, zum Teil in die Felsen hinein gearbeitete Steige bis zur Hütte.
Müde und hungrig fallen wir über das Abendessen her. Nach einem erholsamen Nachtlager ist für den nächsten Tag Ausbildung im Firn angesagt. Dazu begeben wir uns auf den weitläufigen Gletscher des Frosnitzkees, wo zunächst das Einbinden am Seil auf einem flachen Randstück eingeübt wird. Danach wird in einem steileren Bereich T-Anker-Sicherung gelegt und eine Aufstieghilfe am Fixseil gebaut. Anschließend muss noch Rudis Hut als T-Anker herhalten, aber selbst dieser ist so gut, dass er dem Ziehen aller Teilnehmer standhält.
Zum Schluss steht noch das Gehen am Seil über den Gletscher an, was durch den vergangenen Schneefall noch erschwert wird: keine alte Spur ist zu sehen. Am Nachmittag streben wir wieder dem Kaffee und Kuchen der Badener Hütte entgegen.
Am nächsten Tag üben wir das Gehen in Fels und Blockwerk, indem wir dem Venediger Höhenweg folgen und als Abstecher den Inneren Knorrkogel ersteigen. Doch wegen der besseren Sicht (es ist ausnahmsweise mal etwas Sonne zu sehen) wollen wir auch noch den weiter entfernten Wildenkogel 3022m über den Südgrat erklettern. Nachdem wir den Gipfel geschafft haben (die Route ist nur unzureichend markiert!) werden wir mit einer phantastischen Aussicht auch hinüber ins Großglocknergebiet belohnt.
Der nächste Tag bringt uns kein gutes Wetter. Dichte Wolken hängen über der Hütte, aber wir beschließen trotzdem, den Venediger anzugehen. Der Übergang zum Frosnitztörl hinauf ist noch problemlos zu bewältigen, dann setzt jedoch auf der anderen Seite heftiger Föhnsturm ein, der von dichtem Nebel begleitet wird. Wir kämpfen uns mit Hilfe von Karte und Kompass über das Äußere Mullwitzkees am Hohen Zaun und Schwarzer Wand vorbei, aber sehen dann ein, das heute kein Gipfeltag ist.
Wir kehren um!
Der Rückweg jedoch ist nicht unbedingt einfacher, da der Sturm schnell auch die eigenen Spuren verweht hat und so auch hier wieder der Kompass zum Zuge kommen muss. Aber wenigstens bläst der Wind uns jetzt in den Rücken statt ins Gesicht. In der Hütte bei weiterhin schlechtem Wetter beschließen wir, den Gipfel nicht noch einmal zu versuchen, sondern stattdessen hinüber ins Großglocknergebiet zu fahren, ehe uns auch dort das Wetter einen Strich durch die Rechnung macht.
So steigen wir dann am nächsten Morgen ins Tal nach Gruben ab und fahren mit dem Auto nach Kals, nicht ohne in Matrei noch eine ausgiebige Pause gemacht zu haben. Über eine Mautstraße können wir noch bis zum Neuen Lucknerhaus fahren, danach steigen wir noch 3 Stunden zur Stüdlhütte 2802m auf.
Das Ziel für den nächsten Tag ist die Erzherzog-Johann-Hütte 3454m. Da das Wetter auch hier nicht besser zu werden verspricht, machen wir uns schon in der Dämmerung auf den Weg, um über das Ködnitzkees den Klettersteig unterhalb der Hütte zu erreichen. Eine Großgruppe (ca. 30 Personen) mit mehreren Bergführern stapft langsam vor uns über den Gletscher. Wir beschließen in sicherem Abstand zu folgen, zumal das Wetter mit einsetzendem Schneesturm wieder mal alle Register zieht. Der Einstieg vom Gletscher auf den "Oberen Mürtztaler Steig" ist schon heftig. Normalerweise ist dies eine lustige Gratkletterei im Blockwerk, mit einigen Drahtseilen gesichert. Heute jedoch ist hier alles vereist, die Steigeisen kreischen über schneebedeckte Steinblöcke.
So steht uns noch ca. 1 Stunde Kletterei an diesem Südostgrat bevor, bis dass wir dann urplötzlich an der Rückwand der Hütte auf der Adlersruhe stehen. Wir kommen uns vor wie im tiefsten Winter; der Schnee ist bis zur Unterkante der Fenster geweht, aber drinnen in der Gaststube ist es wohlig warm. Die Verköstigung ist super. Der Hüttenwirt glaubt zwar nicht, dass ein Aufstieg zum Gipfel in der nächsten Zeit möglich ist, aber wir sollen auf jeden Fall hier übernachten für den Fall, dass das Wetter sich noch ändern sollte. Eine Hütte in dieser Höhe ist schon ein Erlebnis. Zum Übernachten liegt man unter den Dachsparren und spürt die Vibrationen, wenn der Sturm an den Dachplatten rüttelt. Die Heizung stellt man sich selbst her, indem man alles anzieht, was der Rucksack hergibt und zusätzlich solange Alpenvereinsdecken auflegt, bis die Temperatur stimmt. Bad ist trocken - es gibt ja genug Schnee draußen. Auch die Toilette ist trocken - alles wird kompostiert!
Unter diesen Umständen ist an eine Gipfelbesteigung natürlich nicht zu denken, aber wir wollen am nächsten Tag wenigstens den Anstieg über das Glocknerleitl versuchen. Der nächste Tag zeigt sich dann auch so, wie man während der Nacht vermutet hat - tief winterlich. Beim ersten Öffnen der Hüttentür stehe ich bis zur Hüfte im Neuschnee - es sieht nicht gut aus für den Gipfel! Wir arbeiten uns trotzdem noch hoch bis an den Felsaufbau des Kleinglockners kurz unter dem Gipfel, aber wegen der konstant schlechten Wetterlage brechen wir aus Sicherheitsgründen für diesmal die Gipfelerstürmung ab.
Den Abstieg an der Erzherzog-Johann Hütte vorbei gestalten wir auf dem gleichen Wege wie den Aufstieg, nur dass in der Zwischenzeit noch mehr Schnee den Mürtztaler Klettersteig bedeckt. Hier heißt es jetzt noch sorgfältiger Abklettern. Zum Glück ist das Sicherungsseil Vertrauen erweckend stabil im Gestein befestigt. In der Stüdl-Hütte wird noch ein letztes Mal übernachtet, dann erfolgt der endgültige Abstieg ins Tal. Wir können kaum glauben, was sich jetzt zeigt: Der Großglockner im schönsten Sonnenschein! Aber jetzt hat keiner mehr Lust, noch einmal den ganzen Aufstieg zu machen.
Kommen wir also ein anderes Mal wieder, der Berg bleibt uns erhalten!