...das dachte ich noch zu Beginn der letzten Klettersaison im Frühjahr 2013 als ich mir am dritten Urlaubstag im südfranzösischen Bijoux alle Ringbänder im linken Mittelfinger riss. Ein super Saisonauftakt war das, was sollte ich nun mit der verbleibende Zeit in der Provence anfangen, soviel Sehenswürdigkeiten und Wein konnte es hier doch gar nicht geben...ich irrte mich!
Zunächst einmal zu der Frage wie konnte das überhaupt passieren?
Schon seit drei Tagen hatten wir den "Restday" vor uns hergeschoben, frei nach dem Motto "einer geht noch einer geht noch...". Es sollte die letzte Tour des Tages werden. Mehr als 30 Meter kompakter, leicht überhängender Kalk in einer traumhaft schönen und vom Mistral geschützten Schlucht. Zu Beginn des Trips hatten wir uns noch über die französischen Hakenabständen köstlich amüsiert, aber schnell war klar, dass im traditionsreichen und beinhart bewerteten Bijoux garnicht genug Haken stecken konnten. Nur noch einen einzigen Klipp weit von der Umlenkung entfernt, forderten die gesammelten, ungünstigen Umstände ihren Tribut. Zwei weit auseinanderliegende Reibungstritte, ein Auflieger auf rechts und ein weiter Zug an eine kleine Leiste links außen. Gerade hatte ich mühsam die Leiste mit nur wenigen Fingergliedern zufassen bekommen, da lösten sich auch schon die Füße unter mir und der bis dahin noch stabile Auflieger verlor sekundenschnell seinen, für diese Position, doch so wichtigen Halt. Nach unten ging es in diesem Moment leider nicht, alternativ verteilten sich ruckartig 78 kg (in Worten achtundsiebzig) auf die wenigen Fingerglieder auf der Linken Kante. Sofortiges Einsetzen einer starken Schwellung und irrsinnige Schmerzen verhießen nichts Gutes. Einhändig kletternd beendete ich die Route und damit die Klettersaison 2013!
Die nächsten Monate verbrachte ich ziemlich frustriert mit Fehlersuche, las einschlägige Bücher (Neun von Zehn Kletterern machen die gleichen Fehler): "Die meisten Kletterer verletzen sich am Ende ihres Studiums!" - Ok zugegeben zwischen Beginn und Ende des Studiums steckten bei mir satt-verdiente 10 kg und die sicher überwiegend nicht im Gehirn. Insgesamt hatte ich aber den Eindruck beim Klettern irgendwie vom rechten Weg abgekommen zu sein. Ich war verbissen, leistungsorientiert, trainingsfrustriert, bergSPORTfixiert! Was war von der Lebensart übrig geblieben, die ich einst beim Klettern so anziehend fand? Jetzt hatte ich ja die nötige Zeit mal darüber nachzudenken.
Ein Jahr nach dem Sinneswandel zurück in Frankreich:
Seit ich denken kann sind meine Aufenthalte in Frankreich irgendwie beeinflusst durch das permanente Gefühl dort verhungern müssen. Schon als Jugendlicher war mein erster Gedanke, nach einer zweiwöchigen Sommerferienfahrt an die Côte Azur, zurück in der Eifel endlich wieder vernünftiges Essen zu bekommen. Auch heute ernähre ich mich in Frankreich hauptsächlich von Brot und Butter, zwar habe ich mittlerweile das Bier als Getränk dazu durch Wein ersetzt, doch das alleine macht die französische Küche für mich nicht annähernd mit der Eifelcuisine konkurrenzfähig.
So saßen wir also im Frühjahr 2014 schon wieder im Auto auf dem Weg nach Südfrankreich. Fragt man in internationalen Kletterkreisen nach den besten Klettergebieten der Welt bekommt man zunehmend den Namen eines kleinen südfranzösischen Bergdorfes genannt: Orpierre!
Spätestens wenn man den Namen oft genug gehört hat muss man einfach dort hin und sich selbst ein Urteil bilden. Nur noch eine Stunde zu fahren und schon wieder war die Frustration gross, es gießt wie aus Eimern und die Außentemperatur von 6 Grad Celsius würde einem mehr als ein Glas Wein abverlangen um einigermaßen warm einzuschlafen. Hoffentlich gibt's dort in Orpierre auch genügend Butter.
"Nächstes Mal fahren wir wieder nach Italien!"
Doch wieder einmal hatte ich zu vorschnell geurteilt. Eine Stunde später standen wir bei 25 Grad Celsius und strahlendem Sonnenschein vor den Touren der Provence in einem malerischen Bergdorf in den Ausläufern der französischen Alpen. In der Tat lässt Orpierre keine Kletterwünsche offen. Der wirklich eindrucksvolle Campingplatz mit sensationellem Ausblick auf die Felsformationen des Klettergebietes thront in einem Waldhang jenseits eines kleinen Flusses. Ich habe Frühstück und Abendbrot in der Campingliege mit Kletterführer und Feldstecher im Anschlag wirklich sehr genossen. Ein kleiner Klettershop mit den typischen südfranzösischen Öffnungszeiten von 9:00 bis 12:00 Uhr und 16:00 bis 19:00 Uhr (reale Öffnungszeiten nach Berücksichtigung des südfranzösischen Schlendrian beliefen sich dann von 11:45 - 12:00 Uhr sowie 17:00 - 18:00 Uhr) versorgt einen mit fehlender, verlorener oder vergessener Ausrüstung ( z.B Seile, aber wer vergisst schon ein Seil wenn er zum Klettern fährt). Darüberhinaus gibt es einen Petit epicerie wo man täglich frisch überlebenswichtige Butter, Brot und Wein erwerben kann. Wohl dem, der eine große Auswahl der Erasko Produktpalette und einen leistungsstarken Gaskocher im Kofferraum sein Eigen nennt! Die Sektoren des herausragenden Klettergebietes sind wirklich ein echtes Highlight, das wissen leider auch die gefühlt 1001 kletternden Großfamilien und Schulklassen, die einen französischen Feiertag genauso mit einem Brückentag zu verbinden wissen wie wir - Mist. Ein Hoch auf den Feldstecher der einem bereits auf der Campingliege den Zustieg zu den überfüllten Klettersektoren erspart. Zum Glück ist das Klettergebiet und die Routendichte so überwältigend, dass man sowieso nicht weiß wo man Anfangen und Aufhören soll.
Alles riecht nach Kräutern, die Regentage kann man fast an einer Hand abzählen und schnell bereut man nur ein 80 Meter kurzes Seil zu besitzen. Alles in Allem ist Orpierre ein Ort, wo man am liebsten mehr als nur zwei Wochen seines Urlaubs verbringen möchte.
Ausgesöhnt mit französischen Klettergebieten und Butter-gestählt nach unzähligen 40 Meter langen 6a Henkelschwingereien verlassen wir Orpierre. Es sollte eine gute Saison für uns werden, nach Orpierre folgten südl. und später nördl. Frankenjura, Pfalz, Vogesen, Arco und schließlich das Tessin.
Und die Moral von der Geschicht, Training allein das bringt es nicht, denn so oder so ähnlich sagten schon die Sportfreunde Stiller: "Mit dem Herz in der Hose und der Leidenschaft im Arm werden wir Spitzenkletterer sein!