Ich ahnte gar nicht, dass er mein nächster Gipfel sein sollte.
Aber die Mail von Margret war eindeutig: "Wie wäre es nach dem höchsten Afrikaner mit dem höchsten Europäer?"
Mont Blanc? Nein, der ist es nicht. Ein anderer war gemeint, einer der erst nach dem Fall des Eisernen Vorhang wieder so richtig ins bergsteigerische Bewusstsein rücken konnte. Der Elbrus, mit 5642 m Höhe der höchste Berg Europas.
Auch ich hatte erst vor einigen Jahren vom Elbrus gehört, und es schien strittig, ob er wirklich in Europa liegen würde. Keiner wusste es so genau zu sagen. Aber es stellte sich dann heraus, dass der Elbrus zwar hart an der Grenze zu Asien steht, aber vom Fuß bis zum Gipfel komplett in Europa beheimatet ist. Er befindet sich im Kaukasus, in der russischen Republik Balkarien. Und er ist kein Berg des Kaukasus-Faltengebirges, sondern ein Vulkan, ein ruhender Vulkan, an dem es noch Schwefelaustrittstellen gibt.
Im Internet konnte ich dann erstmals ein Bild vom Elbrus sehen, und sah, dass er zwei Gipfel besitzt, die nur 21 m Höhendifferenz haben, der Ostgipfel mit 5621 m, und der Westgipfel mit 5642 m.
Entschluss und Planung bedurften noch eines Reifeprozesses.
Es traf sich dann, dass unabhängig von Margret, Hans-Hein Vantler mit dem gleichen Ziel an Karl Zöll herantrat.
Damit war die Tour nicht mehr von Tisch zu bekommen.
Beim Stammtisch sollten noch weitere Mitsteiger begeistert werden. Aber bei den meisten standen die Bergpläne für 2005 schon fest.
So nach und nach fanden sich dann doch 7 Leute für die Tour zusammen, und am 5. September starteten Margret Wegener, Hanns-Hein Vantler, Karl Zöll, Robert Bechem, Jürgen Wittler, Wolfgang Hupp und Alois Handwerk um 23.55 Uhr von Frankfurt aus via Moskau nach Mineralnye Vody im Kaukasus, wo wir am 6. Sept. um 11.30 Uhr Ortszeit in einer anderen Welt landeten.
Schon am Flugplatz bekamen wir die ersten Einblicke in die postsozialistischen Verhältnisse Russlands.
Verabredungsgemäß wurden wir erwartet. Das Gepäck wurde in einen kleinen Bus geladen, und es sollte Richtung Terskol am Elbrus gehen. Aber da der Motor nicht richtig rund lief, wurde eine Werkstatt angesteuert, wo wir erstmals die Improvisationskunst der Menschen dort erfuhren.
Es folgte eine 4-stündige Fahrt durch die schöne Landschaft des Kaukasus, unterbrochen durch nicht nur eine weitere Passkontrolle durch die Polizei. Sicherheit über alles.
In Terskol lernten wir auch unsere gutaussehende Bergführerin Lisa kennen.
Lisa stammt aus Bayern und lebt schon seit 15 Jahren dort. Sprachprobleme gab es also keine.
Wir fuhren einige Kilometer weiter zu unserer Unterkunft nach Azau, einem neu erbauten Hotel.
Azau, 2200 m hoch gelegen ist der letzte Ort im Tal, unmittelbar am Fuße des Elbrus.
Am nächsten Tag (7. Sept.) führte uns Lisa bei der Eingehtour auf den 3404 m hohen Cheget.
Von dort hatten wir bei Kaiserwetter einen herrlichen Blick auf unser Ziel, den Elbrus. Als weißer Brocken steht der Elbrus eindrucksvoll in der kaukasischen Berglandschaft. Nur wenige Wolken umschweiften seine wie doppelte Hörner wirkenden Gipfel. Wir waren alle begeistert und fieberten schon dem Gipfel entgegen.
Aber nicht nur zum Elbrus gab es den unvergessenen Ausblick. Auch die unmittelbar vor uns liegenden, schon zu Georgien zählenden Gipfeln des Kaukasus-Hauptkammes hinterließen einen bleibenden Eindruck von der Wildheit der kaukasischen Berge, auf denen teilweise noch eine bis zu 100 m dicke Eisschicht auf den Gipfeln zu sehen ist.
Nach dem Abstieg lernten wir dann noch den Markt in dem gleichnamigen Ort Cheget kennen. Besonders die Kopfbedeckungen, seien es Saunahüte oder andere Produkte, erweiterten unseren Gesichtskreis.
Abends fanden wir den Tagesausklang in einem hüttenartigen Lokal in Azau.
"Dann (8. Sept.) sollte es hoch gehen, zur 4.060 m hoch gelegenen "Prijut 11-Hütte". Aber, und das ist immer der Reiz einer Reise, die Götter hatten es anders vorgesehen.
Wie dort wohl nicht unüblich wurde ohne vorherige Verständigung kurzerhand der Strom im gesamten Tal für den ganzen Tag abgestellt, wodurch dann auch die Seilbahn nicht fahren konnte. Und da wir ja abends zurück sollten, der Weg zur Prijut 11-Hütte ausschließlich zu Fuß aber zu weit ist, improvisierte Lisa eine Ausweichtour bis zum 3.700 m hoch gelegenen sog. Eiscamp. Es war ein schöner Weg bis dorthin. Vorbei an Pflanzen, verschiedenen Lava- und Basaltformationen bis zu den Gletscherausläufern des Elbrus.
Und einen neuen, treuen Wegbegleiter lernten wir auch kennen, einer, der den Gipfel des Elbrus auch schon bestiegen hatte, Djeri, einer von Lisa´s beiden Hunden. Nach dem Gipfelaufstieg hatte er – wie Lisa sagte – 2 Tage die Augen verblitzt. Wahrscheinlich hatte er die Gletscherbrille vergessen.
Lisa schaffte es dann, dass am nächsten Tag (9. Sept.) die Seilbahn extra für uns fuhr. Um 7.30 Uhr ging es hoch. Pünktlich waren wir an der Seilbahn, die Rucksäcke voll mit Ausrüstung und Proviant für die Zeit auf der Prijut 11-Hütte. Zwei Seilbahnstationen, dann noch ein Sessellift und den Rest zu Fuß.
Dabei handelt es sich nicht um die Original-Hütte. Diese ist 1998 abgebrannt. Nur noch die Grundmauern sind zu sehen. Vielmehr wurde das wenige Meter unterhalb liegende, ehemalige Heizwerk zu einer Hütte ausgebaut.
Anschließend ging es zügig zurück. Bis 13.00 Uhr stand der Seilbahn Strom zur Verfügung. Den Nachmittag verbrachten wir im Tal.
Abends ging es dann noch hoch her im Hotel. Anja, eine Mitarbeiterin des Hauses, feierte Geburtstag. Und die uns sonst so zurückhaltend vorkommenden Balkaren gerieten bei Bier, Wein und gutem Essen richtig in Stimmung. Wir bekamen balkarische Gesänge und balkarische Balztänze zu sehen, was dann unseren Beifall hervor rief. Die Balkaren bedankten sich mit Wein und Obst, worauf unsere Organistin und Chorleiterin Margret uns sofort zu einem Spontanchor formierte, und wir Anja ein Geburtstagsständchen sangen. Trotz, oder vielleicht wegen der ungewöhnlichen Stimmenharmonie kamen die deutschen Klänge gut an. Und am nächsten Morgen spürten einige von uns die Nachwehen des feucht-fröhlichen Abends.
10. September. Blicke zum Himmel in Richtung Gipfel. Sonne und Wolken wechselten sich ab. Das bis dato herrschende sonnige Wetter schien umzuschlagen.
Mit wieder voll beladenen Rucksäcken ging es wieder hoch zur Prijut 11-Hütte.
In der Seilbahn fuhr Djeri noch mit. Vom Sessellift aus konnten wir ihn dann unten hoch laufen sehen. Er kannte den Weg hinlänglich und war mit uns oben.
In der Hütte fanden wir dann unsere nette Köchin Nina vor. Sie hat uns in der Zeit vorzüglich versorgt.
Der Komfort dort oben ist durchaus überschaubar. Strom, Wasser und Heizung gibt es nicht. Mit Gasflaschen wird der Schnee geschmolzen, der dann weiter zu Tee und Suppe verarbeitet wird. Jeden Morgen und Abend hieß es für uns Schnee holen. Für Nina haben wir es gern getan. Eine gute Köchin muss man sich ja schließlich bei Laune halten.
Am nächsten Tag (11. Sept.) wurde weiter Akklimatisation betrieben. Nach dem Frühstück stiegen wir weiter hoch in Richtung der 4670 m hoch gelegenen Pastuchov-Felsen. Der Aufstieg wurde jedoch von Schneefall, Wind und Gewitter gestoppt. Das erste Mal erlebte ich ein Gewitter in den Bergen. Djeri hatte die Elektrizität schon vorher in der Luft gespürt, und den ganzen Tag gebellt. Einige von uns sahen Elektrizität über dem Schnee. Auf Anweisung von Lisa wurden die Stöcke weggeworfen – gottseidank hatten wir keine Steigeisen dabei - der Rucksack abgeschnallt und sich zwecks Isolation zum Schneeboden hin auf den Rucksack gelegt. Als Donner und Blitze vorbei waren, wurde weiter zur Prijut 11-Hütte abgestiegen.
Das Wetter schien sich zu verschlechtern. Jeder Bergsteiger kennt das dann aufkommende Gefühl, hoffentlich klappt das noch mit dem Gipfel. Und nach hier fährt man nicht - wie in den Alpen - nächstes Jahr so eben noch mal hin.
Abends war dann Lisas 2. Hund, ein Husky, ebenfalls auf der Hütte. Er muss alleine vom Tal aus hoch gekommen sein. Er kennt den Weg ja.
Am nächsten Morgen (12. Sept.) herrscht Wind. Sonne und Wolken wechseln sich über den gegenüberliegenden georgischen Gipfeln ab. Der Elbrus ist weitgehend frei. Wir steigen auf, und gelangen bis zu den 4.700 m hoch liegenden Pastuchov-Felsen. Die beiden Hunde tummeln sich verspielt im Schnee. An den Pastuchov-Felsen zwingt uns das Wetter zum Abstieg. Es zieht Nebel auf. Mit Hilfe der Hunde und GPS führt Lisa uns sicher zur Hütte zurück.
Auf der Hütte sagten Jürgen und Robert, dass sie nicht weiter mit zum Gipfel gehen. Robert plagte eine Erkältung; Jürgen spürte Anzeichen von Höhenerkrankung.
Für den nächsten Tag war eine Wetterverschlechterung angesagt.
Da sich dadurch der geplante Aufenthalt verlängerte, musste auch weitere Verpflegung aus dem Tal hoch geschafft werden.
Lisa, Jürgen, Robert, Wolfgang und Alois stiegen noch am gleichen Tag ins Tal ab.
Am nächsten Tag (13. Sept.) war das Wetter morgens sonnig. Der Luftdruck sank aber trotzdem weiter. Lisa, Wolfgang und Alois stiegen mit neuem Proviant wieder zur Hütte auf.
Jürgen und Robert blieben im Tal und machten in den folgenden Tagen schöne Touren auf die umliegenden Berge.
Am Nachmittag kamen wir auf der Prijut 11 an. Hans-Hein, Margret und Karl schwärmten von einem super Sonnenaufgang am Morgen. Die Begeisterung war ihnen noch anzumerken.
Für den übernächsten Tag war nach neuestem Wetterbericht sehr gutes Wetter angesagt. Für den nächsten Tag gutes Wetter. Lisa schlug vor am nächsten Tag den Gipfel zu versuchen. Sollte das Wetter den Gipfel am nächsten Tag verhindern, wäre es eine gute Trainings- und Akklimatisationstour, und am darauffolgenden Tag könnte eine erneuter Versuch mit dann besseren Aussichten erfolgen.
Der Rest des Tages gehörte den Vorbereitungen zum Gipfeltag.
Die Ausrüstung wurde kontrolliert. Steigeisen und Gurte wurden noch einmal angepasst,
Karls gerissener Handschuh wurde genäht. Alles wurde sortiert und parat gelegt.
Lisa hatte am 1. Tag unsere Ausrüstung kontrolliert, und – was wir zunächst nicht wahr haben wollten - dabei Mängel festgestellt. In der Tat hatten wir keine Vorstellung und Kenntnis über die tatsächlichen Temperaturen am Elbrus. Und am nächsten Tag konnten auch wir feststellen, dass der Elbrus den Beinamen "Kleine Arktis" zu Recht trägt. Lisa hatte einigen wärmere Schuhe, Daunenjacken und Handschuhe zusätzlich besorgt. Am Gipfeltag sollten wir erfahren, wie berechtigt diese wärmere Ausrüstung war.
Mittwoch, den 14. September war um 02.30 Uhr Wecken angesagt. Frühstück, Brote schmieren, Tee in die Thermoskannen, die Ausrüstung zusammenstellen. Wir hatten uns entschieden, bis zu den Pastuchov-Felsen mit der Pistenraupe zu fahren, was Karl den Begriff "Raupenbergsteigen" kreieren lies. Dies sparte 2 Stunden. Die Raupe verspätete sich. Ungeduldiges warten herrschte. Dann kam die Raupe. Um 04.20 Uhr fuhr die Raupe endlich los. Es waren einige Sterne am Himmel zu erkennen. Mit zunehmender Höhe wurde der Himmel klarer, und das ganze Sternenmeer wurde sichtbar. Ein unvergessener Anblick.
Um 04.45 Uhr gingen wir von den Pastuchov-Felsen los; Lisa in gleichmäßigem Schritt voran. Die ersten Trinkpausen. Und dann der unvergessliche Sonnenaufgang über den Wolken. Nur wenige Gipfel ragten aus dem Wolkenmeer heraus; am markantesten der ebenfalls doppelgipfelige Ushba in Georgien.
Wir gingen unterhalb vom Ostgipfel links zum Sattel, und von dort aus schräg hoch zum Westgipfel. Im Anstieg zum Westgipfel kamen wir aus dem Schatten des Ostgipfels heraus in die Sonne. Und trotzdem entledigte ich mich von meinen 7 Schichten nur der Daunenjacke, und es blieb kalt.
Eine halbe Stunde später, und 11.20 Uhr hatten wir es nach 7 anstrengenden Stunden geschafft.
Emotionen, Umarmungen, Gipfelgefühle, Berg Heil, Gipfelfotos.
Wir standen auf dem Dach Europas, dem 5642 m hohe Elbrus.
20 Minuten später begann der Abstieg. Auch er sollte nicht leicht sein. Die Höhensonne schonte uns nicht. Der Schatten des Ostgipfel schwand zusehends. Erst später kamen wir in die Wolken, und es wurde angenehmer. Jeder war froh, als er auf der Prijut 11 war.
Mit 1 Flasche Wein für uns alle konnte etwas gefeiert werden.
Am nächsten Tag (15. Sept.) ging es dann morgens runter ins Tal, wo abends dann etwas mehr gefeiert wurde.
Duschen, packen, Karten schreiben, von denen bis heute ist noch keine angekommen ist.
Am letzten Tag (16. Sept.) erlebten wir in einer Hochgebirgswanderung zu einer Gletscherlagune einen schönen Ausklang. Noch einmal einen Blick auf den Elbrus aus anderer Perspektive.
Abends war dann ein gebührender Abschied mit Lisa.
Am nächsten Tag (17. Sept.) ging es dann morgens um 07.00 Uhr mit einem kleinen Bus zum Flughafen nach Mineralnye Vody, und von dort weiter via Moskau und Frankfurt