Datum: 31. 05 1992
Autor: Dr. Bernd Hergarten
Die ersten Weißen, die vor gut 100 Jahren diesen Berg sahen (Missionar REBMANN 1848) und ihn als schneebedeckten Gipfel beschrieben, wurden in der Heimat ausgelacht, weil niemand daran glaubte, daß Schnee am Äquator möglich sei. Auch uns erschien der Berg, der als gewaltiges Massiv zuerst vom Flugzeug aus sichtbar war als unwirklich, ja unnahbar. Beinahe kam Angst auf angesichts des sich weit über die Wolken hinaus erhebenden größten freistehenden Berges der Erde.
Der Reiseführer hatte uns schon belehrt, daß die Grundfläche 50 x 80 km mißt und seine Entstehung etwa 100 000 Jahre zurückliegt, als er zusammen mit seinen kleineren Begleitern Mawenzi und Shira feuergeboren ward. 5895 m soll er messen und zahlreiche Nebenkrater aufweisen. Die Reste der vulkanischen Tätigkeit sollen im Inneren des Kraters an einigen Stellen noch in Form heißer Nester und Quellen spürbar sein.
Am nächsten Morgen werden wir, d.h. mein Freund Horst und ich zusammen mit zwei weiteren Reisegruppen zum Marangu-Gate, dem Eingangstor zum Kilimanjaro National Park gebracht, wo bereits Träger und Führer warten. Hier zeigt sich, daß es sinnvoll ist, eine solche Tour durch ein solides Unternehmen vorbereiten zu lassen. Unsere Führer und Träger sind zuverlässige und bewährte, ausgesuchte Leute, die uns keinerlei Scherereien gemacht haben (andere Reisende haben damit böse Überraschungen erlebt).
Die Formalitäten am Gate sind bald vergessen und von hier aus geht es mit leichtem Gepäck (wir sind inzwischen eine Gruppe von 15 Deutschen mit 5 Führern und etwa 30 Trägern) durch dichten Regenwald bergan. Die morgendliche Kühle am Gate in 1830 m Höhe läßt uns das tropische Afrika bald vergessen. Sogar die Pflanzenwelt kommt uns heimisch vor, zahlreiche Pflanzengattungen erkenne ich wieder: Veilchen, Wegerich, Knabenkräuter, Skabiosen, Brombeeren und Farne sind den heimischen Arten nahe verwandt. Doch bald kreischen Affen (Meerkatzen) durch die Bäume und auch handtellergroße Schmetterlinge, die sich im undurchdringlichen Dickicht auf beiden Seiten des Weges rasch verlieren, machen uns deutlich, daß wir 7000 km von zu Hause entfernt sind.
Schon nach drei Stunden sind die ersten 900 Höhenmeter des ersten Tages geschafft. Mitten im Regenwald - wir haben Glück, daß es nur feucht und kühl ist und der Regen uns verschont- liegt unser erstes Quartier, einige kleine Nurdach-Hütten mit vier Pritschen hinter jeder Stirnseite. Kaum Platz für Gepäck, daß schon vor uns wohlbehalten angekommen ist.
Ein Besuch am Maundi, einem der 143 Nebenkrater des Kibo gibt uns bereits einen Vorgeschmack auf den nächsten Tag und rundet diesen ersten Aufstiegstag ab. In einem zentralen, im gleichen Baustiel wie unsere Hütten errichteten Haus werden wir mit einfachen aber schmackhaft zubereiteten Speisen versorgt, die von den Führern in stetig qualmenden Hütten zubereitet werden. Der heiße Rauch verbietet uns den Zutritt, aber auch den Köchen tränen die Augen. Am zweiten Tag (englisches Frühstück mit Porridge, Ham und Eggs, Tea und tropischen Früchten - von nun an jeden Tag-) führt der Weg zunächst über glitschige Wege steiler werdend über Wurzeln weiter. Von den Bäumen hängen vermehrt meterlange Bartflechten und manche Baumriesen sind mit Epiphyten bedeckt. Dann, nach einigen Stunden, ist der Regenwald plötzlich zu Ende. Hochmoor und Heide bestimmen das Bild. Rätselhafte Erikagewächse sind bis zu zehn Meter hoch, vereinzelt treten Strohblumen, Gladiolen und Fackellilien auf. Dann der große Moment in etwa 3500 m Höhe. Die uns bis hierher umgebende Wolkendecke reißt auf und gibt den Blick zum Kibo und Mawenzi frei. In der jetzt klaren Luft über den Wolken bleibt dieses Bild jedem unvergessen. Nach fünf Stunden dann die Horombo-Hütte - außer weiteren 1000 Höhenmetern ähnliche Unterkünfte, nur der Blick ringsum reicht weiter, heftet sich an die Riesen-Greiskräuter, deren Riesenwuchs den Botanikern noch geheimnisvoll ist. Unter uns die geschlossene Wolkendecke, aus welcher der Regenwald mit Feuchte versorgt wird, und über uns nachts der glasklare Sternenhimmel der südlichen Hemisphäre. Die erwähnten Senecien säumen die feuchteren Bereiche entlang der Bäche, die von den Schmelzwässern der Gipfel gespeist werden.
Ein Ruhetag zur besseren Höhenanpassung ist angesagt und wird zum Aufstieg auf den Kibo-Mawenzi-Sattel genutzt (4800 m). Dennoch stellen sich bei einigen die ersten Anzeichen der Höhenkrankheit ein: Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Pulserhöhung bis zum Herzflattern, Übelkeit. Als es am nächsten Tag weiter geht, bleibt die Erste zurück. Die Vegetation wird immer dünner, unsere Atemluft ebenso, dennoch vorbei an der letzten Wasserstelle zur "Kibo-Hut", mit 4750 m sozusagen das Basislager zum Gipfelanstieg. Erstmals wirkliche Enge. 14 Personen auf 12 Betten verteilt bedeutet, daß der Tisch mitbenutzt wird. Um Mitternacht soll Wecken sein, entfällt jedoch, weil sowieso alle wach sind - Kopfschmerzen und Atemnot machen auch den Hochleistungssportlern und Marathonläufern unter uns zu schaffen. Völlig untrainiert bin ich das Wunderkind, das keine Kondition gebolzt hat - ich hatte das etwas mitleidige Lächeln zu Beginn der Tour wohl bemerkt.
Zwei weitere bleiben auf der Hütte wegen Übelkeit zurück. In der Nacht, kurz vor ein Uhr beginnt im Schein der Lampen der Aufstieg über endlose Geröllfelder. Die Turnschuhe, die mir bisher blasenfreien Laufkomfort geboten haben, wurden gegen schwere Bergstiefel ausgetauscht. Pole-pole: langsam-langsam lautet die Losung. Der Bergführer geht unglaublich langsam vor, dennoch bald Kurzatmigkeit. Jeder Fehltritt im oberen Blockfeld kostet Kraft
- Erschöpfung wird deutlich. Mein Atem fliegt. Es dämmert. Ich will hoch. -
Zum Sonnenaufgang erreichen wir den Gilman´s Point. Damit gilt der Berg als bestiegen. Ich bin restlos am Ende, zittere vor Kälte bei einer Temperatur weit unter dem Gefrierpunkt, der Kopf dröhnt, ich verkrieche mich in eine Felsecke und habe nicht einmal mehr die Kraft auf mein Band zu sprechen, wie ich es unterwegs stets gemacht habe. Die letzten 100 Höhenmeter haben mich zermürbt. Der Sonnenaufgang ist wegen aufziehender hoher Wolkenfelder kaum sichtbar - die Belohnung bleibt aus.
Nach einer Viertelstunde raffe ich mich auf und mit nur dreien aus der Gruppe und dem Führer geht es weiter über den Kraterrand zum Hauptgipfel. Der Uhuru-Peak ist der höchste Punkt Afrikas, ich will ihn erreichen. Schneefelder und Felder aus Lavafetzen werden leicht ansteigend überwunden. 150 Höhenmeter werden in etwa 1 1/2 Stunden geschafft, aber der Ausblick auf nie gesehene Gletscherbildungen mit seltsamen, kaskadenähnlichen Abschmelzungen und die ungeheure Weite um uns hat die Anstrengung gelohnt. Eintrag ins Gipfelbuch, das zerfleddert in der üblichen Zinkdose liegt, erscheint fast überflüssig. Ein Stein vom Gipfel ist schon wichtiger. Die Sonne wärmt jetzt und die Welt ist wieder in Ordnung.
Der Weg zurück ist zwar anstrengend, aber der Erfolg macht ihn noch leichter. Der Gilman´s Point ist jetzt gelassen zu ertragen. Nach den oberen Blockhalden geht es in Riesenschritten bergab. Schwarze Piste ohne Ski sozusagen. Die gewaltigen Staubfahnen hinter uns werden vom Wind verweht. Aber die 1000 Meter abwärts gehen in die Beine, Muskeln und Bänder werden weich und bald entstehen Blasen. Nur noch humpelnd erreiche ich die Kibo-Hütte.
Wir erfahren, daß unsere Gruppe sehr gut war. Die Erfolgsrate derer, die das Gate passieren liegt für den Gilman´s Point bei 20-50%, für den Uhuru-Peak bei 6-10%.
Trotz der Blasen an den Füßen macht sich Euphorie breit. Die Sinne registrieren wieder alle Schönheiten der endlosen, alpinen, lebensfeindlichen Wüste, die bis 4600 m nur wenige, der intensiven Strahlung und der langen Trockenheit angepaßten Strohblumen aufweist. Rippelmarken in der Sandwüste weisen auf Steinwanderungen hin, Geierraben über uns nutzen die schwache Thermik.
Der endlose Weg zurück zur Horombo-Hütte wirkt wie eine Autobahn. Am "Last-Waterpoint" die übliche Rast - Leben ist wieder da. Eidechsen und die niedlichen vierstreifigen Grasmäuse huschen über den Weg.
Träger neuer Gruppen mit Brennholz auf den Schultern, Verpflegung, Geschirr oder den Rucksäcken ihrer Gäste auf dem Kopf, kommen uns entgegen. Fast jeder grüßt mit "Jambo". Am letzten Tag der Abstieg zum Gate, für viele ist die Urkunde, genau nach dem erreichten Ziel unterschieden, sehr wichtig. Dann wechseln Schuhe, Shirts und Anoraks ihre Besitzer. Die Träger, teilweise mit Badeschlappen unterwegs, freuen sich. Üppige "Tips" (30US$) für die Führer und (10US$) für die Träger kommen hinzu und bedeuten, daß diese Leute mehr verdienen als Lehrer, Ärzte, ja sogar Minister. Diese Trinkgelder sind fest einkalkuliert. Nikolaus, unser Führer reklamiert als Hauptführer und Koch noch mehr. Auch er wird zufriedengestellt. Abfahrt zum Hotel und damit zur lang ersehnten Dusche. Am folgenden Tag beginnt die Serengeti-Safari, doch das ist eine andere Geschichte.