Auch in diesem Jahr planten wir eine Bergtour, diesmal in die Brenta. Mit dabei waren Volker, Rene, Albert, Rolf, Jörg und Walter.
Pünktlich zur verabredeten Zeit schwebte Rolf mit Albert an Bord auf dem Flughafen von Bozen ein und brachte seine Propellermaschine nach sauberer Landung zum stehen. Jetzt noch schnell aufgetankt und Maschine eingeparkt und gemeinsam fuhren wir nach Madonna di Campiglio. Hier nahmen wir, da die Zeit drängte, die Gondelbahn bis zur Bergstation Groste. Trotz der Höhe von 2440 Metern schien die Sonne sommerlich warm. Wir machten uns direkt auf den Weg, die erste Etappe des Sentieri delle Bocchette Benini, da wir noch am Abend unsere Übernachtungshütte, Refugio Tucket, erreichen mussten. Heiss brannte die Sonne, der Schweiß rann über Gesicht und Rücken und wir stiegen immer höher. Nach Anlegen unserer Klettersteigausrüstung betraten wir die zerklüftete Herz der wilden Brentaberge. Wie auch schon in den letzten Jahren brauchte ich eine Weile, um mich an die schwindelnden Abgründe unter den Füßen zu gewöhnen. Doch nach kurzer Zeit vergaß ich die Angst in dieser senkrechten Welt. Bald kratzten wir an der 3000-Meter-Marke und stiegen ab zur Tucket-Hütte, die wir am Abend erreichten. Hier trafen wir auch wieder Rolf, der aus Zeitgründen den Normalweg unterhalb der Felsen genommen hatte, und uns traditionell mit einem Radler begrüßte. Nach einem leckeren Abendessen sanken wir todmüde in unserem Zimmer in den Schlaf.
Am nächsten Morgen starteten wir alle gemeinsam zur höchsten und längsten Etappe des Sentieros, der Bocchette Alte. Steil ging es über gesicherte Steige aufwärts, vorbei an Türmen und Wänden, die im typischen Brenta-Stil lamellenartig gebändert sind. Auch unser Pfad verlief oft über ein solches Band im Kalkstein, steil, ausgesetzt, aber immer war der Fels auch griffig. Wolken zogen am Himmel auf und tauchten die bizarren Steinformationen in ein Licht- und Schattenspiel; Wolken zogen aber auch unter unseren Füssen auf, da hier alles senkrecht ist. Elegant segelten Krähen über und unter uns vorbei, krächzten und verschwanden wieder. Wir kletterten am Gipfel der Cima Brenta vorbei und erreichten über ein langes, luftiges Band die höchste Stelle mit 3020 Metern, wo wir im Windschatten eine kurze Mittagsrast machten.
Nach einer tiefen Schlucht, der Spalla die Brenta, erklommen wir die himmelhohe Leiter Scala di Amici und erkletterten den Felsturm Spallone dei Massodi mit 3004 Metern. Und wieder ging es abwärts in eine düstere Klamm zwischen zwei senkrechten Wänden. Auf schmalen Grat, rechts und links bodenloser Abgründe, kamen wir zur gegenüberliegenden Seite der Schlucht, kraxelten steil auf und betraten ein schotteriges Hochplateau.
Wo waren wir gelandet? Nach intensiven Kartenstudium mussten wir feststellen, dass wir den falschen Turm erklettert hatten. Also wieder abwärts in die grausige Klamm, über den schmalen Grat und zurück auf der anderen Seite. An dieser senkrechten Kalkwand vollbrachte Albert eine bemerkenswerte Turneinlage. Nun ging es nach einer seitlichen Querung abwärts über eine Serie von steilen, manchmal leicht überhängenden Leitern, bis wir den sicheren Talboden erreichten.
Nach dem Abendessen in der Refugio Alimonte spendete uns der Hüttenwirt eine Runde Schnaps, der allerdings besser zum Füße einreiben getaugt hätte. Ein anstrengender, aber großartiger und abenteuerlicher Tag ging zu Ende.
Am nächsten Morgen erwartete uns Wind, Kälte und Regen. So beschlossen wir, den Bocchette Centrale, die letzte Etappe des berühmten Klettersteiges, auszulassen und stattdessen den Wanderweg zwischen den Bergen zu nehmen. Wir legten einen kurzen Zwischenstopp in der Refugio Maria Alberto Brentei ein, wo Radler und Cappuccino nachgetankt wurde und weiter ging es im Regen zur Tosa-Hütte, wo wir uns mit einem Mittagsmahl stärkten.
Nachmittags ließ der Regen nach und wir wanderten über den Sentiero Palmeri weiter, wobei Rolf und ich wieder mal die stabile Nachhut bildeten. Wir erzählten uns gegenseitig auch wieder Geschichten, die wir uns schon letztes oder auch vorletztes Jahr bei unseren Touren berichtet hatten, aber das machte nichts. Wir hatten sie sowieso wieder vergessen. So ist das halt bei den Alt-Sherpas.
Es war bereits später Nachmittag, da hörten wir das erste Donnergrollen. Dann wurde es finster, grelle Blitze zuckten um uns, Donnerschläge krachten und es regnete Katzen und Hunde. Die Alt-Sherpas bekamen unerwartet flinke Beine und erreichten kurz darauf bei Hagelschlag die rettende Refugio Agostini tropfnass, wo die Freunde bereits auf uns warteten. Selten war eine Hütte so schön warm und gemütlich wie diese. Zum Abendessen tranken wir Rotwein und ließen den Tag ausklingen.
Der folgende Morgen zeigte sich unerwartet sonnig mit einem tiefblauen Himmel. Wir diskutierten leidenschaftlich, ob wir erst zurück zur Tosa-Hütte wandern und dann den Bocchette Centrale klettern oder erst den Brentari-Klettersteig und anschließend zur Refugio Brentei wandern sollten. Erst Jörgs Hinweis auf den Wetterbericht, der für nachmittags neue Regen- und Gewitterschauer prophezeite, gab den Ausschlag: Auf zum Brentari-Steig, wobei sich uns der einsame Tourengänger Frank aus dem Sauerland anschloss.
Wir stiegen ein Schotterkar aufwärts, vorbei an hausgroßen Felstrümmern, die 1957 aus der nahen Bergwand ausgebrochen waren, den Hang herab gerollt und kurz vor der Hütte zum Stehen gekommen waren.
Nach einer dreiviertel Stunde erreichten wir den kleinen Ambiez-Gletscher, den wir queren mussten. Hier stellte Albert fest, dass er seinen Helm unten in der Hütte vergessen hatte. Aber er nahm es sportlich, rannte zurück und erreichte wieder die Gruppe, als wir den Gletscher bereits überquert hatten. Hier lag die Schlüsselstelle unserer Tour: Der Gletscherrand schwang sich steil auf, musste mit Hilfe eines fixierten Seils erklommen werden und endete an einer Felswand, die glatt wie ein Kinderpopo war.
An dieser Stelle sahen wir unterhaltsame und akrobatische Vorstellungen unserer Gruppe: Rolf verlor beim Ablegen seinen linken Grödel, der auf dem schrägen Eis abwärts rutschte und in einer schmalen Gletscherspalte verschwand, nachdem ich vorher noch unbeholfen versucht hatte, ihn mit meinem Teleskop-Stock aufzuhalten. Das war aber nicht genug, Rolf lies auch noch seine Gletscherbrille auf demselben Weg verschwinden. Zum Glück war Volker zur Stelle: Er angelte auf dem Bauch liegend die Brille aus der Spalte, verlor dafür aber seine Wasserflasche in der eisigen Tiefe. Dann nahm er mir Steigeisen und Stöcke ab vor dem schmalzverzehrenden Aufstieg in die Felswand und brachte auch Albert unversehrt über die kritische Wand. Wir waren dankbar, dass Volker als professioneller Höhenretter in kritischen Situationen den Überblick behielt und uns half.
Nun ging es auf abenteuerlichen Weg himmelwärts im Fels des Cima Garbari, über Leitern und Seilstellen, vorbei an schwindelnden Abgründen. Ein fernes Donnern ermahnte uns zur Eile und es begann sachte zu schneien. Nach den luftigen Passagen kraxelten wir wieder abwärts ins Tal, wobei uns mehrere Bergwanderer entgegen kamen. Obwohl wir sie vor dem bei diesem Wetter riskanten Aufstieg warnten, stiegen diese unbeirrt weiter in den Brentari- Klettersteig.
Am frühen Nachmittag kamen wir wieder in der Rifugio Tosa an, die wir schon vom Vortag her kannten. Wir nahmen eine warme Mahlzeit und beobachteten, wie das Wetter draußen immer winterlicher wurde. So kostete es einige Überwindung, die warme Stube zu verlassen, um über den Bocca di Brenta die Brentei-Hütte zu erreichen. Im dichten Schneetreiben stiegen wir den Pfad ab, wobei uns immer wieder große Gruppen von palavernden Italienern entgegen kamen. Wir machten uns Gedanken, wie diese lebhaften, schneenassen Gäste in der kleinen Tosa-Hütte wohl gestapelt werden müssten...
Als wir in der Brentei-Hütte ankamen, war diese aber auch schon voll besetzt, so dass wir eine exklusive Dachkammer zur Übernachtung angeboten bekamen. Der Abend in der Hüttenstube war jedoch sehr unterhaltsam, sogar mit musikalischer Begleitung vom italienischen Nachbartisch. Unser treuer Begleiter Frank spendierte noch ein paar Schnaps- und Rotweinrunden, es war unser letzter Hüttenabend. Spät am Abend verzogen wir uns in unsere lausig kalte, sturmumtoste Dachkammer, bei der es, welch ein Luxus, von der Decke herab tropfte.
Am nächsten Morgen, dem Heimreisetag, schien die Sonne vom postkartenblauen Himmel und die Berglandschaft war in ein Wintermärchen verzaubert. Die typischen Felsbänder waren weiß verschneit, im Kontrast zum dunklen Fels. Unter diesen Umständen war der geplante Klettersteig zu riskant und wir entschieden uns für den Wanderweg. Frank, der offensichtlich noch nicht genug von uns hatte, schloss sich wieder unserer Gruppe an.
Der Weg zurück zur Bergstation war zauberhaft. Es ging an verschneiten Felswänden vorbei, einmal mussten wir durch einen natürlichen Tunnel im Berg, dann vorbei am Refugio Tucket und wir querten einen tief verschneiten Latschenwald. Hier bauten Albert und Rolf einen Schneemann mit einer Eiweißriegel-Nase. Je näher wir der Seilbahn kamen, desto mehr Touristen kamen uns entgegen, manche sogar in Turnschuhen...
Kurz vor unserem Ziel löste sich an Jörgs Bergstiefel die Sohle. Doch mit dem geballten technisch- handwerklichen Können unserer Gruppe war dieses Problem schnell gelöst und Jörg musste nicht im Schnee zurückbleiben und erfrieren.
An der Station verabschiedeten wir uns vom treuen Frank, der allein weiter zog.
Müde aber glücklich erreichten wir in der Gondel das Tal und machten uns auf die Heimreise. Trotz des gemischten Wetters hatten wir eine spektakuläre Tour in den Brenta Dolomiten erlebt. Danke an die Kameraden für das schöne Erlebnis.