Nachdem das Team endgültig steht (Martin und ich), organisiere ich mir flott ein Bahnticket ab Bonn via München nach Kufstein, wo Martin mich vereinbarungsgemäß Montagmorgen einsammeln will. Frohen Mutes können mich dann auch die zwei Stunden Verspätung des Nachtzugs nicht schocken, nach einem abenteuerlichen hin und her bringt mich die Tram Richtung Rimini (…und eine Nanosekunde schwankte ich…) dann doch noch am Vormittag in das schreiend grausige Tiroler Städtchen; die Tour mit meinem bereits gut akklimatisierten Partner kann losgehen.
Schwüle und drohende Gewitterwolken, jedoch ein gut recherchierter, positiver Wetterbericht für die Venedigergruppe lassen uns am Plan festhalten, den Parkplatz in Neukirchen für den Aufstieg zur Kürsinger Hütte anzusteuern; Über den erst gemütlichen Wander- und dann einen Gletscherweg erreichen wir dann gut geduscht und von einem Fuchs neugierig beäugt am späten Nachmittag unser Ziel; „hallo! Jemand da?“ – wir durchbrechen die beneidenswerte Einsamkeit von Hüttenwirt und Hund, die uns beide freundlich aufnehmen.
Nach abendlicher Besprechung und einer ruhigen Nacht auf 2558 m Höhe (da wo ich herkomme, ist die „Hohe Acht“ schon enorm hoch) müssen wir tags darauf in ein klassisches Hüttenkoller-Wetter schauen: Nebel und Regen eben; also: ruhige Nerven, Bücher raus, erzählen, noch mal auf´s Ohr hauen und – abwarten.
Mittags haben wir dann den erhofften Regenstopp und etwas höhere Wolken lassen uns den auf 3.300 Meter liegenden „Keeskogel“ ansteuern, für mich ein Eingewöhnungsmarsch mit knietiefer Schnee- und hautabschrabbeliger Felserfahrung im Nebel-Niesel Mix.
Kurz unterhalb des Gipfels zwingt uns der Wettergott dann zur Umkehr, zum völligen Unverständnis des stoisch drein schauenden Steinbocks, der uns beim Abstieg von seinem Felsthron aus fest im Visier hat.
Noch am Abend entscheiden wir uns entsprechend der Wetterprognose zu einem Ortswechsel in die Hochdruckzone Ötztal (weis Gott, ein guter Entschluss!). Yeah, go West!
Mittwochmorgen: Powerabstieg zum Auto und ab über Innsbruck (hier erhalte ich eine informative Stadtrundfahrt mit und durch meinen Tourenleiter) ins sonnige Ötztal. Ab Vent dann Poweraufstieg zur stark frequentierten Breslauer Hütte auf zweiacht – was für ein Ameisenhaufen von Bergleuten in allerlei Aktion.
Die Wildspitze auf 3.774 Meter, immerhin zweit höchster Zipfel Österreichs, ist für Tags drauf geplant und ich hab am Abend davor echt Muffe (falle eher um, bevor man mir das anmerkt) -; Fünf Uhr! Abmarsch im Sonnenaufgang erster Sahne, ein Bildband der Alpen ist nichts dagegen!
Im ungetrübtem Morgenlicht marschieren wir zwei schweigend über Schnee- und Gletscherpassagen, bringen unser Geräffel immer situationsbedingt in den Einsatz und Erreichen um halb neun in der Früh den Gipfel, still, leise, mit umwerfend schönem Panorama auf die umliegenden Berge.
Nach den obligatorischen Champion-Fotos begucke ich mir so nebenbei Martins Sicherungsarbeit – der Typ hat mich angekettet, mein Radius reicht bis zum Gipfelkreuz; aufkommender Protest erliegt schnell innerer Einsicht.
Unser Abstieg geht dann relativ zügig über den Ferner, Abseilarbeit macht auch Wege kürzer, so bleibt Zeit zum verdienten sonnen auf einer Felsinsel Richtung Hütte. Da lässt es sich ab mittags auf der sonnigen Terrasse gut bei Suppe und Kaffee aushalten. Wir eröffnen unseren Lesezirkel und schmökern, bis wir uns sämtliche Passagen aus „Alpin“ und „Bergsteiger“ gegenseitig aufsagen können und ich den Lebenslauf aller Dalai Lamas ab 1904 kenne. Spontan entscheide ich mich für den ultimativen Luxus einer Dusche - und erhalte die Münze in Form vom Dusch-Andrehknopf: heißer Genuss ohne Zeitbegrenzung! Die enorme Auswahl an Readers Digest – Heftchen macht uns die Augen früh müde, das ist eiskalte Kalkulation des Wirts mit Blick auf die Hüttenruhe?! - Nä, das braucht uns keiner sagen, alles schnarcht schon vor den acht Uhr Nachrichten, denn morgen ist wieder um fünf Abmarschzeit.
Freitag früh; wir gehen los - mit ganzem Gepäck (war mein Motto vor der Tour „Du brauchst nur das, was Du tragen kannst, ändert sich das schnell in „ …zu tragen bereit bist“ - und das ist nicht viel!) in nebligem so olala - Wetter über den Mitterkarferner Richtung „Hinterer Brochkogel.“ Ich denke noch, nur auf 3.635 das gute Stück – dann offenbart sich mir die ganze Dimension der nebligen Kletter-/Seil-/Sicherungsarbeit.
Was für eine Freude, echter Anspruch mit viel Adrenalin. Nach erkletterten Höhenmetern schafft Martin dann auf dem schneebedeckten Hügel seine Gipfelkreuzkreation, ein kurzes Aufreißen der Nebelschwaden erlaubt uns einen Blick auf die Petersen-Spitze.
Uff, und jetzt das ganze Spielchen retour, aber mein wachsender Mut und Abseilmanöver machen ja auch hier die Strecke einfacher.
Über den Ferner und den Seuferweg (hat wohl nix mit Säufern zu tun) mit Panoramablick (scheine eher ich zu haben) gelangen wir zur Vernagthütte auf 2.765 hm, die ich mir jedoch verdienen muss: Martin drückt mich im letzten Stück noch mal 200 hm runter und rauf. Die Hütte ist genau nach meinem Geschmack: Schafgebömmel zwischen Enzian, wenig bevölkert und die paar Touris dort sind wirklich nett, Tiefenentspannung auf sonniger Terrasse zum Nulltarif.
Zum Abend kredenzt die etwas ruppige Bedienung dann den Speisenplan auf ihre Art: „vägetarisch??? Bratkartoffeln mit Spiegelei, DAS is vägetarisch“ – man, hab ich Hunger…okay, nehm ich und auch die Käseknödel in Rindersuppe. Dafür haben wir wieder kaum Betrieb im 20-Mann-Lager, nur ein unscheinbarer Geselle drückt sich noch spät abends in eine Kinderbettgröße.
Die Zeit rennt, Samstagmorgen schleichen wir uns um viertel nach fünf aus dem Haus Richtung „Fluchtkogel“ (ein exakter drei-fünfer), klarer Himmel, der Tag verspricht, wunderschön zu werden. Wir wandern über den Guslärferner, vorbei am GuslärJoch zum Gipfel, den wir um 08.00 Uhr morgens im Nebel als erste erreichen.
In kürzester Zeit brennt die Sonne die letzten Wolken ab und wir haben wieder einmal ein Bilderbuch – Alpenpanorama. Weil ja Wochenende ist, wird es um uns herum schnell voll; nix wie weg, wir wandern über den bereits leicht erwärmten Kesselwandferner zum nahe gelegenen Brandenburger Haus – mitten im Gletscher und auf 3.272 Meter (ein echter Geheimtipp für Spartanische – wer renoviert das Dach? Berliner natürlich!). Eine abwechslungsreiche kurze Kletterpartie führt uns hinauf zu Kaffee, Suppe und Kuchen, wir lassen uns etwas Zeit in angenehmer Atmosphäre. Der Abstieg Richtung Hochjoch Hospiz geht dann über den Kesselwandferner und gemütlichem Panoramaweg mit reichlich Schafgetümmel, von der Hüttenterrasse lassen sich „Weißkugel“ und Co. gut begucken.
Oje, schon fast Ende der Tour! Wir dürfen im Winterlager nächtigen, voll ist es, aber trocken und warm und null Schnarcher. Gut ausgeruht geht´s dann Sonntagmorgen halb sechs von der Hütte aus über einen schönen Wanderweg (Ötztal oder Irland??) der Sonne entgegen nach Vent, wo wir passend zur Frühstückszeit um halb acht ankommen.
Den Bauch mit Leckereien gefüllt erledigen wir noch kurz den Jubiläumsklettersteig „Lehner Wasserfall“ (psst, Klettersteige sind meine Leidenschaft!) – „rassiger, mäßig schwieriger, kurzer Urgesteins-Klettersteig“ steht in der Beschreibung; rassig ist in der Tat die kühne Variante „Überhang“; Martin schwingt sich engelsgleich über 3,5 Meter Höhe, während ich mich nach ernsthaftem Versuch doch für die Angsthasen - Variante um die Schlüsselstelle herum entscheide. Entlang des rauschenden Wasserfalls wandern wir zurück durch ein Fichtenwäldchen. Was für ein perfektes Tourenende!
Nach obligatorischem Milchkaffee tritt Martin dann die Heimfahrt an und ich darf noch eine Weile in den Bergen bleiben.