In geheimer Mission im Schnellverfahren durchs Jager - Couloir
Im Veranstaltungsplan 1997 war die Doldenhorn-Nordwand im Berner-Oberland angekündigt, später wurde das Gervasutti-Couloir im Mont Blanc Gebiet ins Auge gefaßt, und im letzten Moment wurde es dann das Jager-Couloir direkt nebenan.
Man kann also auch sagen: Auf Umwegen zum Ziel oder des Bergsteigers Gedanken sind verschlungen und geheimnisvoll.
Was versteht man überhaupt unter dem Begriff Jager- sprich "Schageh"- Couloir, im deutschsprachigen Raum auch Jäger-Couloir genannt? Es handelt sich um ein Steileis, - firn, - rinne, eröffnet in der nachklassichen Epoche 1964 von einem jungen Franzosen namens Jager, weder verwand noch verschwägert mit dem Erfinder des berühmten "Jagertees", mit einem Gefährten. Es befindet sich einen Steinwurf neben dem bekannten, klassischen Gervasutti-Couloir am Mont Blanc du Tacul.
Die nackten Daten lauten: 650 m Höhe, 55 - 65 ° Steilheit, Zeitaufwand ca. 5 - 6 Stunden.
Nach Telefonaten quer durch die Alpen, war ich schließlich auf die Cosmiques-Hütte am Mont Blanc und auf das Jäger-Couloir gestoßen. Der nette Hüttenwirt gab mir, nachdem ich mich nach dem Gervasutti-Couloir erkundigt hatte, den Tip: "Jäger-Couloir". Fast hätte ich allerdings die Tour alleine machen müssen, wenn nicht noch Dirk und Hanns-Hein mitgefahren wären.
Das weitere ist schnell erzählt: Die Cosmiques-Hütte kann man nur empfehlen. Der Zugang durch die Seilbahn auf die Aguille du Midi ist sehr bequem. Atmosphäre: sehr freundlich, sauber und gepflegt, gutes Essen, allerdings nicht ganz billig.
Nach einer kurzen Nacht ist um 2°°Uhr Abmarsch zum Einstieg. Den guten Rat des Hüttenwarts, möglichst vor der Sonne die Rinne hinter uns zu haben, hatten wir dabei im Kopf. Hanns-Hein hatte leider eine sehr schlechte Nacht hinter sich, er drehte am Bergschrund um. Dirk und ich gingen seilfrei zügig die enge Rinne hoch, anfangs über unangenehme Eis- und Schneebrocken, durch Steinschlagrinnen, später überwiegend über angenehme Firnpassagen, kurz vor dem Ausstieg durch einen ganz kurzen, felsigen und eisigen Engpaß und über eine ca. 3 m hohe, senkrechte Stufe zum Gipfelgrat.
Es war gerade mal 7 °° Uhr. Hanns-Hein war zu diesem Zeitpunkt noch nicht wieder auf der Hütte zurück.
Wir hatten das Jäger-Couloir, zugegebenermaßen bei guten Verhältnissen, in 3 Stunden durchstiegen. Wir waren rundum zufrieden und dankten im stillen dem Hüttenwirt für den guten Tip. Ein Blick hinüber zum Gervasutti-Couloir zeigte uns dort nämlich bei Tageslicht viel Blankeis. Der Gang hinüber zum Gipfel des Mont Blanc Tacul war nur noch Formsache. Für mich war es das vierte mal oben.
Im Abstieg auf dem Normalweg begegneten uns viele Skitourengänger, einige wunderten sich, daß wir schon wieder abstiegen. Als sie dann hörten, daß wir nachts um 2 °° Uhr von der Hütte losgegangen waren, verstanden sie die Welt nicht mehr.
Um 9 ³° Uhr waren wir wieder auf der Hütte. Wir hatten also fast noch den ganzen Tag vor uns.
Den verbrachten wir dann überwiegend in Chamonix, u.a. mit der Suche nach Walnußeis, für das mir früher Chamonix immer als gute Adresse gegolten hatte.
Dirk war übrigens in jeglicher Hinsicht sehr beeindruckt von der Welthauptstadt der Bergsteigerei.
Den angemessenen Abschluß unserer Tour bildete, nach vorangegangenem, opulentem Abendessen, und nachdem Dirk seinen Einstand im Viertausender-Club mit einer guten Flasche französischem Rotweins gegeben hatte, eine herrliche Nacht, draußen auf einer Bergwiese unter einem wundervollem Sternenhimmel im Schlafsack. Nach einem tiefen, erholsamen Schlaf wurden wir morgens von Tau bedeckt von Vögeln und Murmeltieren geweckt, Umstände, die einem streßgeplagten, zivilisationsgeschädigten Mitteleuropäer wie eine Offenbarung erscheinen müssen.