Datum: 31. 12 1996
Autor: Karl Zöll
Anläßlich unserer letzten Westalpensektionsfahrt wurde ich auf der Schreckhornhütte Zeuge eines interessanten Gespräches, das am Nebentisch stattfand und aufgrund dessen mir schlagartig klar wurde, woher der sicherungstechnische Begriff "Toter Mann" seinen Ursprung hat. Die Unterhaltung drehte sich um eine Bergtour, die einer aus der Runde mit seinem damaligen Partner in den frühen 50er Jahren im Bereich der Fiescherhörner durchgeführt hatte.
Beim Abstieg gerieten die beiden in dichten Nebel mit Schneetreiben. Der Partner war völlig erschöpft und demoralisiert, so daß er zu keinerlei Aktion mehr fähig war, die aus der mißlichen hätte führen können. Dem Erzähler war nun bekannt, daß der vorgesehene Abstieg zur Strahlegghütte über einen spaltenreichen, recht abschüssigen Gletscher führte. Sein Seilpartner war, wie schon gesagt, nicht mehr in der Lage, den Vorausgehenden aktiv zu sichern. Er wollte nur noch an Ort und Stelle bleiben und sterben. Er war mehr oder weniger schon halbtot.
In dieser Situation kam unser Berichterstatter auf die einfache, wie geniale Idee, den zweiten Mann trotz oder gerade wegen seines Zustandes für seine Sicherung heranzuziehen. Die "Innovation" war eigentlich ganz simpel:
Er rammte zwei Pickel so tief und so fest es ging auf gleicher Höhe nebeneinander in den Gletscher, dann legte er seinen fast erstarrten Partner bergseitig quer hinter die beiden Pickel. Schließlich befestigte er das Seil derart an dieser "Sicherungseinrichtung", daß er auf entsprechend dosierten Zug mit dem Gefühl irgendwie gesichert zu sein, absteigen konnte.
Die Berggötter waren offensichtlich gnädig gestimmt, sonst würde die Episode ja nicht bekannt geworden sein. Jedenfalls kamen beide nach Überstehen einiger heikler Situationen und nachdem der zweite Mann letztendlich doch lieber noch nicht sterben wollte und nachdem schließlich der Nebel aufriß, wieder in sicheres Gelände.
Auf der anderen Seite bin ich mir sicher, daß unser anonymer Bergfreund keine Ahnung hat, daß das Sicherungsmittel "Toter Mann" seine Erfindung ist und die spezielle Bezeichnung sich eben aus seiner spontanen und improvisierten Aktion ableitet.
In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, daß im übrigen die meisten großen Erfindungen und Entdeckungen der Menschheit in eher zufälligen Situationen ihren Ursprung haben, bzw. keiner großen Planung zu verdanken sind.
Bestes Beispiel an dieser Stelle: Die Entdeckung der Gravitation durch Newton, die ihm bekanntlich im wahrsten Sinne des Wortes "zugefallen" ist, nämlich als er in seinem Garten einen Apfel vom Baum fallen sah und er dann diesen Vorgang nur in einen größeren Zusammenhang, nämlich den des Universums, übertragen hat.