Ein Paradies, aus dem man nicht vertrieben wird...
...das ist, frei nach Jean Paul, die Summe schöner, großer Erinnerungen für Apotheker Karl Zöll aus Nideggen, der ein intensives Bergsteiger-Leben mit der Besteigung des Mount Everest, des höchsten Berges der Welt, krönen wollte. Daß dies letztlich aufgrund widriger Witterungsverhältnisse nicht ganz gelang ist für Zöll angesichts der großen, ungeahnten und teilweise auch unerwarteten Erfahrungen, die er machen konnte, von untergeordneter Bedeutung.
Für den 54jährigen Apotheker bedeutet Bergsteigen im allgemeinen und Höhenbergsteigen im besonderen unter anderem "eine Form des intensiven Lebens unter dem Aspekt Gefahr, allerdings in überschaubarem und kalkulierbarem Rahmen." Man erlebe die Natur in ihrem umfassenden Spektrum von Urgewalt, heroischer Schönheit, aber auch in ihrer Bedrohlichkeit. Diese Begegnung, die durchaus auch zur Konfrontation führen kann, läßt den Bergsteiger Erfahrungen machen, so Zöll, die es in unserer Zivilisation nicht mehr gebe: "Die großen Werte - das Leben, die Familie, der Beruf - lernt man erst richtig schätzen, wenn man sie verlieren kann."
Die Liebe zu den Bergen war für Zöll die Liebe auf den ersten Blick: Über die Alpen hinaus lockten ihn dann die Berge der Welt, unter ihnen der Kilimandscharo, den er übrigens gemeinsam mit der Familie bestieg. Danach wurde er magisch von den ganz großen Höhen, den Achttausendern, von denen es 14 auf der Erde gibt, angezogen. 1986 gelang auf Anhieb der Gasherbrum II (8.036m) im Karakorum, dem eindrucksvollsten Hochgebirge der Welt. Der "leuchtende Berg" - so die Übersetzung von Gasherbrum - forderte allerdings auch ein nicht unerhebliches Opfer von Zöll: zwei Finger der linken Hand erfroren und mußten später teilamputiert werden. 1990 stand der Cho Oyu (8.201m) in Tibet auf dem Programm, eine "runde Sache", wie Zöll heute noch zufrieden feststellt: Im Mai stand er mit 14 Bergsteiger-Kameraden gleichzeitig auf dem Gipfel - ein Weltrekord!
Nach dem kältesten Berg der Erde (Mount McKinley in Alaska) und dem schönsten Berg der Erde (Alpamayo in Peru) ergab sich in diesem Jahr die Gelegenheit, den Mount Everest zu besteigen. Nach den bestmöglichen Vorbereitungen in der Heimat ging es dann über Kathmandu per Bus und Lastwagen durch Tibet bis zum Basislager in 5.200m Höhe. Ein Ausschnitt aus dem Manuskript eines Reiseberichtes von Zöll vermittelt in großer Dichte seine Eindrücke: "Schon im Vorfeld ein schlechtes Omen für die Expedition: Ein Teilnehmer einer benachbarten amerikanischen Expedition schoß beim Anmarsch einen Hasen, ein Frevel in dieser geheiligten Region, in der kein Lebewesen getötet werden darf. Dieses Ereignis mußte die Götter erzürnen und wirkte sich auf die Moral der gläubigen Sherpas negativ aus. Nach Lageraufbau, Akklimatisierungsgängen, folgte der zehnstündige Leidensweg mit schwerem Gepäck zwischen Basislager und vorgeschobenem Basislager (6.500m). Das hieß 25km Strecke und 1.300m Höhendifferenz, in dieser Höhenlage eine Tortur. Mein persönliches Rezept und mein mentales Doping, diese Quälerei leichter zu ertragen, ist folgendes: Bei jedem Schritt den Namen eines Familienangehörigen einschließlich Kater Felix und der Freundin des ältesten Sohnes hinauszustöhnen: Anita, Markus, Tobias, Anette, Felix ....
Oben erstmal Kopfschmerzen, Brechreiz, Appetit- und Schlaflosigkeit. Mich plagte zudem eine schwere Erkältung mit starker Bronchitis. Zur Erholung wieder ins Basislager. Wieder hoch. Ein Opfergottesdienst nach buddhistischem Ritus dort oben, um den Segen der Götter für die Expedition zu erbitten. Vordringen über eine steile Eisflanke zum Nordsattel (Chang La 7.100m), Versuch, nach 7.800m zu gelangen. Bei 7.300m treibt uns ein Schneesturm zurück, letztendlich bis ins Basislager. Dort durch Schlechtwetter - orkanartige Stürme und Schnee - lange festgehalten. Schließlich lief die Zeit davon.
Mit einem Kameraden - er mit 53, ich mit 54 Jahren die ältesten Teilnehmer der Expedition, nur zu zweit ein letzter Vorstoß zum Nordsattel, um wenigstens teures Material aus den eingeschneiten Zelten zu bergen. Von den anderen Teilnehmern bleibt eine Unmenge an Ausrüstung, Sauerstoff und Zelte oben. Fazit: der Berg war diesmal stärker. Aber auch abgesehen vom katastrophalen Wetter spielten menschliche Unzulänglichkeiten eine Rolle.
Die Sherpas und die Träger, die Sauerstoffflaschen und die Zelte weiter nach oben tragen sollten, verweigerten die Arbeit. Beeinflußt u.a. durch das geschilderte Ereignis mit dem Hasen, aber auch verunsichert durch ein Lawinenunglück, bei dem ein Sherpa (Tenzing) krankenhausreif verletzt wurde. Somit wurden auch keine Depots (Sauerstoff, Zelte), wie in 7.800m und 8.300m geplant, angelegt, auf denen wir hätten weiter aufbauen können.
Ein schwacher Trost, auch alle anderen Expeditionen von Norden (Amerikaner, Japaner, Russen), die u.a. auch Profibergsteiger in ihren Reihen hatten und mit denen wir freundschaftlichen Kontakt pflegten, bleiben ohne Erfolg. Ein Japaner starb leider am Berg. Auch an den anderen Himalaya-Riesen gab es zur gleichen Zeit Tote. Trotz allen überwiegen für mich weitaus die positiven Aspekte und Erfahrungen dieser Everest-Expedition.
Das große Erlebnis Tibet, mit seiner einmaligen Landschaft, mit seinen friedfertigen, freundlichen, gelassenen Menschen, deren Gruß Tashi delek: das Glück sei mit dir, mir noch immer in den Ohren klingt.