Dieses Jahr wollen wir hoch hinaus. Unsere jährliche gemeinsame Bergtour führt uns ins Wallis, diesmal mit einem Bergführer des DAV Summit Clubs. Das Wir besteht aus Albert, Helmut, Rene, Rolf, Volker und Walter.
Sonntag
Bei strahlendem Sonnenschein kommen wir im engen und steilen Mattertal an. Als wir in die schmale Straße von Herbriggen einfahren, läuft uns ein kerniger Naturbursche älteren Datums mit Zermatt-Ultramarathon-T-Shirt entgegen. Rolf ist schon da! Er war bereits vor einer Woche mit seiner Grumman Cheetah eingeflogen und hat eine Trainingswoche mit der Läufergruppe von Andreas Butz erlebt. Zum Abschluss dieser Woche war er noch den Zermatt-Ultra auf den Görnergrat gelaufen.
Nun zeigt er uns unser Basislager, das Hotel Bergfreund. Hier regiert die 72 jährige Rosie mit Seele und Verstand das gemütliche Haus. Nachdem wir unser Lager bezogen haben, fahren wir mit der Bahn ins nahe Zermatt. Das kleine Bergdorf wird überragt von der gewaltigen Felspyramide des Matterhorns. Zum Greifen nahe ist der markante Hörnligrat und die schroffe Nordwand. Der Gipfel liegt fast 3000 Meter über uns. So hoch der Berg sind aber auch die Preise hier in Zermatt. Das Dorf selbst ist fest in der Hand internationaler Touristen, wir sehen und hören Asiaten neben Europäern und Amerikanern.
Zurück in Herbriggen treffen wir unseren Bergführer Robert, einen alten Haudegen aus Kärnten, der aber jetzt in Rosenheim lebt. Es stellt sich schnell heraus, dass man mit ihm über alles quatschen kann, besonders wenn es sich um Schmieröl und Motorradln handelt.
Am späten Nachmittag kommt dann auch noch Albert ins Hotel, der am Vortag ebenfalls Zermatt gelaufen ist, allerdings „nur“ Marathon. So sah er sich gezwungen, heute Nachmittag nochmal das fehlende Ultra-Stück auf den Görnergrat hinauf nachzuholen, um mit Rolf gleichzuziehen. Später sitzen wir alle zusammen beim gemütlichen Abendessen und Robert erzählt aus seiner Sturm- und Drangzeit in Kärnten. Er trieb so manchen Unsinn, nicht nur als Bauernbursche und Bergführer, sondern auch als Jäger und Mopedfreak. Beim Erzählen zieht er sich immer wieder eine Prise Schnupftabak rein.
Montag
Nach dem Frühstück fahren wir mit der Gondel von Zermatt zum Trockenen Steg auf ca. 3000 Meter. Eine kurze Wanderung bringt uns zur Gandegghütte. Dies ist eine kleine, privat geführte gemütliche Hütte, die aber unter der Wasserknappheit in dieser Höhe leidet. Da keine Quelle existiert, wird Regen- und Schneewasser aufgefangen und in einem Tank gespeichert. Der Weg zur Toilette führt einmal ums Haus herum, der Waschsalon besteht aus einem Rohr, das aus der Hauswand ragt und tröpfchenweise Flüssigkeit hergibt. Eine Flasche Trinkwasser kostet hier 14 Franken….
Nachmittags üben wir unter Roberts Anleitung Steigeisengehen auf einem nahen Schneefeld sowie das Abfangen eines Sturzes auf einem Schneehang. Zurück an der Hütte lernen wir Knotentechnik und Flaschenzug, wobei sich Volker, der das alles schon kennt, diskret zurückhält. Albert läuft abends nach dem Essen noch seine Runde durch die Berge und kommt erst zurück, als es schon fast dunkel ist.
Dienstag
Heute Morgen fahren wir mit der Gondel zum Gipfel des kleinen Matterhorns, 3883 Meter. Oben steigen wir aus, durchqueren in einem Felstunnel die Bergspitze und erreichen auf der Südseite ein Sommerskigebiet. Anstatt Skier ziehen wir unsere Steigeisen an und marschieren zum Breithorn, das noch etwa 300 Meter höher liegt. Das Gehen am Seil erweist sich als Konzentrationsübung, da man immer exakt den Abstand zum Vordermann einhalten muss und nicht mit Eisen auf das Seil treten darf. Auch die Kommunikation in der Gruppe wird dadurch gehindert. Beim Aufstieg spüre ich bereits die dünne Höhenluft: In der Gipfelregion herrscht nur noch ein Sauerstoff - Partialdruck von 60 Prozent gegenüber Meereshöhe.
Nach etwa zweieinhalb Stunden erreichen wir den 4164 Meter hohen Gipfelgrat, der überwächtet ist. Robert ermahnt uns, nicht zu nahe an die Kante zu treten, um nicht mit einer Portion Firnschnee in die Tiefe zu rauschen.
Hier oben öffnet sich ein grandioser Blick zum nahen Matterhorn, das mittlerweile fast schneefrei ist. In der Ferne erkennen wir im Südwesten den Mont Blanc. In östlicher Richtung liegen weitere Viertausender, wobei Castor, Pollux, Lyskamm und dahinter Monte Rosa hervorstechen. Im Norden glänzt das Dreigestirn Eiger, Jungfrau und Mönch.
Nach der Besteigung des Breithorns fahren wir noch hoch zur Aussichtsplattform des Kleinen Matterhorns hoch, die über einen Aufzug im Felstunnel zu erreichen ist. Eine so starke bauliche Vergewaltigung eines Berges habe ich noch nicht erlebt und mir kommen Zweifel über den Sinn dieser touristischen Maßnahmen.
Da man diese exponierte Stelle auch als Fusskranker erreichen kann, sehen wir hier eine bunte Nationalitätenmischung. Zurück zur Gandegghütte läuft Albert noch bis zur Dämmerung.
Mittwoch
Am nächsten Morgen steigen wir zum Theodulgletscher ab. An den Schuttablagerungen der Moränen erkennt man, wie dick der Gletscher noch vor wenigen Jahren gewesen ist…
Beim Abstieg schramme ich den Fels und hole mir einen kleinen, aber unerheblichen Lackschaden am Schädel. Unten angekommen, queren wir den Gletscher bis zur Spaltenzone. Dabei entdeckt Volker ein komplettes Snowboard, das er mitnimmt. An einem Eisabbruch üben wir Abseilen und Mann hochziehen mit dem Flaschenzug. Die Sonnenstrahlung und Hitze im Gletscher ist enorm, ohne Gletscherbrille und Sonnenschutz geht nichts. Anschließend klettern wir noch an der Eiswand und Volker betätigt sich als Sammler: Er durchstöbert die Gegend, wobei er noch Schätze im Eis findet wie einen antiken Skiteller und eine Kunststoffbrille von 1960. Dieser Bereich wurde wohl von den Italienern als Müllplatz missbraucht!
Unter wechselnder Führung steigen wir in zwei Seilschaften den Gletscher aufwärts, wobei Volker sein sperriges Snowboard mitschleppt. Einmal breche ich an einer Gletscherspalte bis zum Knie ein, kann mich aber problemlos rausarbeiten. Das zeigt, wie trügerisch so ein Gletscher sein kann.
Schließlich erreichen wir wieder die Gandegghütte. Mit der Gondel fahren wir ab nach Zermatt und genießen die zivilisatorischen Errungenschaften in unserem Basislager Hotel Bergfreund.
. Donnerstag
Nach dem Frühstück fahren wir nach Saas Fee (Saas = Stein). Zuvor verabschieden wir uns vorläufig von Rosie, die uns Glück wünscht und mit allen Heiligen sprechen will und auch mit deren Chef, damit wir wohlbehalten von unserer Bergtour zurückkommen.
Das Allalinhorn mit weißer Haube dominiert das Tal, rechts daneben die Mischabel-Gruppe (Mischabel = Mistgabel). Wieder geht es mit der Gondel auf 3000 Meter Höhe, mit der unterirdischen Zahnradbahn Alpin Metro fahren wir weiter bis zum Sommerskigebiet. Von hier steigen wir auf zum Allalinhorn, 4027 Meter. Erst passieren wir ein steiles Firnfeld, dann queren wir den Feegletscher aufwärts und überschreiten eine große Spaltenzone, die aber fast vollständig zugeschneit ist.
Da ich erst vor wenigen Tagen eine Grippe überstanden habe und entsprechend eingeschränkt konditioniert bin, bestimme ich als Langsamster der Seilschaft das Tempo. Oben angekommen führt ein schmaler, ausgesetzter Grat zum Gipfel. Dieser Grat mit den tiefen Abgründen zu beiden Seiten verursacht mir ein flaues Gefühl im Magen…
Am hölzernen Gipfelkreuz angekommen öffnet sich ein fantastischer Blick: In direkter Nähe ragt das Rimpfischhorn (= Rindviehhorn) wie eine Haifischflosse auf, linke Seite dunkler Granit, rechte Seite blendendes Eis. Dahinter die Viertausender-Prominenzen Castor, Pollux, Lyskamm, etwas weiter Monte Rosa, Dom, Eiger, Jungfrau, Mönch, auf der anderen Seite das Matterhorn und die formschöne Pyramide des Weisshorns.
Der Abstieg über die Steilwand erfordert nochmals höchste Konzentration. Anschließend wandern wir weiter zur Britanniahütte und treffen unterwegs auf eine kleine Steinbock-Herde. Ein Jungtier läßt uns bis auf etwa 15 Meter herankommen.
Die Britanniahütte erweist sich als deutlich größer und komfortabler als die Gamsegghütte, aber auch hier herrscht Wassermangel. Wie der Name schon sagt, wurde diese Hütte vom britischen Alpenverein erbaut.
Freitag
Wecken um 2:45 h. Eiliges Frühstück, Aufbruch bei sternenklarer Neumondnacht mit minus 15 Grad. Im Lichtkegel unserer Stirnlampen tappen wir den Felspfad zum Gletscher abwärts. Da schwindet das Licht meiner Lampe und fällt aus!
Aber zum Glück helfen die Kameraden: Rolf gibt mir seine Stirnlampe, Volker übernimmt meine und verkabelt sie mit seiner Powerbox. Danke Freunde!
Am Gletscher angekommen müssen wir einen brüchigen Eiswasser-Sumpf passieren, dann geht es vorbei an einer Spaltenzone, deren Ausmaß und Tiefe wir bei Nacht nicht wirklich erkennen können und überklettern mit Steigeisen ein Blockfeld. Das ist für uns Anfänger sehr gewöhnungsbedürftig.
Schließlich bricht die Dämmerung an. Kurz vor 6 Uhr sendet die Sonne erste Strahlen über den Horizont und entflammt die nahen Berggipfel. Ein phantastisches Naturtheater! Wir stehen auf dem Gletscher zwischen Rimpfischhorn und Strahlhorn und staunen, wie die Bergwelt um uns mit Licht übergossen wird.
Dann treffen wir zwei Mädel, die mit uns aufgebrochen waren, aber nun zum schwierigen Rimpfischhorn weiterziehen.
Auch wir steigen weiter gletscheraufwärts, bis wir den Adlerpass erreichen. Hier öffnet sich ein Tiefblick nach Italien. Weiter aufwärts, bis wir um etwa 9:30 Uhr den ausgesetzten Gipfelgrat erreichen. Links und rechts fallen steile Firnflanken ab, nur ein schmaler Pfad auf dem First führt nach etwa 20 Metern zum Gipfelkreuz. Robert lässt mich erst mal verschnaufen, dann tapse ich mit weichen Knien zum höchsten Punkt von 4190 Metern. Hier klammern sich die weniger Mutigen am Edelstahlkreuz fest. Auch hier breitet sich vor uns wieder das prachtvolle Panorama dieser extremen Bergwelt aus.
Die eigentliche Gipfelrast wird dann etwas unterhalb des windigen Grates gehalten. Da ich schon etwas erschöpft bin, reichen mir die Freunde Energieriegel und Drops, um wieder aufzutanken. Wie gut, Freunde zu haben!
Der lange Abstieg über den Gletscher muss immer am Seil gegangen werden. Das heißt, jeder Schritt muss konzentriert gesetzt werden, Gespräche sind wegen des Seilabstandes nur eingeschränkt möglich. Und je tiefer wir kommen, desto mehr brennt die Sonne, denn der Gletscher wirkt wie ein Parabolspiegel. In der Wärme löst sich das Eis und mehrfach erleben wir, dass Stein- und Eislawinen die Steilhänge herabrumpeln. Ich schwitze , als wäre ich in der Sauna, und die Gletscherbrille rutscht auf schweißnassem Nasenrücken immer wieder abwärts…
Nach etwa 10 Stunden erreichen wir wieder die Britanniahütte und bestellen ein Radler, das mit lautem Zischen in der Kehle verschwindet.
Albert, Volker und Rene, die diese Tour mit angezogener Handbremse gegangen sind, entschließen sich für den Talabstieg zu Fuß. Das sind dann 1400 Höhenmeter aufwärts und etwa 3000 Meter abwärts. Aber diese Talwanderung ins Grüne mit Bergblumen ist ein optischer Genuss nach den Tagen in Fels, Schnee und Eis! Helmut, Rolf, Rudolf und ich schenken uns dieses Oberschenkeltraining und wandern zur Bergstation der Gondelbahn. In Herbriggen treffen wir wieder zusammen und die Freunde berichten von dem wunderschönen Abstieg ins blumenreiches Tal.
Auch an diesem Abend wird Albert seinem Ruf gerecht und läuft noch eine Runde im Tal. Sein Kommentar anschließend dazu: „Das fühlte sich heute nicht so gut an…“
Bei einem köstlichen Abendessen und vielen Erzählungen geht im Hotel Bergfreund eine spannende und erlebnisreiche Bergtourenwoche zu Ende.
.