Datum: 19. 09 2007
Autor: Martin Schmidt
* Raufochsen: Die Bewältigung steiler Zustiege (gerne auch Geröll- und Schutthalden) unter großem Fluchen, Stöhnen und Schnaufen.
** Runterbomben: Weites Stürzen im alpinen Klettergelände mit mehrmaligem Anschlagen an den Fels. Unbedingt zu vermeiden.
Sonnige Südwände
Es ist spät im September, Arne und ich haben unsere Klausuren hinter uns gebracht und ein stabiles Hoch kündigt sich an. Es ist Zeit für ein verlängertes Wochenende in den Tannheimer Bergen um eine verkorkste Alpinsaison zu retten.
Die nächtliche Anfahrt gestaltet sich kurzweilig, vor allem für Arne, der in Ludwigshafen einschläft und im Tannheimer Tal wiederaufwacht. Nach ein paar kurzen Stunden Schlaf auf dem Parkplatz des Gimpelhauses starten wir gegen sieben unseren Aufstieg.
Wir wollen mit gut gesicherten Routen beginnen um uns an Ausgesetztheit und Luft unterm Hintern zu gewöhnen. Die Routen an der Zwerchenwand , dem rechten Nachbarn des Gimpel sind recht neu und plaisirmäßig abgesichert. Die Linie 2005, fünf Seillängen lang und mit Schwierigkeiten bis 6- (meist 5+), erreichen wir nach ungefähr anderthalb Stunden Zustieg.
Weitere anderthalb Stunden lang genießen wir die schöne, leichte Kletterei und sind, noch eine halbe Stunde später, nach dreimaligem Abseilen wieder am Einstieg. Gut aufgewärmt und hoch motiviert versuchen wir uns als nächstes an Miss Nesselwängle (7-/AO, frei 8), einer recht schwierigen alpinen Sportkletterei. Nach dem Einstiegsüberhang übersehe ich einen Stand und hänge die ersten beiden Längen unbeabsichtigt (und unproblematisch) aneinander, dem 60m Seil sei Dank. Arne führt die nächste Länge gewohnt unaufgeregt und bald stehen wir vor der Schlüssellänge mit mir am scharfen Ende des Seils. Die 8er Stelle wird ohne langes Fackeln genullt (mit Hakenhilfe klettern, A0) aber der Rest der Seillänge (6+/7-) mit technisch anspruchsvoller, kleingriffiger Wandkletterei bringt mich mehrmals an die Sturzgrenze. Arne genießt den Nachstieg und punktet danach die letzte Länge 6+ problemlos.
Ein kleiner Stau an der Abseilpiste lässt uns auf dem Gipfelkamm der Zwerchenwand rasten, mit tollen Blicken ins Alpenvorland und in die Lechtaler- und Allgäuer Alpen.
Müde und mit dicken Unterarmen steigen wir ins Tal, versorgen uns mit kühlem Bier in ausreichender Menge und werfen den Kocher an.
Am nächsten Morgen stehen wir, nach den gewohnten 75 Minuten Zustieg, unter der Südwand der Roten Flüh. Die Südwestkante (7-) steht auf dem Programm.
Arne muss unaufgewärmt die erste Länge (6+) führen, übersieht ebenfalls einen Stand und sichert mich an einem geklebten Zwischenhaken nach. Die Länge ist abweisend, das Gestein abwärts geschichtet und kleingriffig. Schwer beeindruckt erreichen wir den nächsten regulären Stand und ich mache mich an die nächste Länge. Eine schwere Einzelstelle, ein Überhang, Gott sei dank, und danach wird es leichter. In der fünften Länge dann die schwerste Stelle, technisch anspruchsvoller, glatter Fels der den ganzen Fußtechniker fordert. Fluchend und schwitzend wünsche ich mir mehr Überhänge, ich muss mehrmals ruhen und es dauert lange bis ich endlich "Stand" rufe. Bald warten nur noch die drei Austiegslängen der Gipfelwand auf uns. Mit zerrüttetem Nervenkostüm bin ich ganz froh, dass Arne mit Vorsteigen an der Reihe ist. Obwohl offiziell "nur" 6- gehen die Längen ganz schön in die Arme und wegen der Reibungstritte auch in die Waden. Nach 10 Seillängen Kletterei stehen wir nachmittags um Zwei auf dem Gipfel der Roten Flüh. Schlauerweise ohne Wasser in die sonnige Südwand eingestiegen, beschleunigt der Durst unseren klimpernden Abstieg zu den Rucksäcken erheblich. Zu müde um noch in eine Zweitroute einzusteigen machen wir eine lange Pause und steigen früh zu Tal, denn für den nächsten Tag haben wir Großes geplant.
Schattige Nordwand
Die Gimpelnordwand präsentiert sich kühl und abweisend unseren Blicken. Nach anderthalb Stunden Aufstieg zum Füssener Jöchle können wir bald die 500 Meter hohe Wand ehrfürchtig betrachten. Nur drei sanierte Routen zeugen von der Abgeschiedenheit der Wand. Während sich auf der Südseite an schönen Wochenenden halb Schwaben tummelt bekommt man auf der Nordseite Einsamkeitsgarantie. Wir wollten zur Schertelplatte (6+) der einzigen gemäßigten Route in der Wand die mit Bohrhaken saniert wurde. Zwei Stunden und fünfundvierzig Minuten dauert der Zustieg, bis wir um Viertel nach Acht die Seile auspacken.
Arne möchte dass ich die 6+ Länge führe, halst sich damit aber alle schwierigen Längen im oberen Teil der Wand auf. Arne beginnt mit der ersten Länge. Fünfter Grad und spärliche Sicherungen machen den alpinen Charakter der Route schnell klar. In der zweiten Länge (6+) konzentrieren sich die Schwierigkeiten auf eine Einzelstelle, nervös und unter Zeitdruck greife ich in den Haken und folge danach einer ausgesetzten Verschneidung an den Beginn der Namensgebenden Platte. Über sechzig Meter hoch, steil und glatt wartet die nicht selbst abzusichernde Platte auf einen nervenstarken Vorsteiger wie Arne. Offiziell nur 6-, einigen wir uns nach der beeindruckenden Vorstiegsleistung Arnes auf "6+ für Plattenfreaks". Die zweite Länge der Schertelplatte ist leichter, dafür nass und führt uns an eine Kante und damit in den oberen Teil der Wand. Zwei leichte Längen werden schnell ohne Zwischensicherung bewältigt, dann erreichen wir die Schwierigkeiten im oberen Teil. Bohrhaken sind nach der Schertelplatte Mangelware und Arne führt in der ersten 5+ Länge Friends und Klemmkeile ihrer Bestimmung zu. Danach eine 4+ (Klassikerbewertung; für uns eher 5) für mich und die zweite 5+ Länge für Arne. Diese Länge bewerten wir später als die psychisch anspruchsvollste der Route. 55 Meter lang mit, vier Haken ausgestattet, ohne Möglichkeiten für mobile Sicherungsmittel zieht die Länge eine ekelhafte Verschneidung herauf.
Die enorme Seilreibung tut ihr übriges um des Vorsteigers Nervenkostüm zu ramponieren.
Ich kann Arne schon nach wenigen Metern nicht mehr sehen und muss lange warten bis das erlösende "Ich hab Stand!" erklingt.
Die letzte reguläre Länge (3) ist zwar auch unterbewertet aber daran stören wir uns so kurz so dem Ziel nicht mehr. Noch zwei leichte Längen, ohne Zwischensicherungen oder Standplätze, im brüchigen 2er-Gelände, dann packen wir die Seile ein und eilen seilfrei zum Gipfel.
Mit ernorm gestärktem Selbstvertrauen stehen wir nach sieben Stunden und
700 Klettermetern auf dem Gipfel des Gimpels.
Mit Anstrengungen von drei Tagen Alpinklettern in den Knochen (und vor allem den Knien) stolpern wir zu Tal, halten kurz auf dem Gimpelhaus inne um unseren Flüssigkeitsverlust mit 2 Halben Radler zu bekämpfen, ein freundlicher Herr aus Sachsen fährt uns nach Grän und nach elf Stunden Tour erreichen wir das Auto.
Eine Katzenwäsche im nahe gelegenen Bach gibt uns das Gefühl in die Zivilisation zurückzukehren und Brötchen mit Käse, begleitet von frischen Tomaten und Gurke aus dem Supermarkt stärken uns für die Heimfahrt. Auf der Rückfahrt planen wir unsere nächste Tour.
Der zweite Trip
Mitte Oktober verheißt der Wetterbericht mal wieder Gutes. Arne ist inzwischen Dlp. - Ing. und ich, ich hab einfach freitags frei und wir beschließen dass noch ein Kletterwochenende vor dem Winter (Kalt; muss man mit Eisklettern und Skifahren rumbringen.) nicht schaden könnte.
Die Nacht war viel zu kurz, nur zwei Stunden Schlaf für jeden, dementsprechend gebremst ist unser Tatendrang am ersten Tag. Die Via Anita (5+) am Hochwiesler soll unseren müden Gliedern Leben einhauchen. Das Topo zeigt sich jedoch wenig informativ und nach vier Längen verirren wir uns in die Ausstiegsvariante der Alten Südwand. Diese ist mit 5+ etwas schwerer als der obere Teil der Via Anita also nehmen wir den Verhauer gelassen hin.
Das Beste an den Routen am Hochwiesler ist, neben der Kletterei natürlich, sowieso die beeindruckende Abseilpiste. Man seilt über eine Kante und wird sofort mit 100 Metern Tiefblick konfrontiert. Der Größte Teil der Abseilstrecke verläuft im überhängenden Gelände, weit weg von der Wand.
Als zweite Route des Tages gehen wir die Direkte Südwand (5+/A0) an der Roten Flüh an.
Von den vielen Fünfen im Topo geblendet unterschätzen wir die Tour total. Die ersten vier Längen bis 5+ können wir noch genießen, doch mit Beginn des Kaminsystems im oberen Wandteil ist der Spaß definitiv vorbei. Wir schinden und klemmen uns mühsam durch glatte, spärlich gesicherte Kamine hinauf, fluchen auf unsere Rucksäcke und lernen auf die harte Tour dass der fünfte Grad in klassischen alpinen Verschneidungskaminen die Hölle bedeuten kann. Die Schlüsselstelle ist auch genullt abgespeckt und schwierig zu Klettern und Bohrhaken sind davor und danach sparsam gesetzt. Am Gipfel angekommen ziehen Wolken auf, der Wetterbericht hat eine kleine Störung für die Nacht vorhergesagt weswegen wir beschließen uns eine Übernachtung auf dem Gimpelhaus zu gönnen. Drei Halbe Bier und ein Abendessen im Warmen runden den Tag ab.
Am nächsten Morgen stiefeln wir durch dichten Nebel zur Judenscharte. Wegen des durchwachsenen Wetters haben wir uns den Westgrat (5) am Gimpel vorgenommen.
Seinerzeit als unsere erste Alpintour begonnen und noch vor dem ersten Stand im Schneegestöber abgebrochen, hatte ich diese Tour später dreimal mit verschiedenen Partnern begangen, aber für Arne war die Rechnung noch offen. Den Schwierigkeiten voll gewachsen laufen wir im Nebel die fünf Längen der Tour auf den Gipfel. Gegen Mittag verziehen sich die Wolken und wir steigen motiviert in die Schusterführe (6+), ein Südwandklassiker am Hochwiesler. Das schöne Wetter hat weitere Kletterer angelockt und die Seilschaft vor uns hilft uns mit Zurufen bei der Wegfindung und mit gelegentlichem Steinschlag beim Bewahren unseres Respekts vor dem Berg. Die Route selbst ist wunderschön, elegante Kletterei mit Bohrhaken wo sie hingehören, der Rest gut mit Keilen zu sichern. Noch vor dem Abseilen beschließen wir dass diese Route bald eine zweite Begehung verdient hat.
Zu unchristlicher Zeit machen wir uns am nächsten morgen auf ins Kleinwalsertal um dem Rummel der Tannheimer Südwände zu entfliehen. Zweieinhalb Stunden Zustieg durchs wunderschöne Wildental mit seinen vielen Wasserfällen und die nordöstliche Ausrichtung der Tour garantieren, zumindest im Oktober, Abgeschiedenheit und Ruhe. Die Route d`r Lugabeitl (6-), wer in bayrischer Mundart bewandert ist möge seinen Übersetzungsvorschlag bitte an den Alpenverein Schleiden schicken, am Liechelkopf
bietet genussvolle, gut gesicherte Kletterei ohne Trubel. Der Zustieg ist lang und mühsam; führt zuletzt weglos über steile Schutthalden. Arne prägt den Begriff des Raufochsens.
Obwohl um kurz nach Acht am Einstieg angekommen scheint die Sonne 50m über uns nur kurz in die Tour um dann ums Eck zu verschwinden. Wir haben uns vom Wort Ost in Nordostwand täuschen lassen. Jede Seillänge wird durch intensives Händewärmen mehrmals unterbrochen und die sonst so willkommenen Standplätze bedeuten jetzt nur Auskühlung durch Bewegungsmangel. Wir begegnen dem ersten Eis dieses Winters.
Groß ist da die Freude als wir unsere Leiber über die Gipfelkante auf die Südseite wälzen.
Wir bleiben lange im Gras liegen genießen Sonne und Fernsicht bis in Gletschergipfel der Ötztaler Alpen bevor wir uns an den Abstieg machen.
Gemütlich schlendern wir zu Tal, machen Fotos von den Wildenfällen, schließlich kommt bald der Winter, und genießen den, für uns, letzten sonnigen Herbsttag in den Alpen.
Es wird bald Zeit mit dem Eisklettertraining zu beginnen.