Am 2. Januar ging es mit dem ersten Eifelexpress des Tages zum ICE nach Ulm. Wegen einer von der DB nicht erwarteten Jahreszeit (Winter) verschob sich unsere Ankunft in Oberstdorf um eine Stunde. Das tat unserer freudigen Erwartung und schließlich auch dem herzlichen Empfang durch den Rest der Gruppe im Bahnhof Oberstdorf keinen Abbruch (bei 32€ für die Hin- und Rückfahrt darf man nicht meckern).
An der Talstation des Skigebiets Hoher Ifen verlassen wir am Gasthof Auenhütte den Bus und damit auch die Zivilisation. Erst über die Weihnachtstage war der Schnee ins Allgäu gekommen, in unserem Gebiet dann aber in zwei Schüben gleich 70cm auf den nassen und ungefrorenen Boden. Theorie und Praxis des Schneedeckenaufbaus werden uns von nun an begleiten – und ein Geräusch. Das Geräusch ist für uns alle, bis auf Martin und Olga, neu. So ein schmatzendes Knirschgeräusch wie Flip-Flops aus Hartplastik mit Sägezähnen. So neu wie das Gefühl von Schneeschuhen am Fuß.
Die ersten Schritte sind noch ungewohnt, doch schon nach wenigen Schritten geht es gut vorwärts auf dem plattgetretenen und nur leicht ansteigenden Pfad zur Melköde. Dann beginnt der Anstieg zur Schwarzwasserhütte und mit dem Anstieg kommt die Freude über jedes zu Hause gelassene Stück Ausrüstung. Je schwerer Mensch und Rucksack auf dem Schneeschuh lasten, desto tiefer der Einbruch bei jedem Schritt im Tiefschnee. Auf leicht verharschtem Schnee können unsere sportlich schlanken Damen sanft und ohne Einbrechen dahinschreiten, während ich bei jedem Schritt 10cm einsinke. Unfreiwillig wird ein Mitglied unserer Gruppe am nächsten Tag den ultimativen Einsinktest durchführen. Ein Fuß mit und ein Fuß ohne Schneehschuh: Ohne geht es bis zum Knie rein – bei jedem Schritt! Also dann doch lieber nur 10 cm.
Mit dem Erreichen der Hütte ist das Rucksacklastenproblem dann für die nächsten Tage erledigt: Nur noch das kleine Tages- und Sicherheitsgepäck wird uns begleiten. Beim legendären Kaiserschmarrn der Hüttenwirtin heißt es aber Maß halten und so spielt sich der Rest der Tage auf der Schneedecke ab (und selten darunter – außer zu Übungszwecken).
Die Hütte ist voll belegt – wir haben aber unseren eigenen Tisch „Eifel“, an den wir zehn (Schneeschuh-)Bergsteiger genau passen. Und so ist auch die Atmosphäre in der Gruppe: Es passt! Jedes Essen, jede Vorbesprechung, Planung oder Reflexion wird vollzählig und offen abgehalten. Martin gibt als Ziel vor: „Am Ende der fünf Tage könnt ihr nicht selber eine Schneeschuhtour planen oder gar alleine durchführen. Aber ihr seid dann kundige und kritisch mitdenkende Teilnehmer in einer geführten Tour.“ In den Bergen unterwegs zu sein, so lerne ich, bedeutet immer auch selber Verantwortung zu übernehmen - auch wenn ein Führer dabei ist. Sich an Risikoabwägungen zu beteiligen und durch aktive Planungsteilnahme Erfahrungen zu sammeln sind weitere Inhalte. Wie genau gibt der Lawinenbericht die tatsächliche Situation vor Ort wieder? Wie stimmen Vorhersagen zu Wetter und Schneedeckenaufbau mit der Wirklichkeit überein? Wie kann ich (als Anfänger) selber Aussagen nachvollziehen (noch nicht selber entscheiden und bewerten). Und selber Verantwortung zu übernehmen kann auch bedeuten, einen anderen Routenvorschlag ins Gespräch zu bringen oder sogar eine Tour nicht mitzugehen. Dazu kam es aber zum Glück nicht, da Martin zwar unsere Ausrüstung bis zur Grenze (manchen Schneeschuh auch darüber) und unsere Kondition ganz ordentlich (er kannte uns alle ja von der Marathonwanderung) austestete – aber nicht in riskante Hänge mit uns stapfte.
Am ersten vollen Tag auf der Schwarzwasseralm war das Wetter besser als erwartet und so konnte die erste Tour in Angriff genommen werden: Von der Schwarzwasserhütte (1.620 m. ü. NN) zum Gerachsattel (1.752 m. ü. NN) und über den Hählekopf (2.058) zur Ifersguntenalpe (1.750). Von da über den markierten Korridor durch das ganzjährige Wildschutzgebiet „Hoher Ifen“ über die Jagdhütte wieder zur Melköde (1.346), die wir ja schon vom Aufstieg zur Hütte kannten. Hier wurde dann auch der erste Schneeschuh wg. Rahmenbruchs zwischengelagert. Auf vereisten 30°-Hängen braucht es alpine, flexible Schneeschuhe mit guter Seitenführung (Metallzähne). Ich kann nur empfehlen, hier auf die Verleihmodelle der Sektion zurückzugreifen. Das gilt in besonderer Weise auch für die LVS-Geräte: Die Sektion hat da beste Qualität im Verleih.
Schneeschuhe (der richtigen Qualität) geben die technische Grundlage für (theoretisch) absolut freie Streckenwahl. Wo Schnee ist kann man gehen (wir sind Hänge bis 35° problemlos hochgekommen – steiler haben wir nicht getestet.) Naturschutzauflagen wie jahreszeitliche Begehungsverbote und grundsätzliche Rücksichtnahmen müssen natürlich eingehalten werden. Entsprechend des Schneedeckenaufbaus muss eine gefahrlose Route gewählt werden – aber alles unabhängig von Wegen, die es im Sommer wohl so gibt. Schon eine Form von Freiheit und vor allem: Schneeschuhwandern ist die perfekte „Saisonverlängerung“ des Bergwanderns. Hatten wir doch in den letzten Jahren manchen verregneten Sommer mit gar nicht so vielen guten Tourentagen in den Bergen, so schenken Schneeschuhe viele Tourentage ohne Gewitterwahrscheinlichkeit bei oftmals bester Fernsicht und stabiler Wetterlage.
Den zweiten vollen Tag auf der Hütte nutzten wir größtenteils für die sehr intensive LVS-Ausbildung. In Zweierteams mussten wir „verschüttete“ LVS-Geräte orten und bergen. Anfänglich waren wir trotz großer Anstrengung zu langsam: Länger als 15 Minuten sollte es inklusive Ausgraben nicht dauern, dann schwinden die Chancen der Verschütteten gravierend. Organisation ist alles: Bei drei suchenden Personen macht es spürbar (und an der Zeit ablesbar) schon Sinn, dass eine Person mit Übersicht die Leitung übernimmt und die eigentlichen Sucher koordiniert. Mit jedem neuen Durchlauf wurden wir schneller und sicherer in der Handhabung der Ortungsgeräte und systematischer im Ablaufen der „Lawine“. Zum Abschluss des Tages (und um wieder richtig warm zu werden) stiegen wir von der Schwarzwasserhütte noch unter die Ochsenhofer Scharte (1.850) auf.
Der nächste Tag (5. Januar) war dann leider auch schon der letzte volle Tag auf der Hütte und dank des Kaiserwetters der Höhepunkt. Von der Schwarzwasserhütte (1.620) über den westlichen Rücken zum Gipfelkreuz des Steinmahdl (1.950). Wegen der riesigen Schneewechte auf dem Gipfelkamm mussten wir die steile Südwestflanke kreuzen. Hier wären ungeeignete Schneeschuhe (unflexibel und ohne massive Seitenführung) wirklich gefährlich geworden. Der anstrengende Aufstieg wurde durch einen grandiosen Fernblick von der Schwäbischen Alb im Norden über den Bregenzer Wald im Westen bis zu den Lechtaler Bergen im Süden belohnt. Zum Greifen nah das Skigebiet Diedamskopf, das – wie auch unser Verpflegungspunkt „Gasthof Neuhornbachhaus“ - zur Gemeinde Schoppernau im Bregenzer Wald gehört. Wir hatten mit dem Gipfel soeben auch die Hauptwasserscheide Schwarzes Meer (über die Iller in die Donau) Nordsee (über die Bregenzer Ach in den Rhein) überschritten. Der Abstieg ins Tal der Althornbachalpe war sehr beeindruckend. Nur eine Hasenspur zeugte davon, dass seit dem weihnachtlichen Schneefall überhaupt ein Lebewesen dieses Tal vor uns betreten hatte. Eine Dünenlandschaft wie in der Sahara fesselte uns: Durch die Rinnenform des Tals waren vom Wind große Mengen des Schnees von den Gipfeln und Kämmen in die Mulden verfrachtet worden und durch die Südausrichtung immer wieder von der Sonne angeschmolzen und in den kalten Nächten überfroren. Lage um Lage waren so die weißen Dünen entstanden. Schneedeckenaufbau wie vom Künstler. Das waren Momente nicht nur für die Schatzkiste unserer Sektion, sondern auch für die Schatzkiste des eigenen Herzens. Die Rast am Neuhornbachhaus (1.650) war dann von der Aussicht und der glückseligen Stimmung in der Gruppe her schön, die Verpflegung war nicht empfehlenswert. Zurück ging es über das - bei Skitourengehern, die die Infrastruktur des Diedamskopfes nutzen - sehr beliebte Neuhornbachjoch (1.830) und den schon bekannten Gerachsattel zurück zur Schwarzwasserhütte. Über die für die Abstiege entwickelten kreativen Techniken unserer Gruppe, die Schwerkraft und die Gleiteigenschaften der Kleidung zu nutzen, möchte ich lieber den (Schnee-)mantel des Schweigens breiten ;).
Der Dreikönigstag war dann der Moment des Abschiedsnehmens. Routiniert wurden ein letztes Mal die LVS-Geräte getestet und der Rückweg über die Melköde angetreten. An der Auenhütte trennten sich dann die Mitglieder der Gruppe für den Nachhauseweg.Und wir mussten die Schneeschuhe von unseren Schuhen trennen. Irgendwie fehlte was an den Füßen – und das vertraute Knirschgeräusch der letzten Tage war auch weg. Ich hoffe, das Geräusch bald wieder in den Ohren und die Schneeschuhe an den Füßen zu haben. Vielleicht bei einer winterlichen Hüttentour? Vielleicht wieder mit einer so netten Gruppe aus unserer Sektion?
Auf jeden Fall sehr gerne wieder mit Martin, der uns diese besondere Erfahrung sicher ermöglicht hat.