Die Sonne scheint erbarmungslos. Der Schweiß rinnt in Strömen in Richtung Äquator (meines Körpers). Seit Stunden steige ich über hell klingendes, poröses Gestein nach oben. In dieser Ostsüdost-Route wird die Hitze der Sonnenstrahlen vielfach reflektiert. Warum mache ich das überhaupt? Warum muss ich einen Besuch bei des Teufels Großmutter machen und nachschauen, ob der Ofen in ihrer Küche noch in Betrieb ist? Ich könnte so schön faul am Strand liegen und mir bei einer gut gekühlten Piña Colada die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Aber statt dessen plage ich mich hier am 28. Breitengrad in der Lava ab. Ich will nach oben; genauer gesagt, auf 3718 Meter. Der Vulkangipfel des Pico del Teide ist mein Ziel. Mit dem Auto bin ich von der Höhe 0 m bis auf 2200 m in die Cañadas gefahren, einer Caldera von ca. 16 Kilometer Durchmesser; dies ist eine futuristische Mondlandschaft, wo Filme wie "Star Wars" und der "Planet der Affen" gedreht wurden. Hieraus erhebt sich noch einmal 1500 m hoch der kegelförmige Vulkanberg selbst. Die benötigte Bergausrüstung ist eine etwas andere als bei Bergbesteigungen ähnlicher Höhe in den Alpen. Da normalerweise nur im Winter bis etwa April Schnee- und Eisauflage anzutreffen ist, können jetzt im Oktober die Steigeisen getrost zu Hause bleiben. Für den oberen Teil benötigt man natürlich Pullover und Windjacke, da die Temperaturen am Gipfel auch an guten Tagen bis unter den Gefrierpunkt abfallen können. Hier ist aufgrund der Bergform weniger Klettertechnik als vielmehr Ausdauer gefragt. Von der Straße, die quer durch den Krater des Ur-Vulkans (300.000 Jahre alt) führt, geht es zunächst auf einem relativ schwach ansteigenden Weg in Serpentinen los. Nachdem nach einigen Kehren die letzten Zivilisationszeichen wie Straße und Autolärm verschwunden sind, umgibt den Wanderer eine unendliche Ruhe, die nur durch das helle Knirschen der Lava unter den Bergstiefeln rhythmisch unterbrochen wird. Diese Akustik, verbunden mit dem optischen Erscheinungsbild der Landschaft, den hellgelben, den ockerfarbigen und den grauschwarzen Lavafeldern, erweckt den Eindruck, man befände sich auf einem anderen Planeten. Nach ca. 300 Hm führt der Weg durch ein Feld riesiger Lavakugeln mit einem Durchmesser von bis zu fünf Metern, den "Huevos del Teide" (Teide-Eier), die schwarz glänzend über den hellen Bimshang der Montaña Blanca verstreut liegen.
Nach weiteren 200 Hm beginnt nun ein steiler Pfad im Geröllhang, immer in der Sonne. Die Thermik in der Luft über mir ist beeindruckend: mein Hut, von den Aufwinden davongetragen, fällt nicht wie üblich nach unten, sondern kann einige Pfadwindungen weiter oben wieder aufgesammelt werden. 500 Höhenmeter steige ich in einer deutlich erkennbaren Spur stetig durch Geröll nach oben und erkenne die einzige Einkehrstation und Unterkunftsmöglichkeit auf diesem Berg, die Hütte Refugio de Altavista, 3260m. Trotz widersprüchlicher Angaben in verschiedenen Reiseführern ist die Hütte doch noch bewirtschaftet; der Hüttenwirt hat sogar sein Maultier mitgebracht (zum Lastentransport zwischen der Seilbahn-Bergstation auf 3555 m und der Hütte). Hier wird ausgiebig Rast gemacht und der Flüssigkeitshaushalt ausgeglichen. Mittlerweile ist der Wind auch bei weiterhin strahlendem Sonnenschein frischer geworden, so dass man schon die erste Schicht Pullover anziehen kann. Die Rundumsicht wird jetzt immer traumhafter, der Horizont erstreckt sich immer weiter auf das Meer hinaus. Nach etwa 20 weiteren Wanderminuten liegt ein nächstes Highlight am Wege, die Cueva del Hielo, eine Eishöhle, in die man über eine ca. 10m lange Eisenleiter hinab steigen kann. Es ist zwar sehr kalt hier drinnen, doch die Eiszapfen, die laut Reiseführer von den Wänden herabhängen sollen, kann ich allerdings nirgendwo entdecken. Es gibt aber noch von der Haupthöhle abzweigenden Gänge von ca. 50m Länge, die ich wegen der fehlenden Stirnlampe jedoch nicht weiter erkunden kann. Also, weiter zum Plateau der Bergbahn! Nachdem neben mir bisher nur vereinzelte Bergwanderer unterwegs waren, werden die Scharen der Turnschuh- und Sandalentouristen jetzt immer größer. Hier treffe ich auch meine Frau Karin (O-Ton:" ...da bist du ja endlich, wo bleibst du denn so lange? ..."), die sich mit der Seilbahn in 10 Minuten auf den Berg hat schießen lassen, während ich bis hierhin immerhin 3 Stunden reine Gehzeit vorgelegt habe. Sie ist allerdings in kompletter Ausrüstung, was Kleidung angeht, angetreten, denn sie möchte die letzten 163 Höhenmeter bis zur Spitze mitgehen. Doch dieser Weg ist zunächst einmal aus Naturschutzgründen versperrt. Der Aufstieg zum Krater bedarf einer Sondergenehmigung, die man vorher persönlich (im 50 km entfernten) Oficina del Parque Nacional Calle Emilio Calzadilla 5 in Santa Cruz unter Vorlage von Pass und Passkopien von allen Gipfelaspiranten beantragt werden muss. Dieser Antrag muss mindestens einen Tag vor der angestrebten Gipfelbesteigung gestellt werden; dabei muss man ebenfalls noch ein Zeitfenster von 2 Stunden angeben, in dem man sich im Gipfelbereich aufhalten möchte. Aufgrund meiner hellseherischen Fähigkeiten, besonders was das Wetter betrifft, hatte ich schon zwei Tage vorher das Permit exakt für den 16. Oktober 2002, 13.00 - 15.00 Uhr, in der Tasche. So können wir also um 13.15 Uhr die Kontrollstelle passieren, der Park- Ranger übt seine Funktion gewissenhaft aus. Langsam steigen wir nun dem Gipfel entgegen, die dünne Luft zwingt zu schnelleren Atemzügen. Dass wir uns auf einem Vulkan befinden, wird nun auch geruchsmäßig überdeutlich: es hängt ein penetranter Schwefelgeruch in der Luft, der mit jedem Höhenmeter an Intensität zunimmt.
Der Weg wird jetzt stellenweise etwas luftig, aber bei diesem guten Wetter in keinem Fall gefährlich. Nur in den Wintermonaten müsste man mit Schnee und pickelhart gefrorenen Eisplatten rechnen, die dann die volle Eisausrüstung mit Steigeisen und Pickel erfordern. So turnen wir jetzt nach einer knappen halben Stunde am Rand des Kraters entlang - der höchste Teil liegt im hinteren Bereich - und haben Zeit, mit Schaudern das Innere dieses Kraters mit ca. 200m Durchmesser zu bewundern. An vielen Stellen ist der kesselförmige Boden mit gelb und grünlich verfärbten Spalten übersät, aus denen permanent schwefelhaltige Dämpfe strömen. Die Laven schimmern in vielen verschiedenen Farben von (überwiegend) ganz hell über rotbraun bis zum tiefsten Anthrazit; es wird dem Bergwanderer auf jedem weiteren Schritt klar, dass dieser Vulkan nicht tot ist, sondern höchstens schläft (der letzte große Ausbruch erfolgte im Jahr 1909 in der westlichen Außenflanke!). Nur noch wenige Meter und nichts verhindert mehr eine großartige Rundumsicht - wir sind am Gipfel! 3718 Meter über dem direkt unter uns liegenden tiefblauen Meeresspiegel!
Der scharfe, kalte Wind erinnert uns trotz des Sonnenscheins daran, dass wir nicht auf einem Sonntagnachmittag-Sommer-Spaziergang sind und also wird alles verfügbare Kleidungsmaterial schnell angezogen und dann können wir uns ausgiebig der Betrachtung der näheren und ferneren Umgebung widmen. Selbst der Wolkenkranz, der sich gewöhnlich um den Gipfel herumzieht, hat sich heute aufgelöst. In ca. 50 bis 100 km Entfernung erheben sich aus dem Dunst des Meeres die Nachbarinseln Gomera, Hierro und La Palma. Wie gigantisch muss es sein, hier einen Sonnenaufgang zu erleben! Aber das wird wohl das Ziel eines weiteren Urlaubs in diesem Gebiet sein. Mit noch volltrunkener Seele machen wir uns schließlich auf den Weg nach unten. An der Seilbahnstation trennen sich unsere Wege. Karin fährt wieder mit der Bahn nach unten während ich in euphorischer Stimmung beschließe, nicht wieder den Normalweg zu nehmen, sondern die Überschreitung des Teide zu wagen und über die wenig begangene, kaum markierte Südwestroute abzusteigen. Am westlichen Aussichtspunkt Mirador del Pico Viejo auf 3463m beginnt nun der etwas abenteuerliche Weg, der anfangs deutlich durch Steinmännchen gekennzeichnet ist. Doch bald schon ist nicht immer eine eindeutige Route zu erkennen; absteigen heißt z.B. links hinab in ein Lava- Tal und gleich wieder rechts hinauf auf einen Lava- Wall mit gleichzeitigem Springen von einem Gesteinsbrocken zum nächsten, wobei allerdings nur auf den Wällen die Orientierung zum nächsten Zwischenziel erfolgen kann: Der Pico Viejo, der westliche Trabant des Teide und mit 3134 m der zweithöchste Gipfel der Insel!
Sein mächtiger Krater mit 800 m Durchmesser ist nur von oben zu erkennen und bereichert die Farbpalette neben den bisher erwähnten Tönen noch um ein leuchtendes Türkis. Aber noch liegen viele Lava- Rinnen und Lava- Rücken auf meinem Weg, bis dass ich den hellen Bimssattel erreiche, von dem ein Pfad auf den linken Kraterrand hinaufführt. Auf dem Bauch robbend schiebe ich mich bis zur Abbruchkante vor und spähe ins Innere: Wenn das oben am Teide der Besuch bei des Teufels Großmutter war, dann ist dieses hier der Besuch bei seiner Urgroßmutter! Bis zu 200 Meter fallen die Wände des Kraters ab in vielfältigen, insgesamt aber dunkleren Farben als am Teide-Krater. Es fehlt nur noch das dumpfe Grollen aus dem Inneren und das Höllenszenario wäre perfekt! Da ich Karin am vereinbarten neuen Treffpunkt am Südwestfuß des Gipfelaufbaus auf 1960m nicht allzu lange warten lassen möchte, muss ich mich beeilen die Höhe abzubauen. Diese Route ist auf jeden Fall länger als die Normal-Aufstiegsroute auf der anderen Seite. Das anfangs beschriebene Verfahren des Abstiegs über Rinnen und Rücken setzt sich nun fort, nur mit dem Unterschied, dass die Dimensionen größer werden und aus den Rinnen richtige Barrancos (span.: Schluchten) werden, die bewältigt werden müssen. Zum Teil ist jetzt auch Klettern angesagt, das noch erschwert wird durch den zunehmenden Bewuchs an Teide-Ginster und Opuntien (eine Feigenkakteenart), deren hässliche Stacheln ich noch tagelang aus Händen, Armen und Beinen herausoperieren kann. Mit müden Knochen lande ich schließlich nach insgesamt 4 Stunden Abstieg am vereinbarten Treffpunkt an der Boca de Tauce, wo mich Karin und ein Auto mit weichen(!) Sitzen erwarten. Eine sehr anstrengende Tour liegt hinter mir mit gut 1500 Meter Aufstieg und gut 1700 Meter Abstieg (bei den vielen Gegenanstiegen sicher auch ein paar hundert Meter mehr!). Aber auch die horizontalen Entfernungen sind nicht ohne: laut der Angaben im Führer müssen ca. 10 km im Anstieg und noch einmal 12,5 km im Abstieg überwunden werden. Wer die Anstrengung lieber auf zwei Tage verteilen will, sollte besser im Refugio de Altavista übernachten (Voranmeldung Pflicht!). Die Orientierung auf dem hier beschriebenen Abstiegsweg kann wegen des unübersichtlichen Geländes bei schlechtem Wetter (Nebel) zu einem großen Problem werden; man sollte auf jeden Fall nur bei bestem Wetter diese Tour angehen.
Für heute ist der Vulkan ruhig geblieben. Wir haben Glück gehabt! Das Szenario eines echten Vulkanausbruchs werden wir erst 11 Tage später auf Sizilien beim Ätna 3340m erleben; aber glücklicherweise nur am Fernseher! Aufgrund der beeindruckenden Erlebnisse ist diese Tour sicher wiederholenswert, dann aber als Winterbesteigung dieses grandiosen Vulkanberges auf Teneriffa!