Schneeschuhhochtour Aletschgebiet
Vom 08. bis 15 April 2017
Am 8. April hieß es für Yvonne, Werner, Frank und mich um 5.00 Uhr aufbrechen nach Lauterbrunnen. Schon hinter Euskirchen wurde es für die frühe Morgenzeit ungewöhnlich voll wg. einer Autobahnsperrung. Weitere Hindernisse blieben uns dann glücklicherweise erspart und wir konnten planmäßig das Auto im Parkhaus Lauterbrunnen einstellen. Jetzt hieß es ein letztes Mal wählen: Was bleibt im Auto? Was trage ich eine Woche täglich über 1.000 Höhenmeter mit mir. Oder, wie Werner Holwein als erfahrener Tourenleiter zu sagen pflegt: „Ob der Rucksack dein Freund oder dein Feind für die nächste Woche wird, das entscheidest Du!“ Um es gleich hier vorwegzunehmen: Nicht alle entwickelten eine innige Freundschaft mit ihrem Rucksack. Da wir - bis auf Werner - nicht wirklich viel Winterhochtourenerfahrung hatten, fiel die Auswahl sehr schwer. Haus- oder Hüttenschuhe, so wissen wir jetzt, gab es auf jeder Hütte für alle genug. Waschzeug hätten wir getrost im Auto lassen können, da wir auf keiner Hütte fließendes Wasser hatten. Sonnenschutz dagegen war extrem wichtig: Wir hatten bis zum letzten Tag Vollsonne.
Von der Parkpalette der erste Aufstieg (aber nur über 14 Treppenstufen) zum Zug Richtung Kleine Scheidegg. Wer als Kind gerne Märklin gespielt hat, ist hier richtig! Ab jetzt bewegten wir uns auf Schienen nur noch durch eine Spielzeugeisenbahntraumwelt. Allerdings kostet die gesamte Fahrt bis Jungfraujoch und retour dann aber auch traumhafte 190€.
Nach der zauberhaften Auffahrt (43 Minuten für die Differenz von 800 m ü. NN bis 2.050m ü. NN) bezogen wir unser erstes Quartier direkt im Bahnhof der Kleinen Scheidegg. Wir wurden auf der Scheidegg von Gölä mit sehr lauter Bärndütscher Rockmusik und tausenden Feiernden begrüßt:
Einmal im Jahr verwandelt sich das Hochplateau zum „Snowpenair“-Festival. Die Frauen teilweise in Schihose und Bikini-Oberteil - ganz neue Eindrücke für uns Eifeler. Aber schon eine perfekte Zusammenfassung des Wetters, das uns die Woche begleiten sollte. Wie geplant konnten wir mit den ersten Schritten auf den Schneeschuhen starten. Das von mir herbeigesehnte typische Knirschen der Schneeschuhe blieb aus. Das lag nicht nur an der lauten Musik und der Konzentration, die es erforderte, zwischen Musikfreunden, Schifahrern und Versorgungsmotorschlitten durchzustiefeln. Der Schnee war oberflächlich weich aber noch nicht sulzig. Auch das sollte sich noch ändern. Vom Bahnhof Kleine Scheidegg führte unser Weg teilweise über schwarze Piste bis zum Bahnhof Eigergletscher. Damit hatten wir schon mal 300 Höhenmeter im Anstieg gemacht und konnten uns auf der Terrasse „Werkstätten der Jungfraubahn“ bei einem Kalt- oder Warmgetränk im Schatten der Eiger Westflanke schon mal Akklimatisieren - an die Höhenluft und an das Schweizer Preisniveau. Wir waren jetzt nur noch wenige Bahntunnelkilometer von der legendären Station „Eigerwand“ (2.850 m ü. NN) entfernt. Doch das „Fenster in der Nordwand“ sollten wir erst morgen aus dem Zug sehen, wir stiegen jetzt erst einmal ab, in Umkehrung des Prinzips Live High-Train Low.Nach einem reichlichen Mahl in der schicken Bahnhofsgaststätte unserer Unterkunft ging es früh in den Schlafraum, wo die erschöpften Musik- und Bierfans schon schliefen.Am nächsten Morgen galt es nach dem letzten üppigen Frühstück die erste Zahnradbahn des Tages zu besteigen. Rucksäcke und Schneeschuhe kamen in den Pritschenwagen, der die Spitze des Zuges bilden sollte. Mit der Abfahrt kam es dann auch zum Treffen mit unseren beiden letzten Bergkameraden Karl-Heinz und Timo, die wegen der ausgebuchten Betten erst am Morgen aus dem Tal auffahren konnten.
Vorbei am berühmten „Fenster in der Nordwand“ und mit Fotohalt an der Station Eismeer (3.160 m ü. NN) mit Blick nach Osten auf die Fiescherhörner und das Finsteraarhorn (mit 4.274 m ü. NN der höchste Berg des Kantons Bern) ging es in 35 Minuten aufs Jungfraujoch (3.460 ü. NN). Wie ein Schweizer Disneyland ist hier alles in den Berg gebaut, was vor allem Asiaten auf Europatour lieben. Vor der ersten chinesischen Charterbahn des Tages konnten wir noch schnell ein letztes Mal mit fließendem Wasser Hände waschen und die Toiletten aufsuchen, bevor uns der Berg durch den Sphinxstollen auf den Gletscher entließ.
Zunächst galt es nun, die Ausrüstungsgegenstände, die doppelt vorhanden waren, im Schnee zu vergraben. Das würde dann bei der Rückkehr ein Geo-Caching mit Test für die Genauigkeit der mitgeführten GPS-Geräte und Smartphones werden.
Glücklicherweise hatte uns nunmehr endlich die nackte Natur - zu anderen Zeiten werden auf diesem ersten Gletscherstück „Top auf Europe“ Boxkämpfe, Tennismatches und andere verrückte Dinge veranstaltet.
Jetzt hieß es die Schneeschuhe anziehen und sich in das Seil einbinden. Wie die Perlen hingen wir von nun an eine Woche gemeinsam im Seil, alle acht Meter einer und eine.
Und eine andere Zeit- und Umweltwahrnehmung begann. Bis auf Hütten und Gipfel gibt es in dieser riesigen Schnee- und Eiswüste für das menschliche Auge kaum Anhaltspunkte. Teilweise quadratkilometergroße, scheinbar plane Flächen, teilweise aufgerissene Eispanzer, die sich wie der zerfurchte Rücken eines gigantischen Drachen auftun. In einem Moment im Windschatten völlig verharschter Schnee, wenige Meter weiter plötzlich Sulz unter den Schneeschuhen. Teilweise Spuren von Skitourengehern, die bis zum Horizont reichen und im nächsten Moment vom Wind in Minuten verblasen werden.
Als erstes Ziel gehen wir auf das Louwihorn (3.773 m. ü. NN) an. Zunächst schreiten wir in Fließrichtung des Jungfraufirns leicht bergab bis auf 3.300 m ü. NN, um den westlichen Ausläufer des Rottalhorns zu umlaufen. Ein kurzes Querungsstück an der Südflanke mit 35° gestaltet sich schwieriger als erwartet: Hangneigung und Sonneneinstrahlung erzeugen an der Schlüsselstelle „Doppelsulz“ (lt. Werner), während unter uns eine wassergefüllte Gletscherspalte grüßt. Wenig verantwortungsvolle Skitourengeher, die oberhalb (!) unserer Seilschaft in noch steilerem Gelände überholen, sorgen für einen unerwünschten Thrill. Wir verlieren soviel Zeit und Konzentration, dass Werner beschließt, auf die noch zwei Stunden An- und Abstieg zum Gipfel des Louwihorns zu verzichten und auf direktem Weg zum Konkordiaplatz zu marschieren. In strahlendem Sonnenschein geht es also wieder den Jungfraufirn hinab. Ich muss mich noch sehr darauf konzentrieren, das Seil möglichst in 5 cm über der Schneedecke in der Schwebe zu halten. Immer wieder versinke ich ob der unglaublichen Ausblicke auf das ewige Weiß in Gedanken, werde schneller und schwuppdiwupp liegt das Seil im Schnee und die Vorgeherin ist gefährdet, mit dem Schneeschuh einzufädeln (von den Nachfolgenden, die einen Zwischensprint einlegen müssen, mal ganz zu schweigen.)
Das Seil und das Gehen in der Seilschaft werden mir Lehrmeister in Geduld und Teamfähigkeit. Eine Woche werde ich von nun an Überlegungen zu einer Zen-Seil-Meditation anstellen können.
Überhaupt hat das Schneeschuhgehen viele meditative Elemente. Über Stunden im (scheinbar) ungefährlichen Gelände setzen die Füße unproblematisch auf, ganz anders als bei Sommer-Hochgebirgstouren. Aber schon ein einfaches unangekündigtes Austreten (nur verschämte 4 m, mehr ist im Seil ja nicht möglich!) bei einer Pause kann einen Warnruf des ortskundigen Werner nach sich ziehen: „Keinen Schritt weiter, im Sommer ist da eine krasse Spalte!“ Ich sehe nur Schnee aber folge natürlich der Aufforderung.
Je näher wir dem Konkordiaplatz kommen und die Konkordiahütte, die wie ein Adlerhorst auf einem Felsvorsprung thront, wahrnehmen, desto klarer wird, dass noch eine harte Nummer auf uns wartet: Über 467 ungleiche Treppenstufen auf luftigen Stahlgitterrosten müssen wir an Höhendifferenz das überwinden, was der Gletscherschwund seit Erbauung der Hütte verursacht hat.
Die Hütte liegt auf 2.850m ü. NN, das war im Erbauungsjahr 1877 50m über dem Gletscher. Nunmehr sind es mehr als 150m senkrecht über dem Moränenseitenhügel des Gletschers. Jährlich kommt derzeitig 1m dazu. Noch gravierender sind die Auswirkungen auf die Festigkeit der Felsen. Wie lange dieser Nordzustieg noch möglich sein wird, ist daher fraglich. Wir jedenfalls sind froh, auf den heutigen Gipfel verzichtet zu haben und so noch die Konzentration und Kraft für die exponierte Treppe zu haben, die eher aussieht, wie das Freestylen eines Gerüstbauers. Die historischen Reste alter Leitern, die noch sichtbar sind relativieren die heutige „Stairway to heaven“ dann aber doch wieder zu einer sicheren Veranstaltung. Nachdem wir die Schneeschuhe am Fuße der Treppe neben unzähligen Tourenski geparkt haben, wollen wir die Treppe in Angriff nehmen. Aber gerade die wenigen Meter auf vereistem Moränengeröll sind nicht ohne und ich freue mich, die Stöcke nicht bei den Schneeschuhen zurückgelassen zu haben.
Bei nur lauem Lüftchen (hier wurden angeblich schon 270km/h) gemessen, lassen wir uns mit dem Feierabendgetränk in der Hand auf der Hüttenterrasse von dem unglaublichen Ausblick auf die Gletscherströme und ihre Vereinigung direkt unter uns begeistern. Der längste Gletscher der Alpen hat etwas sehr Erhabenes. Seit meinem ersten Blickkontakt vom Eggishorn auf den Aletsch vor 15 Jahren, konnte ich mich der Anziehungskraft dieses Gletschers nicht mehr entziehen. Ein lang gehegter Traum ging damit heute im erstmaligen Betreten und Beschreiten des Gletschers für mich in Erfüllung. Nun darf ich mich von der Terrasse der Hütte aus sattsehen. Die glückliche Erschöpfung nach dem Abendessen wird nur kurzzeitig vom Zucken über die 65€ Halbpension im Massenlager unterbrochen. Nicht nur wegen der Treppe, mit der die morgige Tour beginnen wird, haben wir uns bei den Getränken also alle etwas zurückgehalten.
Am nächsten Morgen bin ich erneut über die Stöcke froh, denn auch der Einstieg zur Treppe von oben ist vereist. Es braucht schon Konzentration auf der Treppe ob der luftigen Ausblicke zwischen den Beinen durch die Gitterroste senkrecht nach unten.
Wieder auf dem Gletscher angekommen, gilt es die Schneeschuhe in einem Meer aus Tourenski wieder anzulegen. Wir bemühen uns, dabei leise zu sein, da hier nun auch jemand im Einmannzelt auf dem Gletscher übernachtet. Ob da das Unwohlsein vor der Treppe oder die Ehrfurcht vor dem Massenlager größer war, werden wir wohl nie erfahren.
Heute steht die Grünhornlücke (3.280 m. ü. NN) als höchster Punkt auf der Liste. In der ansteigenden Mulde zwischen Gross Grünhorn (4.044m ü. NN) linker Hand und Fiescher Gabelhorn (3.876 m. ü. NN) rechter Hand kommen um diese Uhrzeit noch keine Sonnenstrahlen über die Gebirgszüge zu uns durch. Wir überwinden die 600 Höhenmeter in morgendlicher Kühle problemlos. Jetzt ist es auch wieder da, das typische Schneeschuhknirschen des Hartkunststoffes auf dem verharschten Schnee. Gut, dass ich im Seil eingebunden bin, so kann ich nicht überpacen. Denn frühes Schwitzen - so musste ich bei meiner ersten Hochgebirgswintertour schon lernen - ist bei Minusgraden nicht zu empfehlen: Die Feuchtigkeit wirst Du den ganzen Tag nicht mehr los! Da wir genau nach Osten gehen, treten wir mit dem Erreichen der Grünhornlücke in das Sonnenlicht.
Und wieder breitet sich eine riesige neue Landschaft unter uns aus. Der Fieschergletscher ist etwas schmaler aber ähnlich lang, wie das, was wir schon vom Aletschgletscher zu sehen bekamen. Er wirkt irgendwie etwas gemütlicher und milder - sofern man solche Abstufungen im ewigen Weiß der Schneewüste vornehmen kann. Vielleicht liegt es aber auch an der Finsteraarhornhütte, die wir nach 300 Höhenmetern im Abstieg erreichen. Sie liegt unterhalb des gleichnamigen und höchsten Berges der Berner Alpen. Es ist für uns alle die schönste und ruhigste Hütte der Tour mit den nettesten Mitarbeitern. Mit der Sonne im Rücken ist der erneute Aufstieg zur Grünhornlücke am nächsten Morgen ein Klacks und in einer Stunde abgefrühstückt. Die 600 Höhenmeter haben wir jetzt im Abstieg. Das geht flott - noch flotter aber bei den Tourenskigehern, die nach dem schmatzenden Abziehen der Felle auf der Höhe der Grünhornlücke in eleganten Schwüngen in Richtung Konkordiaplatz an uns vorbeiziehen. Aber auch hier heißt es aufgepasst: Manchen Bogen setzen die Schifahrer fast bis in unser Schlappseil hinein. Den Konkordiaplatz queren wir jetzt schon routiniert und haben unser Ziel fest im Auge: Die Lötschenlücke als Ende des großen und sehr breiten Aletschfirns. Sacht ansteigend überwinden wir auf schnurgerader Strecke die 400 Höhenmeter in mehreren Stunden. Timo mit seinen Adleraugen ist der erste, der unser Tagesziel oberhalb der Lötschenlücke mit bloßem Auge ausmachen kann: Die Hollandia-Hütte. Den Namen Lötschenhütte Hollandia verlieh die Berner Sektion ehrenhalber, da sich die Nederlandse Alpenvereniging beim Wiederaufbau der Egon-von-Steiger-Hütte im Jahre 1931 mit einen Beitrag von 25'000 Franken an den Kosten beteiligte (und bis heute intensiv beteiligt).
Wer jemals mit der Autoverladung Kandersteg-Goppenstein ins Wallis gereist ist und in Goppenstein mal das Tal hochgefahren ist - und nicht durch den Tunnel sofort ins Rhonetal Richtung Visp oder Sion -, der hat die Lötschenlücke in 3.150m. ü. NN. schon von unten in scheinbar unerreichbarer Höhe als Talschluss am Horizont des Langgletschers gesehen. Wir aber müssen zunächst auf die rechte, nördliche Flanke des Gletschers, der sich vor der Lötschenlücke zu einer Rinne ausformt. Unmittelbar am Rand der Rinne klebt die Hollandiahütte (3.240 m. ü. NN), die wir in einem Bogen von oben angehen, um die Steilflanke der Rinne zu meiden. Neben der grandiosen Sicht den kompletten Langgletscher hinab ins Tal der Lonza und in anderer Richtung bis zum Konkordiaplatz, gibt es hier auch die ersten und einzigen Tiere unserer gesamten Tour zu bestaunen. Eine kleine Kolonie Bergdohlen hat sich darauf spezialisiert, die pflanzlichen Abfälle, die regelmäßig aus der Küche Richtung Langgletscher geworfen werden - teilweise im Flug und aus der Luft - abzufangen. Ein kühnes Unterfangen, da sich die Winde an der Lötschenlücke wie in einer Düse verengen und beschleunigen.
Erstmalig starten wir einen Versuch, der völligen Wasserlosigkeit der letzten Tage entgegenzutreten:
Ein Eimer Schnee wird zum Schmelzen in den Trockenraum gestellt.
Am nächsten Morgen, als wir den zweiten Anlauf zu einem Gipfelsturm unternehmen, reicht das Schmelzwasser noch nicht einmal für ein einziges Zähneputzen. Was Schade ist, denn wir alle werden heute unsere Zähne zeigen - und nicht nur die aus Titan an den Schneeschuhen.
Die größte Herausforderung auf dem Weg zur Äbeni Flue ist nicht der Weg, sondern die Höhe. Über 50 Stunden waren wir jetzt schon oberhalb von 2.800 m. ü. NN und so halten sich Kopfschmerzen oder andere unangenehme Beschwerden bei uns allen noch in Grenzen. Konditionstraining zahlt sich aber jetzt aus, da bei unserem ersten „Fast-Viertausender“ die Luft tatsächlich spürbar dünner wird.
Nervig und für mich in einem UNESCO-Weltkulturerbe-Naturschutzgebiet völlig unverständlich, ist der Hubschrauberlärm. Nicht etwa zur notwendigen Versorgung einer Hütte, sondern zum Absetzen von Schifahrern mit dem entsprechenden Geldbeutel wird der Sattel zum Mittaghorn zu unserer Linken mehrfach angeflogen. Die Freeride-Abfahrt über 2.300 Höhenmeter ins Lötschental ist 20 km lang - wie der Name des Gletschers schon sagt - und bei verharschtem Schnee auch schon für gute Pistenskifahrer geeignet.
Schließlich stehen wir auf 3.962 m ü. NN und alles ist vergessen. Mit Dauergrinsen im Gesicht schütteln wir uns tüchtig die Hände und sind vom Ausblick völlig überwältigt. Geographen mögen es auf unsere Euphorie oder die Höhenluft schieben - aber wir meinen im Norden - über den Jura mit dem Schweizer Belchen hinweg - noch den Belchen im Hochschwarzwald (1.461m ü. NN) erkennen zu können und im Süden die Dufourspitze des Monte Rosa.
Alle Berner und Walliser Viertausender sowieso und das Mont Blanc Massiv in scheinbarer Wanderweite.
So einen Blick hatte von uns kaum einer jemals zuvor - und mancher wird ihn wohl auch nie mehr haben. Viele Faktoren fallen günstig zusammen, wie unser erfahrener Führer Werner feststellt: Die klare Winterluft, fast wolkenloser Himmel und die günstige Lage der Äbeni Flue.
Am Ende des Tages reicht dann auch das Schmelzwasser zum Zähneputzen (die anderen Tage haben wir das mit Schnee oder anderen Tricks gemacht). Wir sind jetzt auch schon wahre Meister in der Ausnutzung der Schlafplätze im Lager. Fast wie bei Tetris legen wir uns wechselseitig mit Kopf und Fuß nebeneinander. Am nächsten Morgen verfolgen wir beim Aufbruch die Schwierigkeiten, die die total vereiste Rinne zu Beginn des Langgletschers den Tourenschifahrern bereitet. Da haben wir es komfortabler auf dem bekannten Weg wieder zum Konkordiaplatz zurückgehen zu können. Wieder in allerschönster Sonne. Und mit dem Wind ist ein Schmetterling - wohl aus dem Rhone Tal - hochgeweht worden. Schön und bizarr zugleich. Und traurig. Der Schmetterling hat in diesem Umfeld keine Chance, weder auf Nahrung noch auf eine Partnerin.
Der Weg andersherum sieht ganz anders aus. Als wir rechterhand am Dreiekhorn vorbei sind, öffnet sich der Blick auf die gesamte Ostflanke des Großen Aletschgletschers bis zum Eggishorn. Als einzige Spur der Zivilisation ist leicht unterhalb des Gipfels des Eggishorns das gleichnamige Panoramarestaurant - der höchste Punkt des Schigebietes Aletscharena - als winzige spiegelnde Fläche erkennbar. Und zwischen Eggishorn und Strahlhorn wird als einzige Kerbe in der langen Gebirgswand die Rinne des Märjelensees sichtbar. Von hier kommt dann auch der südliche Zugang auf den Aletsch vom Fieschertal aus.
Wieder an der „Stairway to heaven“ angekommen, trennt sich unsere Gruppe für den Nachmittag. Der eine Teil nutzt das gute Wetter noch für Übungen zur Lawinen-Verschütteten-Suche, während der andere Teil - ganz überwältigt von den vielen Eindrücken und erschöpft von der erneuten Treppenbewältigung- eine Ruhepause braucht. Neben der überwältigenden Kulisse hinter den Fenstern der Konkordiahütte, ist es auch schön zu beobachten, wie die drei Kinder des Hüttenehepaares den Essenssaal als Ihren Spielplatz nutzen. Mit Schaukel zwischen den Tischen und dem Geschirrwagen als Fahrzeug. Ganz selbstverständlich trägt die Älteste (ca. 4 Jahre) auch mit auf. Die jüngeren Brüder helfen beim Abräumen. Auch der Hüttenhund gehört zur Familie. Die Hüttenkatze, so geht die Erzählung, hat der Adler wohl beim Sonnenbad geholt.
Die Sicht beim Aufbruch am nächsten Morgen lässt ob der frühen Tageszeit noch zu wünschen übrig. Was jetzt kommt, haben wir schon aus der Ferne mehrfach gesehen und es lässt uns alle sehr konzentriert den Tag beginnen. Zunächst nordwärts geht es nah am Ausläufer des Grünegghorns vorbei „um die Ecke“. Hier zeigt der Gletscher jetzt seine krasse, aufgerissene, aufgetürmte und spaltige Seite. Das hatte ja bislang die Schneedecke, die sich den ganzen Winter aufaddiert hatte, gnädig vor uns versteckt. Wir lernen jetzt - noch auf dem flachen Teil des Gletscher stehend - den Einsatz einer Eisschraube kennen. Timo ist so begeistert, dass er sich im weiteren Verlauf auch eine kaufen wird. Für uns ganz ungewohnt gilt es hier beim „Einstieg“ auf kurzer Strecke viele Höhenmeter zu bewältigen. Es sind die Treppenstufen eines Riesen und leider weiß man nie, ob der gewählte Weg zwischen den meterhohen Eisbrocken nicht an einer unüberbrückbaren Spalte endet. Wir wünschten uns hier eine Drohne zur vorausschauenden Wegerkundung. Aber wir haben ja Werner! Mit Erfahrung, Ortskenntnis und wohl auch ein bisschen Intuition leitet er uns durch den Irrgarten. Und dann kommen Schitourengeher von oben (das sieht in diesem Gelände jetzt gar nicht mehr so elegant aus) und damit ist klar: Der eingeschlagene Weg führt aus diesem eisigen Wirrwarr auch wieder heraus. Auf einer Höhe von ca. 3.150m ü. NN sind wir aus dem Gröbsten raus. Das waren aber 400 Höhenmeter, die es in sich hatten! Wir haben fast 2 Stunden gebraucht und mussten zwischenzeitlich von Werner am Seil auf besonders hohe Stufen geholt werden. Jetzt kann man auch wieder in die Weite sehen. Und auch die Sonne ist wieder da. Bis wir aus dem Schatten kommen, wird es aber noch etwas dauern. Der Wind kommt hier kalt runter. Linker Hand ist der Trugberg auszumachen. Er ragt wie ein riesiges Schiff aus dem Weiß und trennt den Jungfraufirn vom Ewigschneefäld. Auf 3.400m ü. NN sind riesige Eiswürfel (3mx3m) genau auf alte Schispuren gestürzt. Das kann noch nicht allzu lange her sein, muss nach dem letzten Schneefall gewesen sein. Natürlich probieren wir auch hier wieder die Eisschraube und bewundern die Farben und das Lichtspiel des Eises. So auf Tuchfühlung waren wir vorher noch nicht mit dem Eis. Da, wo das Eis abgebrochen ist, wollten wir eigentlich hoch, zum Gipfelkamm. Der harte, hinter uns liegende Aufstieg und die dünne Luft fordern aber Ihren Tribut. Ein Bergkamerad hat zunehmend Probleme. Wir lassen den Gipfel daher zunächst Gipfel sein, verteilen gewichtige Sachen aus seinem Rucksack auf unsere Rucksäcke und teilen uns. Werner bleibt mit dem Kameraden zurück um ganz höösch mit ihm zur Hütte aufzusteigen. Der Rest vorneweg mit dem Ziel, schnell in der Hütte einzuchecken, Ballast abzuwerfen und vielleicht doch noch den Gipfel in Angriff zu nehmen. Mit dem 'vorneweg' ist aber gar nicht so einfach auf 3.500m. ü. NN. Mein Rucksack ist jetzt kein Freund mehr und einmal zu schnell angegangen, kommt auch meine Atmung jetzt zwischenzeitlich in Hektik. Die Mönchjochshütte vor Augen wird es wieder leichter. Obwohl gerade die letzten Meter an der Nahtstelle vom Gletscher zur Hütte noch haarig werden. Der Hüttenwirt pflegt mit seiner Pistenraupe einen Weg zum Jungfraujoch zu spuren. Er muss da auch sein ganzes Wasser mit Tankschlitten holen. Wir kommen jetzt aber von der anderen Seite und müssen den von der Raupe erzeugten Abhang hoch, um auf den „gepflegten“ Weg zu kommen. Und auch der letzte Meter vor den Stahlgitterosten der Hütte ist vereist und uneben. Vor unseren Augen legt sich da auch noch eine Halbschuhtouristin lang hin.
Die Mönchjochshütte lebt wohl zu einem Großteil von den Ausflüglern, denen die Geschäfte im Umfeld des Bergbahnhofs dann doch zu wenig sind, die aber auf Eis überhaupt nicht eingestellt waren beim Besteigen der Jungfraubahn. Ob es da nicht häufiger zu Unfällen kommt, fragen wir uns.
Andere Unfälle gibt es aber wohl ganz sicher: Wir dürfen nur gegen Vorkasse und nur in Gesamtheit auf unser Lager. „Mir sind's hier schon zu viele abgschmiert und ich konnt dann dem Geld hinterherlaufen“, so die überzeugende Aussage der Servicekraft über Tourengeher und Gipfelstürmer. Sie unterscheidet da auch nicht zu uns Schneeschuhgehern. Wir sind Exoten, in der ganzen Woche haben wir keine anderen gesehen. Wieder vereint, kurzfristig gestärkt und Ballast abgeworfen, beschließen vier von uns, den Trugberg doch noch anzugehen.
Wie schön es nur mit leichtem Tagesgepäck ist! Und von der Hütte erst einmal 200 Höhenmeter runter zu den Eiswürfeln. Ab hier geht es dann in Kehren, die wir selber wählen (für den langjährigen Sommerwanderer immer noch neu, selber den Weg im Schnee zu suchen) bergan. Zunächst auf breiter Flanke und unkritisch. Im letzten Sattel vor dem Gipfelaufbau halten wir inne. Uns voran geht eine Gruppe Schitourengeher. Sie müssen jetzt ihre Schi ablegen und auf der vereisten Kante des pyramidalen Gipfelaufbaus ansteigen. Wir sitzen auf 3.800 m. ü. NN, haben einen fantastischen Blick und verzichten auf die letzten hakeligen (wir haben keine Steigeisen!) 130 Höhenmeter bis zum Gipfelkreuz. Stattdessen können wir die gesamte bisherige Tour Revue passieren lassen: Von Jungfraujoch bis Äbeni Flue, von Mönch bis Finsteraarhorn und Aletsch, Jungfraufirn und Ewigschneefäld sowieso. Wir posen übermütig auf dem Felsen, der ein toller Ausguck ist.
Was für eine Tour, was für ein Wetter und was für eine Truppe!
Am Abend feiern wir uns dann auch noch ein bisschen selbst, bis es in eine windige Nacht geht. Jetzt bloß nicht im Dunklen zum separat liegenden Toilettenhäuschen gehen müssen! Angeblich hat es da schon mal einen verweht (der hoffentlich beim Hüttenwirt vor dem Abflug Vorkasse geleistet hatte). Tatsächlich war der nächtliche Sturm Vorbote des Wetterumschwunges. Während wir am nächsten Morgen noch die Sonne sehen, breitet sich zu unseren Füßen ein Wolkenmeer aus.
Auf der gespurten „Loipe“ geht es nach dem Frühstück leicht voran. Das ist auch gut so, denn es lohnt sich, die Augen bei den Schitourengehern zu haben, die abends noch am Nachbartisch saßen. Beeindruckend, in welchem Tempo die Gruppe schon den letzten Sattel vor der Schlüsselstelle der Jungfraubesteigung erreicht hat. Werner erläutert uns ihren weiteren Weg und die Schwierigkeiten auf diesem.
Wir sind beeindruckt, von der Fitness und dem Mut der jungen Männer und Frauen. Kurz bevor wir wieder den Eingang zum Sphinxstollen erreichen, sehen wir noch die ersten Gipfelstürmer von der Gipfelflanke abfahren. Respekt!
Ach, da war doch noch was? Ja, unser spezielles Geocaching. Komplizierter als ich es eingeschätzt hatte, legen wir schließlich unser „Depot“ wieder frei. Gut, dass Sicht und Wetter mitspielten.
Die Zivilisation nimmt uns mit fließend Wasser und Spülklosett wieder auf. Noch kurz vor der ersten chinesischen Gruppe schauen wir uns die Ausstellungen im Berg und den Aussichtspunkt an. Auch beeindruckend - aber zunehmend voll. Mit unserer sperrigen Ausrüstung ist es nicht ganz einfach. Mit Selfiestick in der Hand ist es aber für andere spürbar schwieriger. Nach dem dritten Anrempler will ich weg von hier.
Unsere Zahnradbahn kommt verlässlich pünktlich - wir sind ja in der Schweiz. Irgendwie fehlt was an den Füßen und auch die unendliche weiße Weite (oder weite Weiße?) vor den Augen. Bis heute!
Wir wollen wieder ins Wallis, zusammen und mit WERNER! Das haben wir uns beim Revival-Treffen auf der schönsten Aussichtsterrasse der Eifel in Schleiden-Scheuren auf 4990 m. ü. NN versprochen (Oh, eine Null zu viel.)
Johannes Schuck