Auf die Frage, ob ich wohl schon am Rotpunktkursus teilnehmen kann, sagte Tom: „Wenn du vorsteigst, bist Du auch bereit für den Kurs“ – und er sollte recht behalten: Hier könnt ihr also lesen, wie Tom den Nideggener Hakenabständen den Schrecken nahm - Rotpunkt geht auf den Kletterpionier Kurt Albert zurück, der Routen, die er ohne zu stürzen oder sich ins Seil zu setzen im Vorstieg geklettert ist, mit einem roten Punkt am Fels markierte
Von Tameer Eden
„Da oben ist der erste Haken, das würde ich mich nie trauen, das im Vorstieg zu klettern!“, ging mir bei meinem ersten Felsbesuch in Nideggen durch den Kopf. Schon im Toprope fand ich die Routen im Fels ohne die schönen, bunten Plastikgriffe und die herrlichen Weichbodenmatten reichlich aufregend. Staunend, mit leicht feuchten Händen und einem ungewohnten Anflug von Heldenverehrung schaute ich zu, wie mir andere Kletterer das Seil einhängten. Losgelassen hat mich der Gedanke daran aber nicht, es irgendwann vielleicht auch mal selbst zu wagen…
Irgendwann wurde der Gedanke dann zum folgenschweren Entschluss nach dem Motto: Wer klettern will, muss leiden. Also bei jeder Gelegenheit in den Hallen Vorstieg geübt und auf besseres Wetter für Vorsteigen im Fels gehofft (vergeblich…). Der „Tag Rot“ rückte immer näher. Beim donnerstäglichen Klettertreff in Bad Münstereifel schnell noch Routen abbauen und Abseilen wiederholen – ja, so könnte es klappen!
Das frühe Aufstehen reicht mir eigentlich schon in der Woche, aber an diesem besonderen Samstag war ich schon vor dem nervigen Plärren des Weckers wach: Es war nämlich endlich der „Rotpunktkursus“ bei Tom angesagt. Auf dieses kleine Kletterabenteuer wollten sich Armin, Jo und ich einlassen und trafen deshalb um acht Uhr morgens mit unserem gut aufgelegten Kursleiter Tom in Nideggen zusammen. Das Wetter spielte auch mit, der perfekte Klettertag brach an.
Eine kurze Einweisung auf dem Parkplatz, bei der uns Tom mit ein paar humorvollen Anmerkungen etwas von unserer Aufregung nahm, dann hieß es Rucksäcke und Seile schultern und wir machten uns auf den Weg an den Fels. Nach ein paar leichten Routen zum Warmmachen im 2er-Bereich, die aber auf der Strecke zum Umlenker nur einen oder gar keinen Haken für Zwischensicherungen haben, erklärte uns Tom in seiner ruhigen, kompetenten Art, wie wir Routen lesen, uns Rastpunkte einteilen und das jeweils notwendige Tempo festlegen können. Was wir dann natürlich auch gleich an unseren nächsten Routen ausprobiert haben. Und schon standen wir in 4er, 5er und 6er Routen mit den Füßen deutlich über der letzten Sicherung und suchten nach den berühmt-berüchtigten Nideggener Kieseln, die so gar nicht den netten Plastikgriffen in den Hallen ähneln, um eine stabile Position zum Clippen der nächsten Exe zu finden. Schnell stellten wir fest, dass Mutter Natur hier und da echt geschlampt hat und eben nicht immer etwas zum Greifen da war, das sich so sicher wie die Henkel an den Clipp-Positionen in der Kletterhalle anfühlt. Der gestandene Felskraxler mag jetzt beim Lesen laut „Weichei“ rufen, aber für mich ist draußen nicht nur anders, sondern auch (noch) ungewohnt und reichlich aufregend – zu merken, wie mir langsam der Saft aus dem haltenden Arm rinnt und ich immer noch keinen Griff gefunden habe, der vertrauenswürdiger als der durchschnittliche Autohändler wirkt, war für mich schon ein echtes Abenteuer.
Doch in solchen Fällen coachte Tom gekonnt von unten: „Ruhig bleiben, Atmen nicht vergessen. Schau mal da links, da ist ein Loch…“, und schon ging es wieder. Puh, Rastposition finden, Arme ausschütteln und weiter ging die Reise auf dem Abenteuertrip zum Umlenker. „Ihr müsst euch von dem Gedanken verabschieden, den noch besseren Griff zu finden, damit vergeudet ihr nur Zeit, und Zeit ist beim Klettern Kraft“, erinnerte uns Tom – also machten wir uns mit etwas mehr Kühnheit auf den Weg nach oben. Und siehe da – wir alle drei konnten am Ende eines tollen Klettertages eine stattliche Anzahl Rotpunktrouten in unserer Liste abhaken.
Reich beschenkt – mit unseren persönlichen Abenteuern aus dem Stoff, aus dem die Geschichten am Abendbrottisch sind, einer prima Stimmung mit viel Lachen, der ein oder anderen kleinen Blessur, bei der wir den Fels mit den falschen Körperteilen (wie etwa Schienbein, Knöchel oder Ellenbogen) geküsst haben, viel Dazugelerntem sowie dem dicken Lob unseres Kursleiters („Ich bin begeistert von euch!“) machten wir uns mit einem breiten Grinsen zum obligatorischen Eisdielenbesuch auf. Das Obstwand-Birne-Knie-Bier haben wir dort aber nicht mehr zu uns genommen, sonst wären wir vermutlich schon in der Eisdiele glückselig eingeschlafen („Mit Knie klettern kostet einen“ – wäre bei dem kleinen, aber fiesen Dachstück mit dem eingebauten Klemmspalt für die Kletterhüfte gleich mehrfach angefallen). Vielen Dank an unseren Kletterbetreuer Tom und meine Dream-Team-Kletterfreunde Armin und Jo für diesen tollen Tag! Abends bin ich übrigens zwar schon früh ins Bett gefallen, aber der Kursus muss mich schwer beeindruckt haben – ich bin nämlich die halbe Nacht weitergeklettert.