06. Februar 2011 (21:30 Uhr): Wir quälen uns auf 5.100 Metern im engen Zelt in die Expeditionausrüstung – Socken – Atempause, lange Unterhose – Atempause – jede kleine Bewegung in dieser Höhe ist sehr anstrengend und bringt mich aus der Puste. Jetzt nur noch die Expeditionstiefel anziehen und dann hinüber ins Teamzelt. Die Temperaturen liegen bei schätzungsweise –10 bis -15 Grad. Schon jetzt sind wir höher als alle Berge in den Alpen. Im Teamzelt warten schon weitere Bergsteiger – es gibt heißen Tee und Kekse. Nachdem alle aus der Gruppe im Teamzelt eingetroffen sind, beraten wir über das weitere Vorgehen. Eine Diskussion kommt nicht auf, jedem ist bewusst, dass bei diesem, seit fünf Stunden anhaltenden Schneefall, der Aufstieg zum Gipfel zu gefährlich ist. Mit jeder Stunde steigt die Lawinengefahr und bis zum Gipfel müssen wir gute 1.200 Höhenmeter zurücklegen. Die Entscheidung ist gefallen – Abbruch jetzt sofort! Die Nacht verbringen wir noch im Hochlager und am Morgen folgen Hochlagerabbau und Abstieg ins Basecamp…..
Enttäuschung, leere, Traurigkeit….
Rückblick; Ankunft im Marco Cruz Basecamp: Am Nachmittag des 01. Februar 2011 erreichen wir nach langem Fußmarsch das Basecamp von Marco Cruz. Wir haben das Ziel unserer Reise erreicht, das Basecamp vom Chimborazo. 3.900 Meter zeigt der Höhenmesser und wir stehen mitten auf einer grünen Almwiese… Das kennen wir aus den Alpen nicht auf der Höhe. Direkt unter den Flanken des Chimborazos stehen die Komfort-Lodges von Marco Cruz – die Lodge ist einfach, aber geschmackvoll eingerichtet. Es gibt großzügige Doppelzimmer, Bad und warme Dusche sind auf dem Flur.
Im Haupthaus steht ein großer offener Kamin, hier werden wir uns an den Abenden aufwärmen und einen leckeren Tee genießen. Die Mahlzeiten werden auch im Haupthaus eingenommen, das Team von Marco verwöhnt uns die nächsten sechs Tage mit sehr leckerem Essen. Das Akklimatisationskonzept vom DAV Summit Club sieht vor, dass wir die nächsten Tagen nutzen, um uns an die dünne Luft in dieser Höhe zu gewöhnen, schließlich wollen wir in sechs Tagen auf dem Gipfel des Chimborazos stehen – immerhin auf 6.310 Metern. Die erste Akklimatisationstour geht über den legendären Inka-Königsweg, insgesant 35 Kilometer liegen vor uns. Direkt vom Basecamp gehen wir los – die Bergführer schätzen, dass wir circa neun Stunden unterwegs sein werden. Gegen starken Gegenwind müssen wir zu Beginn ankämpfen und der Wind wirbelt feinen Sand und Dreck auf – in kürzester Zeit ist unsere Ausrüstung mit diesem feinem Sand bedeckt – in jeder Ritze sollten ihn wir noch Tage später finden. Faszinieren hier in Ecuador sind die schellen Wechsel der Natur, kurz nach einer Steppe/Wüstenlandschaft erreichen wir fruchtbares Land und grüne Wiesen und Bäume ringsherum. Gegen Mittag erreichen wir den Urwald, durch den wir uns mit Macheten den Weg frei schlagen müssen – ein echtes Abenteuer. Obwohl wir fast neun Stunden gewandert sind, habe ich abends in der Lodge keinen Hunger – Appetitlosigkeit, ein Zustand, den ich bestens aus dem Himalaya kenne – irgendwie zwinge ich mich, das Abendessen doch zu schlucken.
Chimborazo Nationalpark, 03. Februar 2011: Nach einem ausgiebigen Frühstück und besten Wetterverhältnissen fahren wir heute in den Chimborazo-Nationalpark bis auf 4.800 Meter. Vom Refugio Carrel steigen wir über Geröll- und Schneefelder hinauf zur Agujas de Chamonix auf 5.347 Meter. Dort oben haben wir eine fantastische Aussicht über den Nationalpark und auf die geplante Aufstiegsroute zum Summit– beeindruckend.
Das wird ein hartes Stück Arbeit, sehr steil ragt der Gletscher uns entgegen. Wir bekommen das erste Mal einen Eindruck vermittelt was es heißt, eine 60-Grad-Flanke zu besteigen. Bei einer ausgiebigen Pause essen wir unser Lunchpaket. Niemand aus der Gruppe hat irgendwelche Anpassungsprobleme an die Höhe – ein gutes Zeichen. Für den Abstieg wählten die Bergführer eine schnelle Variante – auf das Schneefeld und herunterrutschen. Mir erscheint es zu gefährlich, daher steige ich mit zwei Bergsteigern langsam ab. Der Abstieg durch den tiefen, nassen Schnee ist sehr anstrengend. In einer steilen Schneise ist der in der Mitte liegende Schnee vereist, sodass wir am Rand entlang gehen. Hinter mir rutscht Michael aus und haarschaf an mir vorbei… Nach 20 Metern kann er sich wieder fangen. Zum Glück ist keinem etwas passiert – eine unfreiwillige „Schlittenfahrt“…, aber er ist wenigstens unten. Nach gut sechsstündiger Akklimatisationswanderung erreichten wir das Refugio Whymper (5.043 Meter) – die letzten Höhenmeter zum Refugio Carrel waren ein Kinderspiel. Von hier geht es zurück mit dem Bus ins Basecamp. Am Abend erfahren wir, das aufgrund der schlechten Wetterfront, die auf uns zukommt, der geplante Ruhetag ausfällt. MIST – wir hätten den Tag wirklich gebraucht, jeden Tag sechs bis neun Stunden Wanderungen hier auf der Höhe kosten Kraft.
Aufstieg zur Catedral (5.171 Meter), 04. Februar 2011: Aufstehen – komm du musst aufstehen. mein Zimmernachtbar weckt mich. Nach einem Blick auf die Uhr (6:16 Uhr) weiß ich – viel zu früh! Die Akklimatisationstouren der letzten Tage stecken in den Knochen – heute geht es nochmal auf ca. 5.200 Meter hoch und am 05. Februar ist dann endlich Ruhetag. Den haben wir uns dann auch wirklich verdient. Den Aufstieg auf den Chimborazo beginnen wir heute direkt vom Basecamp. Ein kleiner steiler Wanderweg führt hinauf auf 4.200 Meter zum Gipfelkreuz vom Cruz del Cerro Chalata. Ab kämpfen wir wieder mit dem Wind. Die nächsten Stunden wandern wir mit Gegenwind durch die ecuadorianische Pampa immer leicht Bergauf. Der Wind bläst und wirbelt wieder viel Staub auf – er nimmt uns die Luft zum Atmen.
Leicht ansteigend geht das so drei Stunden lang – immer aufwärts zur Catedral, die wir über unseren Köpfen auf 5.171 Metern thronen sehen. Die Catedral zu erreichen war heute das Ziel – Höhenmeter machen für die Akklimatisation. Ich verfluche den Tag, da es bei Wind und aufkommenden Nebel nicht schön ist zu laufen. Jedoch ist diese Wanderung zwingend erforderlich, um bestens für die dünne Luft auf dem Gipfel gewappnet zu sein. Als wir die Catedral endlich erreicht haben, machten wir uns nach kurzer Pause wieder zurück an den Abstieg. Da wir die Geröllfelder abrutschen konnten, ging das etwas schneller als der Aufstieg. Nach circa 1.000 Höhenmetern taucht aus dem Nichts mitten im Geröllfeld eine Wüstenlandschaft auf. Wieder typisch für Ecuador, plötzlich verändert sich die Vegetation innerhalb von Sekunden. Wir staunen nicht schlecht, als wir diese Landschaft durchqueren, und gelangen an eine Oase mit viel grünem Grass. Diese Naturschauspiele lassen mich schnell die Anstrengungen des Tages vergessen – einfach wunderschön. Einem Wiesenpfad folgend wir hinab zum Basecamp von Marco Cruz auf 3.900 Metern, welches wir nach acht Stunden Tagesmarsch erreichen.
Am späten Nachmittag bekommen wir von Diego (unser englischsprachiger Bergführer) eine kleine Ausbildung im Umgang mit Steigklemme und Prosik-Knoten. Bei der „Trockenübung“ auf 3.900 Metern war diese Einheit für uns alle kein Problem, wie wird es auf 6.000 Metern im Fixseil klappen? Eine besonders wichtige Ausbildungseinheit, die jeder mehrfach unter der Aufsicht von Diego durchlaufen musste. Die Einheit war wichtig und alle Teilnehmer der Expedition waren sich einig, gut mit dem DAV Summit Club unterwegs zu sein, der auf Sicherheit und gut ausgebildete Bergführer besonderen Wert legt.
Am Abend vor dem Ruhetag steigt die Nervosität im Basecamp. Wir sind alle gespannt, ob wir den Gipfel erreichen. Den nötigen Respekt haben alle Teilnehmer vor der Route, durch das sehr gute Akklimatisationsprogramm sollten wir mit der Höhe keine Probleme bekommen. Aber reicht die Kondition? Welche Wetterbedingungen werden uns erwarten? Lässt der Berg es überhaupt zu, dass wir den Gipfel erreichen?
Endlich der verdiente Ruhetag, 05. Februar 2011: Was für eine entspannte Nacht. Tief und fest schlummerten wir im Basecamp. Die ganze Nacht haben wir durchgeschlafen und niemand hat uns früh am Morgen geweckt. Einen kleinen Schreck gab es trotzdem, im Badezimmer musste ich feststellen, dass ich mir meine Nase schwer verbrannt habe. Natürlich hatte ich die Nase immer eingefettet, die war ganz weiß – wohl aber mit dem falschen Mittel. Dadurch habe ich eine Cortisonbehandlung vom Expeditionsarzt erhalten.
Nach einem leckeren Frühstück mit Rührei und frischen Saft fahren wir gegen 9 Uhr nach Riobamba. Hier besuchen wir entspannt die örtlichen Märkte, erst einen Handwerksmarkt, wo wir Taschen und Decken aus Alpakawolle kaufen, und danach einen Markt, auf dem Gemüse, Obst, Fisch und Fleisch gehandelt worden. Nach einer kleinen Stadtführung durch unseren Guide nehmen wir noch ein leckeres Mittagessen ein und fahren dann zurück ins Basecamp. Die Stadt Riobamba muss man in seinem Leben nicht unbedingt gesehen haben, aber es ist eine schöne Abwechslung zum Basecampalltag. Am Nachmittag besprechen wir mit Diego die Aufstiegsroute, benötigte Ausrüstung und so weiter. Es gibt genaue Anweisungen, welche Kleidung für den Gipfelsturm benötigt wird. Da die Temperaturen auf -20 Grad fallen können, benötigen wir an den Beinen drei Schichten (lange Unterhose, Basepants, Goretex Hose) und am Oberkörper vier Schichten (langes Unterhemd, Pulli, Windbreaker, Daunenjacke oder Hardshell). Auch an den Händen sollen wir drei Schichten mitnehmen, ich belasse es bei zwei Handschuhen. Der Aufstieg ins Hochlager ist für 9 Uhr geplant, für die Strecke benötigen wir circa 6 Stunden, das heißt am Nachmittag treffen wir auf 5.100 Metern im Hochlager ein und gegen 23 Uhr beginnt dann endlich der Gipfelsturm – hinauf auf dem Chimborazo auf 6.310 Meter! Nach dem Briefing vertreiben wir uns irgendwie die Zeit. Tagebuchschreiben, Musik hören, lesen… wann gibt es endlich Abendbrot? Jeder geht mit der Nervosität anders um, ich analysiere auf dem iPAD mit meinem Zimmernachtbarn die Aufstiegsroute. Gegen 16 Uhr zieht ein Gewitter auf, kein gutes Omen für unseren morgigen Aufstieg ins Hochlager. Das Wetter könnte besser sein…
Es geht los – Aufstieg ins Hochlager: Wir lassen es gemütlich angehen. Die nächsten 30 Stunden werden sehr anstrengend werden. Ins Hochlager müssen wir unseren 10 kg schweren Rucksack selber tragen, die komplette warme Wäsche, 2,5 l Wasser, Helm, Pickel alles gut verstaut.
Der Aufstieg ins Hochlager verläuft ohne Probleme. Die Strecke sind wir bereits vor einigen Tagen, beim Abstieg von der Catredral gewandert. Das größte Hindernis auf dem Weg war ein Stacheldrahtzaun. Nach zwei Stunden Wanderung wechselte das Landschaftsbild in den typischen Chimborazo-Stil. Der aktive Vulkan zeigt sein wahres Gesicht, es geht durch Geröllfelder immer steiler bergauf. Leider beginnt es zu regnen, nach kurzer Zeit wechselte der Regen in Hagel und wenig später in Schnee, was insofern problematisch ist, da meine Handschuhe bereits im Hochlager waren. Abwechselnd steckte ich einmal die rechte, einmal die linke Hand zum Aufwärmen in die Hosentasche. Das Schneetreiben wird immer dichter – aber niemand von uns denkt an die möglichen Konsequenzen.
Schon nach fünf Stunden haben wir die 1.200 Höhenmeter bewältigt und kommen im Hochlager nass, aber glücklich an. Allen geht es prima, keine Kopfschmerzen oder sonstige Blessuren. Im Teamzelt ruhen wir uns erst mal aus und essen Lunchpaket. Natürlich gibt es einen heißen Tee, den wir leicht durchgefrorenen Bergsteiger nötig haben. Nach dieser Pause schickt uns Diego in die Zelte. Die Expeditionszelte sind für zwei Personen wirklich groß, die Qualität der Zelte ist sehr gut. Sie haben zwar ein paar Jahre auf dem Buckel, sind jedoch sehr gepflegt. Dankbar, dass die Zelte bereits aufgebaut waren, packen wir dort unsere Isomatten und Schlafsäcke aus. Mir ist kalt, daher krieche ich sofort in den warmen Schlafsack. Das Schneien hat immer noch nicht aufgehört, sodass uns erste Zweifel an der Gipfelbesteigung kommen. Werden wir die Chance bekommen, den Gipfel zu erklimmen? Nach kurzer Zeit sind die Zelte eingerichtet und Frank und ich liegen in den Schlafsäcken. Wie bekommen wir nun von 14 bis 17 Uhr die Zeit herum? Zum Glück muss mein Zeltpartner auf die Toilette, so muss ich das Zelt nicht vom Schnee befreien. Alle zwei Stunden kann man eine 5-cm-Schicht vom Zelt schütteln. Ein kleiner Schneewall entstand um das Zelt. So liegen wir nun im Zelt herum, hören Musik und hoffen, dass der Schneefall endlich aufhört.
Dann ist es endlich 17 h, es gibt Abendessen. Eine Nudelsuppe und Pasta mit Hühnchen. Ein großes Kompliment an das Team – so lecker hier oben zu kochen – klasse! Und dann fällt der wichtigste Satz des Tages: „We will try it! When the snowfall stopp and its clearly we go at 23 h!”
Jawohl – damit habe ich gar nicht mehr gerechnet. Wenn wir gute Wetterverhältnisse haben, werden wir aufsteigen. In nur vier Stunden soll es wirklich losgehen. Im Zelt wird eifrig gepackt. Die Expeditionsausrüstung zurechtlegen, drei Schichten an den Beinen, vier Schichten am Oberkörper. Karabiner checken, Seilklemme, Eispickel….. Gegen 19 Uhr versuchten wi, etwas zu ruhen. Mein Zeltpartner ist relativ schnell eingeschlafen, sein Schnarchen ist so laut, dass ich Oropax brauchte. Ich habe größere Probleme, rolle mich hin und her und hoffe, dass die Zeit vergeht. Abwechslung gibt es nur, wenn ich aufstehen muss, um das Zelt von Schnee zu befreien. Gegen 20:30 Uhr hörte es endlich auf zu schneien. Die Hoffnung auf dem Gipfelsturm steigt…
06. Februar 2011, 21:30 Uhr: Wir quälen uns auf 5.100 Metern im engen Zelt in die Expeditionausrüstung – Socken – Atempause, lange Unterhose – Atempause – jede kleine Bewegung in dieser Höhe ist sehr anstrengend und bringt mich aus der Puste. Jetzt nur doch die Expeditionstiefel anziehen und dann hinüber ins Teamzelt. Die Temperaturen liegen bei schätzungsweise –10 bis -15 Grad. Schon jetzt sind wir höher als alle Berge in den Alpen. Im Teamzelt warten schon weitere Bergsteiger – es gibt heißen Tee und Kekse. Nachdem alle aus der Gruppe im Teamzelt eingetroffen sind, beraten wir über das weitere Vorgehen. Eine Diskussion kommt nicht auf, jedem ist bewusst, dass bei diesem, seit fünf Stunden anhaltenden Schneefall, der Aufstieg zum Gipfel zu gefährlich ist. Mit jeder Stunde steigt die Lawinengefahr und bis zum Gipfel müssen wir gute 1.200 Höhenmeter zurücklegen. Die Entscheidung ist gefallen – Abbruch jetzt sofort! Die Nacht verbringen wir noch im Hochlager und am Morgen folgen Hochlagerabbau und Abstieg ins Basecamp…..
Enttäuschung, leere, Traurigkeit….
Heute, einige Wochen nach der Heimkehr, sitze iich hier in Köln – fern von den Bergen, die Emotionen, Augenblicke und Eindrücke der Wochen in Ecuador im Herzen. Ich lasse die Gedanken in der Erinnerung an ier letzten Wochen umherschweifen und freue mich über die Augenblicke, die ich in Ecuador genießen durfte. In einer Zeitschrift lese ich ein Zitat von Alexander Huber: „Es ist eine Niederlage, vom Berg zurückzukommen, ohne den Gipfel erreicht zu haben. Das aber ist die Chance, zurückzukehren.“
Ja, es war eine Niederlage, aber ich begreife, das ich diese Chance wahrnehmen werde – es gibt jetzt einen weißen Fleck auf meiner Landkarte. Bis bald Ecuador, bis bald Chimborazo… wir sehen uns wieder… Text & Bilder: Volker Reinsch, mySUMMIT Bergsport Team